# taz.de -- Frauentag 1: Mathematikerin, Professorin, fünf Kinder | |
> Ute Wagner lehrt und forscht an der Beuth-Hochschule in Wedding zu | |
> Computeranimationen für die Autoindustrie. Über Quoten redet sie nicht | |
> gern, das Leben organisiert sie pragmatisch. | |
Bild: Zahlen: Keine Männersache. | |
Frauen und Technik, das liegt bei Ute Wagner in der Familie. Schon aus | |
pragmatischen Gründen: In ihrem Heimatdorf in der Nähe von Dresden hatte | |
sich ein Maschinenbaubetrieb angesiedelt - Arbeitgeber für den Ort und | |
darüber hinaus. "Ein Großteil der Verwandten hat da gearbeitet, meine | |
Mutter war Maschinenbauingenieurin", erzählt die 40-Jährige. "Dass frau mit | |
Öl und Fett in Berührung kam, war ganz normal." Wagner selbst hat | |
Mathematik studiert, 14 Jahre als Softwareentwicklerin gearbeitet und fünf | |
Kinder geboren. Vor einem halben Jahr hat sie eine Professur an der | |
Beuth-Hochschule für Technik angenommen. Ganz normal im Weltbild der | |
praktisch veranlagten Frau, einer von vielen möglichen Lebenswegen eben. | |
In der Debatte der vergangenen Wochen über eine Frauenquote wäre sie ein | |
Musterbeispiel für beide Lager gewesen: Ein Exempel, dass es auch ohne | |
Quote geht - und eins dafür, dass Frauen sehr wohl genauso leistungsbereit | |
sind wie Männer und Strukturen brauchen, die dies fördern. | |
Wagner hat sich nicht eingebracht in die Diskussion, sie mag es nicht so, | |
das Thema. Die Professorin sitzt in ihrem Büro in der Hochschule mitten in | |
Wedding, hohe Räume aus dem frühen 20. Jahrhundert, in den 60er Jahren | |
ergänzt durch Betonbauten. Ein paar Rollschränke an den Wänden, kaum | |
eingeräumt, Kartons stehen in Regalfächern. "Ich bin noch nicht zum | |
Einrichten gekommen", sagt Wagner entschuldigend. Auf ihrem Schreibtisch | |
steht ein Computer, ein Laptop daneben. Familienfotos, Kaffeetassen, | |
Grünpflanzen - Fehlanzeige. Sie macht nicht viel Aufhebens um sich. | |
Überhaupt fand Wagner, dunkelblonde lange Haare, Jeans und Pulli, die Idee | |
mit dem Gespräch erst gar nicht so gut. Die Pressestelle der Hochschule | |
drängte sie dazu. Wie die Zeitung auf sie aufmerksam geworden sei, will | |
Wagner wissen. Sie wirkt erstaunt über das Interesse an ihrer Person. Auf | |
Fragen antwortet sie gleichwohl herzlich, direkt, gern. | |
Die gebürtige Sächsin studierte an der Technischen Universität in Dresden, | |
als die DDR zusammenbrach. "Mitten im Studium war das, ein guter | |
Zeitpunkt." Sie zog mit ihren Freunden durch die Dresdner Neustadt und in | |
eine leer stehende Wohnung. "Im Prinzip waren wir Hausbesetzer, aber von | |
den Anwohnern begrüßt und ohne Krawall", erinnert sie sich. Es waren | |
ungeordnete, freiheitliche Zeiten, erst langsam überzogen Bürokratie und | |
Schickimicki das Gründerzeitviertel. Heute ist die Neustadt schick saniert | |
und langweilig. | |
Die neu gewonnene Freiheit nutzte die Studentin auch für ein | |
Auslandssemester in Tel Aviv, dort lernte sie ihren Mann kennen. Er kam mit | |
ihr nach Deutschland, sie promovierte und nahm eine Stelle als | |
Softwareentwicklerin in Hannover an. Bei der ICEM Technologies GmbH | |
arbeitete sie an einem Flächenmodelliersystem. Damit werden aus Skizzen am | |
Computer dreidimensionale Modelle entwickelt, etwa zur Darstellung | |
künftiger Autoteile. Während des Studiums hatte sie sich auf die | |
mathematischen Grundlagen dafür spezialisiert. | |
Das erste Kind kam, ein zweites. Ein drittes. "Mir war immer klar, dass es | |
eine Gruppe sein sollte", erzählt Wagner. "Ich war sieben Jahre lang | |
Einzelkind, und das war oft langweilig." | |
Außerdem zähle es nicht zu ihren Lieblingsbeschäftigungen, Kleinkinder zu | |
bespaßen - wenn es mehrere sind, könnten sie miteinander spielen. Da ist er | |
wieder, der Pragmatismus. | |
Kinder vier und fünf gingen auf das Wunschkonto ihres Mannes. "Ich habe ihm | |
gesagt, in Ordnung, dann musst du dich aber auch entsprechend kümmern." | |
Nach jedem Kind setzte sie kurz im Beruf aus, manchmal die gesetzliche | |
Frist, manchmal drei Monate, einmal ein halbes Jahr. "Ich wollte meine | |
Projekte nie verlieren, länger daheim zu bleiben kam nicht in Frage." In | |
der Softwarebranche passiert viel, der Anschluss ist schnell verloren. Die | |
Kinder besuchten eine Kita nahe dem Büro. Zwischendurch konnte Wagner | |
dorthin und stillen. "Das ist ja eine begrenzte Zeit, das geht schon." | |
