# taz.de -- Kuba im Umbruch: Die Lethargie ist vorbei | |
> Die kubanische Regierung hat die Gesetze gelockert und lässt inzwischen | |
> auch immer mehr Privatwirtschaft zu. | |
Bild: Privatunternehmer auf dem Bauernmarkt. | |
Auf der Mauerbrüstung des Malecón liegen ein blaues Tuch und eine | |
Wassermelone. Eliseo hat die Opfergaben für Yemayá abgelegt, die | |
Meeresgöttin. "Immer wenn ich Probleme habe, gehe ich zu ihr ans Meer", | |
sagt er. Yemayá ist im afrokubanischen Santeriakult die Mutter aller | |
Lebewesen, Eliseos Schutzpatronin. Diesmal ruft er sie an, weil er Angst um | |
die Zukunft hat. | |
"Die Regierung will wegen der Wirtschaftskrise 500.000 Leute entlassen." | |
Die Göttin soll seinen Job retten. Die Wellen spritzen meterhoch und | |
verpassen den Passanten eine kräftige Dusche. Ein Zeichen von Yemayá, dass | |
sie ihn erhört hat? | |
Ein dreirädriges Taxi hält, der Fahrer winkt. "Rentar una fantasia" steht | |
auf dem gelben Heck: miet dir ein Luftschloss. Im 20 Minuten holpert das | |
Tuk-tuk-ähnliche Gefährt flott über die unebenen Straßen in die Altstadt | |
von Havanna. | |
Im Unesco-geschützten Quartier glänzen die Kathedrale und die prächtig | |
restaurierten Bauten aus der Kolonialzeit. Durch Straßen wie die Calle | |
Obispo, Obrapia und San Ignacio strömen Touristen, die der historischen | |
Atmosphäre nachspüren, und Kubaner, die die Nähe der Touristen suchen. | |
Auf der Plaza de Armas preisen Buchhändler Revolutionsdevotionalien und | |
Künstler stricheln blitzartig Karikaturen aufs Papier. Frauen posieren auf | |
der Plaza de la Catedral in bunten Trachten und Opas mit dicker Zigarre im | |
Mund. | |
Für eine paar Peso Convertible (CUC) lassen sie sich gerne fotografieren. | |
Im Jahre 1994 wurde in Kuba dieses Zahlungsmittel eingeführt, um den | |
Umtausch und die Devisengeschäfte zu erleichtern. | |
Unter den Arkaden der Plaza Vieja spielen Combos Interpretationen von Son, | |
Bolero und Guaracha und versilbern sie gleich vor Ort: pro CD zehn CUC. | |
Vor dem Rum-Museum in der Calle San Pedro offerieren Besitzer von | |
Amischlitten Stadtfahrten mit einem Buick oder Chevrolet, pro Stunde 25 CUC | |
- das entspricht umgerechnet einem Monatslohn in kubanischen Peso (CUP) und | |
20 Euro. Kuba bereitet sich auf die Privatwirtschaft vor. Zumindest im | |
Tourismus. | |
Sukzessive erlaubte die kubanische Regierung ein bisschen Unternehmertum, | |
etwa bei Taxis, Privatrestaurants und privat geführten Pensionen, die mit | |
diversen Beschränkungen auf eigene Rechnung agieren dürfen. Denn der | |
Sozialismus soll bleiben, und "den Markt" halten viele für politisch | |
gefährlich. | |
Doch das Land ist wirtschaftlich am Ende. Die Regierung kündigte deshalb im | |
September Entlassungen an und forderte mehr Privatinitiative. Auf dem | |
Parteikongress im kommenden April sollen grundlegende Reformen beschlossen | |
werden. | |
Bei aller Ungewissheit scheint eines gewiss: einen strukturellen Wandel | |
muss es aufgrund der wirtschaftlichen Lage geben. | |
Königspalmen, Reisfelder und blühende Flammenbäume säumen die Straße auf | |
dem Weg nach Pinar del Río. Bauern ziehen mit Ochsenkarren neue Furchen in | |
die Äcker, Beregnungsanlagen rollen über Felder, Gazeplanen spannen sich | |
über Setzlinge. | |
Die Lethargie ist passé, seit der Staat an Privatbauern bis zu 65 Hektar | |
brachliegendes Land verpachtet, um die Lebensmittelversorgung anzukurbeln. | |
