# taz.de -- Staat vs. Volksinitiative: Kampf um Privatschulen | |
> Immer mehr Länder kürzen die Zuschüsse für Privatschulen. Eine Berliner | |
> Volksinitiative kämpft dagegen – und will eine Vollfinanzierung. | |
Bild: Wo geht das deutsche Privatschulwesen hin? | |
BERLIN taz | Wenn am Donnerstag im Berliner Abgeordnetenhaus die Redner | |
beginnen, wird die Zeit gestoppt. Niemand anderes als das Volk selbst, der | |
Souverän, hat fünf Repräsentanten der Initiative "Schule in Freiheit" - sie | |
kämpft für die Vollfinanzierung privater Schulen - das Rederecht im Hohen | |
Haus erkämpft. Dennoch darf jeder nur ein paar Minuten reden, da ist das | |
Parlament hart: Der Bürger darf nur in sehr feinen Dosierungen sprechen. | |
Vielleicht ist das Verhalten ein Synonym für den Umgang des Staates mit | |
Privatschulen. Sie sind rechtlose Bittsteller, abhängig von der aktuellen | |
Haushaltslage. Das ist seltsam. Denn Privatschulen stehen als Grundrecht in | |
der Verfassung, sie sind garantiert. Finanziert werden sie aber in einem | |
vogelwilden "System", das 16 verschiedene Unterarten hat. Ein Land zahlt | |
das Personal, ein anderes kennt einen Bruttokostenzuschuss, ein Land zahlt | |
60 Prozent, eines 80, andere zahlen drei oder fünf Jahre gar nichts. | |
Damit will Kurt Wilhelmi brechen. Er ist der Initiator der Berliner | |
Volksinitiative und er sagt, Ziel ist, "mehr Geld für die Schulen in freier | |
Trägerschaft zu bekommen". Ist das nicht ein Zuschuss für reiche Eltern? Da | |
wird der junge Mann ganz fuchsig. "Nein, gleiches Geld für freie Schulen | |
brauchen wir, damit es eben keine Privatsache mehr ist, ob man sich solch | |
eine Schule leisten kann oder nicht. Mit der gleichberechtigten | |
Finanzierung könnten die Schulen in freier Trägerschaft endlich auch in | |
sozialen Brennpunkten arbeiten. Also da, wo die freie Initiative am meisten | |
gebraucht wird." | |
Wenn Wilhelmi und seine Mitstreiter, unter ihnen die Leiterin der | |
Evangelischen Schule Berlin im Zentrum, Margret Rasfeld, und die | |
Schülersprecherin des (staatlichen) John-Lennon-Gymnasiums, Laura Ehrich, | |
geredet haben, wird das Parlament dann den Vorschlag niederstimmen. | |
Wilhelmi träumt also einen Traum. | |
Aber es ist sogar schlimmer. Denn die finanzielle Realität der | |
Privatschulen wird in vielen Bundesländern nicht etwa besser, sondern | |
schlechter. In Thüringen, Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern wurden die | |
Zuschüsse bereits gekürzt, in Bayern wird damit gedroht, auch in | |
Brandenburg steht Einsparen an. "Wir müssen feststellen, dass einige | |
Landesregierungen massive Einschnitte bei der staatlichen Finanzhilfe für | |
freie Schulen vornehmen", sagt der Sprecher des Bundesverbandes der | |
Privatschulverbände, Florian Becker. "Zudem werden Zulassungsbedingungen | |
für private Schulneugründungen spürbar verschärft. Dies geht zulasten der | |
Eltern und Schüler." | |
Aber ist eine Kürzung der Finanzhilfe für Privatschulen von 85 auf 80 | |
Prozent (Thüringen) oder die Verlängerung der zuschussfreien Wartefrist von | |
zwei auf drei Jahre (in Brandenburg geplant) der Ruin? Nein, aber diese | |
vermeintlichen Petitessen sind Ausdruck eines Schulkriegs, der jetzt | |
beginnt. Angesichts sinkender Schülerzahlen und einer gigantischen | |
Pensionierungswelle von Lehrern kämpft der Staat nun um jeden Schüler - für | |
seine Schulen. Und gegen die freien Schulen. | |
