# taz.de -- Kommentar Post Privacy: Unfollow the Police! | |
> Post Privacy, die Gesellschaft ohne Privatsphäre – eine schöne | |
> Vorstellung? Verfechter dieser Idee behaupten, in digitalen Zeiten wäre | |
> Datenschutz überholt. Wie unpolitisch! | |
Mehr als ein Vierteljahrhundert nach der Ableitung des Rechts auf | |
informationelle Selbstbestimmung sagen da welche, dass die Welt ohne | |
Datenschutz besser wäre. Ist es nicht wunderbar, sagen sie, dass wir über | |
unser Gegenüber mehr wissen? Wenn es möglich ist, im Netz Gleichgesinnte zu | |
finden, weil ihre Daten diese Gleichheit verraten? Lassen sich | |
gesellschaftliche Tabus nicht besser brechen, wenn wir wissen, dass es auch | |
andere gibt, die so sind wie wir? Wäre die Befreiung der Schwulen nicht | |
schneller vorangegangen, wenn das Netz sie alle zwangsgeoutet hätte? | |
Das Internet schafft neue Öffentlichkeiten und da ist es schon | |
verständlich, sich auch mit ihnen auseinanderzusetzen. Die Vertreter von | |
Post Privacy haben recht: Das Thema ist heiß. Das Netz ist allgegenwärtig | |
und die Zeit lässt sich nicht zurückdrehen. Die Facebookisierung ist weit | |
vorangeschritten, und inzwischen nutzen auch immer mehr Menschen | |
ortsbasierte Dienste, das bedeutet: Es fallen auch noch persönliche Daten | |
an, die mit Orten verknüpft sind. | |
Daten können im digitalen und vernetzten Zeitalter unendlich kopiert | |
werden. Je größer die Speichermedien werden, desto einfacher ist es, große | |
Massen von ihnen zu sammeln. Und zu aggregieren. Vormals zusammenhanglose | |
Daten können miteinander verknüpft werden: Profiling. Damit lassen sich | |
neue Rückschlüsse ziehen. Mehr, als die Datensätze jeweils alleine | |
verraten. Manchmal mehr, als die Person selbst über sich weiß. | |
Post Privacy meint, dass eine transparente Gesellschaft die materielle | |
Ungleichheit mindern wird. Wenn sich erst einmal alle Kontostände im Netz | |
finden, und alle Lohn- und Gehaltsabrechnungen, dann würden die Menschen | |
fragen, warum der eine weniger als einen Dollar am Tag erhält, andere 345 | |
Euro im Monat und Dritte Millionen. Und dann würde sich etwas ändern. | |
## Freie Daten, freie Menschen? | |
Das Gegenteil ist richtig. Die Menschen werden nicht freier, weil ihre | |
Daten freier fließen. Die Veröffentlichung von Managergehältern verhindert | |
nicht, dass diese in immer astronomischere Höhen steigen. Den Kapitalismus | |
kann man nicht unfollowen. Man muss ihn überwinden oder regulieren – aber | |
mit Laissez-Faire wird man ihm nicht beikommen können. | |
Nicht erst seit gestern werden Menschen finanziell diskriminiert, nur weil | |
sie in der falschen Straße wohnen – Stichwort Scoring. Unschwer | |
vorstellbar, dass private Krankenversicherungen gerne auf öffentliche | |
Krankendaten zurückgreifen würden. Aus Post Privacy folgt: Der Kapitalismus | |
entert weitere Bereiche des Lebens, nämlich im vormals Privaten. | |
Auch dem Staat muss der Zugriff auf persönliche Daten untersagt werden. Was | |
heute normal ist, kann in Zukunft verboten sein – oder verdächtig. Vor dem | |
11. September wäre es als Spinnerei abgetan worden, eine Hatz auf Muslime | |
zu befürchten. Knapp zehn Jahre später ist die Islamfeindlichkeit in Europa | |
und den USA stark angestiegen. Dazu hat auch der Staat mit | |
Ermittlungsmethoden wie der Rasterfahndung beigetragen. Zum Glück wurde sie | |
2006 vom Bundesverfassungsgericht als grundrechtswidrig untersagt. | |
Damit ist der Datensammelwut des Staates noch lange kein Riegel | |
vorgeschoben. Die Vorratsdatenspeicherung wabert zwischen | |
Verfassungsgericht und EU hin und her und es ist nicht sicher, dass sie | |
nicht kommen wird. Die EU verhandelt mit den USA über ein | |
Passagierdatenabkommen, ursprünglich war hier geplant, die | |
Essensgewohnheiten der Reisenden zu erheben – Koscher oder Halal? Ein | |
Schelm, wer aus solchen Daten die Religionszugehörigkeit erraten möchte. | |
## Datenschutz ist möglich | |
Politikern, die solche Maßnahmen befürworten, kommen solche wie die von der | |
[1][Post-Privacy-Spackeria] gerade recht. Solche Politiker sagen: Warum | |
beschweren sich die jungen Leute denn, sie schreiben doch eh alles über ihr | |
Leben ins Internet. Auch dienen solche Argumentationen als Ausrede für | |
Politiker, die zu faul oder zu wirtschaftsliberal sind, um Dienste wie | |
Facebook zu regulieren und diese Gesetze auch durchzusetzen. | |
Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger sagt, dass sich | |
national beim Datenschutz nicht mehr viel machen lässt. | |
Verbraucherschutzministerin Ilse Aigner schlug viel Schaum in der | |
Streetview-Debatte, doch bei den Verhandlungen um die Novelle der | |
EU-Datenschutzrichtlinie und um ein neues Safe Harbor Abkommen ließ sie | |
sich nicht sehen. | |
Der Datenschutz im digitalen Zeitalter ist noch gar nicht angegangen worden | |
– daran wird gerade gearbeitet. Vorschläge wie der Datenbrief wurden noch | |
gar nicht ausprobiert. Die Datenschutzbeauftragten haben noch gar nicht in | |
die Sanktionskiste gegriffen und Bußgelder verhängt, was sie doch | |
eigentlich könnten. Auch gegen Facebook und Google. | |
Datenschutz ist möglich! Auch im digitalen Zeitalter. Nur weil digitale | |
Zeiten anders sind, muss man doch nicht gleich aufgeben! Die freie | |
Gesellschaft kommt nicht, wenn die Daten frei fließen. Das Gegenteil ist | |
richtig: Freiheitsrechte nützen und schützen denjenigen, die sich sonst | |
nicht wehren können gegen Staat und Wirtschaft. Nur, wenn absolute | |
Diskriminierungsfreiheit durchgesetzt wäre, und das dauerhaft, wäre die | |
Idee Post Privacy eine, die ernsthaft zu diskutieren wäre. Dann jedoch wäre | |
diese Debatte eigentlich obsolet. | |
10 Mar 2011 | |
## LINKS | |
[1] http://spackeria.wordpress.com/ | |
## AUTOREN | |
Julia Seeliger | |
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