Eine mühsame Arbeit, denn es mangelt an allem: Werkzeug, Saatgut, | |
Düngemittel, Benzin. | |
Fast zynisch mutet da Comandante Raúls Ausspruch auf einer Plakatwand an: | |
"Por muy grandes sean las dificultades, vayan adelante!"- Seien die | |
Schwierigkeiten noch so groß, wir gehen voran! | |
Rote Erde kündigt die Tabakregion Vuelto Abajo und den Nationalpark Viñales | |
an, wo grün bewachsene Kalksteinfelsen wie Elefantenrücken aus dem Boden | |
wachsen. | |
Pinar del Río ist eine staubige Stadt, in der sich Besucher vor allem die | |
Tabakfabrik Francisco Donatién und die farbenfrohen Arkadenhäuser ansehen. | |
Am neoklassizistischen Teatro Milanés hat Guillermo seine schattige | |
Terrasse in einen Barbiersalon verwandelt. Frisiersalons gehören zum | |
Pilotprojekt für selbständige Arbeit. "Ein Schnitt mit Rasur 20 Pesos!" Er | |
strahlt, weil er jetzt wesentlich mehr als vorher verdient. | |
Camagüey ist die Stadt der Tonkrüge, der Kirchen und der Fahrräder. "Woher | |
kommst du?" Der junge Mann bremst abrupt und hält sein Fahrrad an. | |
"Deutschland?", fragt er: "Wunderbar. Alles gut. Ohne Fleiß kein Preis." | |
Er lacht, steigt wieder aufs Fahrrad und verschwindet in der Menge der | |
Drahtesel. Ob gewollt oder nicht. Der Satz sagt viel darüber aus, was viele | |
Kubaner gerade beschäftigt. Für die Stadttour ist hier nichts typischer als | |
das Bici-Taxi. | |
In der Hitze strampelt sich der Fahrer mit der Zwei-Personen-Last ab, kurvt | |
zur Nuestra Señora de la Merced, der ältesten Kirche der Stadt, zur Plaza | |
San Juan de Dios, dessen koloniale Atmosphäre sorgfältig gepflegt wird, und | |
zur Plaza del Carmen, auf der die Künstlerin Marta Jimenez ihre | |
lebensgroßen Skulpturen wie die "schwatzenden Damen" zum Inventar des | |
Platzes gemacht hat. | |
Die Abgebildeten sind Menschen aus dem Viertel, die sich für ein paar CUC | |
gern neben ihrem Abbild aus Bronze fotografieren lassen. Die Tour endet am | |
gut besuchten Bauernmarkt. Dort gibt es Gemüse, Obst und Fleisch. | |
"Bananen?" | |
Für einen CUC reicht die Verkäuferin einen ganzen Arm voller Früchte. Nur | |
am Knoblauchstand ist kein Mensch: ein Strang soll 60 Pesos kosten, ein | |
Viertel eines Monatslohnes. | |
Der Friedhof Santa Ifigenia in Santiago ist seit dem Tod von Compay Segundo | |
2003 zum Pilgerziel der Buena-Vista-Fans geworden ist. Man muss gelassen | |
sein, lautete das Motto von Compay Segundo. Gelassenheit braucht man auch, | |
wenn einen die Neugier zum Santero schickt. | |
Schon auf der Fahrt zum Magier Babalao durch düstere Viertel verlässt sie | |
einen. Schließlich steht man vor dem Magier, der im richtigen Leben Orlando | |
Palacio heißt. | |
"Wegen der Zukunft kommen viele", grinst er und setzt sich eine weiße Kappe | |
auf. Er wirft Kaurimuscheln, Steine und eine Kette aus Kokosnussschalen auf | |
den Boden. Der alte Mann schließt die Augen, brabbelt mit den Göttern und | |
wirft die Kette erneut. | |
"Deine Zukunft ist rosig", flüstert er. Und die Kubas? Er wirft die Kette | |
erneut. "Kuba wird leben", lautet die Botschaft. "Die Menschen werden in | |
Freiheit, Würde und Unabhängigkeit leben", sagt er bestimmt. Dann verlangt | |
er 10 CUC und verschenkt großzügig einen Kuss auf die Wange. | |
Diese Reise erfolgte auf Einladung von Studiosu. | |
8 Mar 2011 | |
## AUTOREN | |
Beate Schümann | |
## TAGS | |
Reiseland Kuba | |
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