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## Rasfeld: Ohne Visionen geht es nicht | |
Auftrag von Schule ist es, Kindern unseren Planeten mit seinen wunderbaren | |
Möglichkeiten zu öffnen. Dazu braucht es Wissen - und Begeisterung. Kinder | |
wollen Aufgaben im Leben, Herausforderungen, an denen sie Kreativität, | |
Vertrauen in ihre Ichstärke und Mut zur Vision entwickeln können. | |
Aber machen wir uns nichts vor: Unsere Gesellschaft steht auch vor | |
gigantischen Herausforderungen. Dazu gehören der Klimawandel und die | |
dramatische Ressourcenverknappung auf globaler Ebene. In Deutschland der | |
demografische Wandel, der einen Facharbeitermangel nie gekannten Ausmaßes | |
nach sich ziehen wird. Schule könnte eine prägende Rolle spielen, um diese | |
Herausforderungen anzunehmen. Sie tut es aber noch viel zu wenig. Es | |
scheint, als herrschte dort eher der heimliche Lehrplan von Anpassung und | |
Verwaltungsgeist. Wir brauchen aber viel Gestaltungsmut und Fantasie, um | |
auf vorhandene Probleme zu reagieren, mehr als unsere Schulen heute zu | |
bieten haben. | |
Ich glaube, Schulen in freier Trägerschaft haben hier einen wichtigen | |
Auftrag. Sie können beispielgebend wirken. Das steht sogar im Gesetz. | |
Paragraf 94 des Berliner Schulgesetzes führt aus, dass freie Schulen "das | |
Schulwesen durch besondere Inhalte und Formen der Erziehung und des | |
Unterrichts fördern können." Freie Schulen dürfen also nicht mehr | |
benachteiligt werden. Daher braucht es eine 100-prozentige Finanzierung. | |
Gleichzeitig wollen wir mehr Freiheiten für die staatlichen Schulen. Nur | |
dann können die staatliche und die private Schule ihrem zweiten | |
Gesetzesauftrag nachkommen: gut zusammenzuarbeiten. Damit aus Lehranstalten | |
wirklich Zukunftslabore werden. | |
Margret Rasfeld, Evangelische Schule Berlin Zentrum | |
## Kullak: "Wollen Sie die Freiheit des Volkes?" | |
"… so schaffen Sie freie Schulen!" rief 1848 der Abgeordnete Pauer der | |
Paulskirchenversammlung zu. Mehrere totalitäre Herrschaftssysteme und eine | |
sechzehnfach föderalisierte Bildungsbürokratie später wird es Zeit, genau | |
das zu tun. | |
Sieben Gründe, warum die Unterschiede in der Finanzierung von Schulen in | |
staatlicher und freier Trägerschaft aufgehoben werden sollten - und ein | |
Vorschlag zum Wie: | |
Zum Wie: | |
Jährlich werden die Kosten errechnet, die ein Schulplatz durchschnittlich | |
kostet - einschließlich der Personal-, Sach- und Investitionskosten. Der so | |
errechnete Kostensatz wird mit der Anzahl der SchülerInnen multipliziert, | |
die eine Schule besuchen und daraus ergibt sich die Höhe ihrer Ansprüche. | |
Zu den Gründen: | |
1. Eltern können sich für eine Schule ihrer Wahl entscheiden. | |
2. Der enge Austausch mit den SchülerInnen und Eltern wird für die | |
Schulentwicklung wichtiger als die parlamentarischen Mehrheitsverhältnisse. | |
3. Die Eltern müssen schulische Entscheidungen treffen und werden dadurch | |
näher an das Schulleben ihrer Kinder herangeführt. | |
4. Alle Schulen entwickeln ein höheres Maß an Bewusstsein von und | |
Verantwortung für ihr Profil, wenn sie im Wettbewerb mit anderen stehen. | |
5. Ideen für die bessere Schulpraxis können sich viel schneller | |
durchsetzen, weil sie vor Ort entschieden werden. | |
6. Pädagogische Initiative kann auch dort entstehen, wo Eltern sich kein | |
Schulgeld leisten können. | |
7. Die Identifikation mit ihrer Schule wächst bei den SchülerInnen, Eltern | |
und LehrerInnen im gleichen Maße wie ihre Entscheidungsfreiheit. | |