Im Büro war es normal, dass Familie zu den Beschäftigten dazugehört; | |
manches Kind kam zum Mittagessen ins Büro, man konnte bei Terminen spontan | |
weg und sich dafür abends noch einmal zwei Stunden an den Schreibtisch | |
setzen. Solche Strukturen fördern eher die Produktivität, ist sich die | |
Mathematikerin sicher: "Man ist ja auch dankbar und hängt sich dann um so | |
mehr rein." Einer der Chefs war eine Frau und hat selbst zwei Kinder. | |
Die Wagners leben in einem Einfamilienhaus ziemlich zentral in Hannover. | |
Sodass die Kinder ihre Wege zwischen Schule, Musikunterricht und Sport | |
allein zurücklegen können. Ein Haus auf dem Dorf wäre nicht infrage | |
gekommen. Zu Hause herrsche eine Grundordnung, es sei nicht blitzblank | |
poliert, aber sauber, sagt die Mathematikerin. | |
"Wir halten alles am Leben." Manches hat sich die Familie erleichtert, zum | |
Beispiel kommt einmal pro Woche eine Gemüsekiste. Putzen erledigt Ute | |
Wagner gern selbst, dabei kann sie gut abschalten. | |
Nach 14 Jahren dann der Ruf nach Berlin. "Ich habe genau auf dieses Profil | |
gepasst", antwortet sie auf die Frage, ob sie eine Quotenfrau sei. Bei den | |
Mathematikern sieht es in puncto Gleichstellung nicht so düster aus wie bei | |
den Ingenieuren und Maschinenbauern - etwas Besonderes ist Wagner trotzdem, | |
das merkt sie an den Kommentaren auf Sitzungen und Konferenzen. Sie | |
unterrichtet 18 Stunden pro Woche, forscht die restliche Zeit an | |
Computermodellen. | |
Wagner sitzt an der Schnittstelle zwischen Künstler und Konstrukteur: Sie | |
visualisiert Entwürfe vor allem im Fahrzeugbau, an denen Anwendungen und | |
der optische Eindruck getestet werden können - von der Freihandskizze bis | |
zum 3-D-Film. Der Entwurf wird eingescannt, in ein Punktemeer aufgelöst. | |
Jeder Punkt hat drei Koordinaten - der Knackpunkt ist, sie in Beziehung zu | |
setzen. So werden Flächen entwickelt. In ihrer Forschung konzentriert sich | |
die Mathematikerin darauf, die Anwendungen auf neue Fahrzeugtypen zu | |
übertragen und die Programme zu verfeinern; in der Lehre geht es darum, den | |
Nachwuchs grundsätzlich an die Logik des Prozesses heranzuführen. Sie | |
genießt die Freiheit zu denken, überhaupt das Lehren. Ob sie den Schritt | |
bereut hat angesichts all der Konsequenzen? "Nein, auf gar keinen Fall", | |
antwortet sie ohne Zögern und lächelt. "Ich habe jetzt viel mehr | |
Möglichkeiten, zu meinen Interessen zu forschen." Sie fährt viermal in der | |
Woche nach Berlin, die Zeit im Zug nutzt sie zum Arbeiten. Schwimmen- und | |
Laufengehen müssen auch sein, der Gesundheit wegen. Und der Stammtisch des | |
Verbands der berufstätigen Frauen, da sei sie konsequent, "auch wenn jemand | |
am Rockzipfel hängt, gehe ich da hin". | |
In Hannover sind die Aufgaben neu verteilt worden - Ute Wagners Mann, ein | |
Informatiker, arbeitet viel von zu Hause aus, kümmert sich ums Essen und um | |
viel tägliche Organisation. Sie ist für "Klamotten, Kinder anziehen, Wäsche | |
waschen" verantwortlich. "Anfangs fühlte sich mein Mann überfordert, jetzt | |
patze eher ich im Alltag", sagt sie. Welche Trinkflasche muss in welche | |
Sporttasche? Wer nimmt ein Doppelbrot, wer nur ein einfaches? Wer Möhre, | |
Apfel und wer mag keine Banane? Ute Wagner hat den Überblick verloren. | |
Während der Semesterferien bleibt sie häufiger in Hannover. Ihr Mann sagt | |
ihr dann, was wann zu tun, wer wann wo sein muss. "Kürzlich erst habe ich | |
es trotzdem verpeilt, ich bin mit den Kindern beim Gehörbildungsunterricht | |
hängen geblieben und habe mich verquatscht, dabei wartete zu Hause schon | |
die Geigenlehrerin für meine Tochter." Wagner schmunzelt. "Mein Mann hatte | |
mir vorher noch gesagt, dass der Zeitplan eng gestrickt ist." | |
Der Auffassung, dass Frauen auch in Führungspositionen gern noch die | |
Familie mitorganisieren wollen, widerspricht sie. "Man kann sich da | |
rausziehen." Ihr helfe auch die Entfernung - sie sei während des Tages zwar | |
erreichbar, aber einfach nicht da. Die Wagners sind nun auf der Suche nach | |
einem Haus in Berlin. "Wir brauchen etwas nicht zu weit außerhalb, so dass | |
die Kinder gut wegkommen, bezahlbar und nicht zu weit von der Hochschule | |
entfernt. Außerdem eine Stelle für meinen Mann", zählt Wagner auf. Ganz | |
normal eben. Was eine Familie so braucht. | |
7 Mar 2011 | |
## AUTOREN | |
Kristina Pezzei | |
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