Henning Kullak-Ublick ist Vorstand des Bunds der Waldorfschulen und hat die | |
erste Initiative Schule in Freiheit gestartet | |
## Laura: Beim Staat wie gestern lernen | |
In den staatlichen Schulen lernt die Generation von morgen immer noch nach | |
den Vorstellungen von gestern. Von jeher wird für uns entschieden, was | |
wichtig ist: die althergebrachten Fächer Deutsch, Mathe, Latein. Es bleibt | |
wenig Platz für gesellschaftlich relevante Themen wie Politik, Psychologie, | |
Wirtschaft, Ökologie und so weiter, wenig Platz, damit die SchülerInnen | |
selbst entdecken können, was für sie von Bedeutung ist. | |
All dies läuft unter dem Paradigma der Vergleichbarkeit: Alle sollen | |
dieselben Inhalte lernen, dieselben Prüfungen schreiben und am Ende an | |
einer bloßen Zahl gemessen werden können. | |
Staatliche Schulen müssen mehr pädagogische Freiheiten erhalten, um ihr | |
Fächerangebot zu variieren, über alternative Bewertungssysteme nachdenken | |
zu können, neue Lernformen auszuprobieren, um die Lehrpläne den | |
SchülerInnen anzupassen und nicht andersherum. | |
Selbst die Freiheiten, die die Schulen bereits jetzt haben, werden | |
unzureichend genutzt, sei es aus Mangel an Mut oder aus Trägheit. Hier muss | |
die Politik Innovation und Fortschritt fordern, und Anreize schaffen. | |
Denn schließlich gehen wir SchülerInnen zur Schule, nicht um irgendwelchen | |
Rastern zu entsprechen und Pflichterfüller zu sein, sondern um unsere | |
individuelle Persönlichkeit zu entfalten, zu kritisieren, zu fantasieren | |
und später mal die Gesellschaft zu gestalten. | |
Laura Ehrich, Schülersprecherin des Berliner John-Lennon-Gymnasiums | |
## Könemann: Vor schlimmer Alternative | |
"Pauschalierung des Sachaufwands" - das klingt wie ein nichtssagender | |
bürokratischer Terminus. In Wahrheit ist es eine "Lex freie Schulen", mit | |
denen das bayrische Kultusministerium vor allem Montessori-Schulen das | |
Leben schwermacht. Von den Kürzungen, die sich in der | |
Sachkostenpauschalierung verstecken, sind 139 Schulen in Bayern betroffen - | |
darunter 80 Montessori-Schulen. | |
Offiziell geht es nur um die Kosten von Möbeln, Miete oder | |
Schülerbeförderung. In Wahrheit ist es ein brutales Kürzungsprogramm. Denn | |
die Pauschalierung soll dem Land Bayern Einsparungen in Höhe von 6,5 | |
Millionen Euro bringen. Für den Etat des Landes ist das ein Promillebetrag, | |
viele freie Schulen wird es an den Rand des Ruins treiben. | |
Ein Rechenbeispiel: Die Integrative Montessori-Schule an der Münchner | |
Balanstraße müsste mit bis zu 120.000 Euro jährlich weniger zurechtkommen - | |
eine finanzielle Katastrophe. Um das auszugleichen, müssten wir das | |
Schulgeld erhöhen. | |
Die Kürzungen des Freistaats stellen uns vor eine schlimme Alternative: | |
unkalkulierbare finanzielle Risiken eingehen - oder unsere Idee aufgeben, | |
für alle offen zu sein. Aber das wollen wir nicht - und das Grundgesetz | |
will es auch nicht. Denn eine Erhöhung des Schulgelds steht im Widerspruch | |
zum "Sonderungsverbot". Es untersagt Schulen in freier Trägerschaft, durch | |
hohes Schulgeld weniger gut gestellten Familien den Zugang zu verwehren. | |
Auch wir fordern: Keine Einsparungen, sondern gleiche Finanzierung für | |
private Schulen! | |
Anke Könemann ist Mitbegründerin der Integrativen MontessoriSchule | |
Balanstraße (München) | |
9 Mar 2011 | |
## AUTOREN | |
Christian Füller | |
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