# taz.de -- die wahrheit: Rätsel mit Rüschen | |
> Rentner sollten vorsichtig sein bei Gewinnspielen. | |
Bild: Der Eingriff selbst ist keine große Sache für das Operationsteam. | |
"Bitte, kommen Sie doch herein." Die Wohnung, in die Helga Hofacker, 67, | |
uns führt, ist penibel eingerichtet. Im Wohnzimmer hängen rustikale Regale | |
an einer Wand, in denen, sorgsam aufgereiht, blauweiße Rumtopfkrüge stehen. | |
Das Sofa ist mit altrosa Seide überzogen und wird auf den Lehnen von weißen | |
Klöppeldeckchen geschützt. Hinter den gläsernen Scheiben eines zierlichen | |
Biedermeierschränkchens sieht man eine Miniatur-Ballerina aus Porzellan, | |
die auf einem Ball tanzt, verschiedenfarbige Likörgläschen, eine Schale mit | |
Strohblumen und Tannenzapfen sowie eine kleine Uhr mit Glaskuppel, um die | |
herum eine Sammlung von bunten Schmucksteinen drapiert wurde. | |
"Tja, sagt Helga seufzend, "noch vor zwei Monaten sah es hier ganz anders | |
aus." Verlegen lächelnd bietet sie uns ein Getränk an: "Vielleicht ein | |
Likörchen vorweg?" Wir stimmen gern zu. | |
Während Helga die Likörgläschen aus dem Schrank holt, sehen wir uns weiter | |
um. Auf einem kleinen Beistelltisch neben einem Ohrensessel entdecken wir | |
einen Stapel zerfledderter Zeitschriften. Alle sind bei den Rätselseiten | |
aufgeschlagen. Helga serviert uns einen guten Cointreau. Sie hat unser | |
Interesse an den Zeitschriften gleich bemerkt und geht in die Offensive: | |
"Ja! Damit hat alles angefangen." | |
Dann setzt sich Helga in ihren Ohrensessel und bietet uns - ganz Grande | |
Dame - das altrosa Sofa als Sitzgelegenheit an. Und sie beginnt zu | |
erzählen: "Sie müssen wissen, dass ich noch vor zwei Monaten ein Mann war. | |
Ich hieß Hermann Hofacker." | |
Hermann Hofacker war ein gestandener Kerl, der sich gern mal im Unterhemd | |
mit Dosenbier ein Fußballspiel ansah und sich regelmäßig mit | |
Gleichgesinnten beim Stammtisch seines Sparvereins traf. "Dabei konnte es | |
auch vorkommen, dass die eine oder andere deftige Zote gerissen wurde …", | |
erzählt Helga verlegen und errötet ein wenig. | |
Eine bedeutungsschwangere Pause entsteht - offenbar tut sich Helga schwer | |
mit ihrem Bericht. Dann streicht sie über ihren Rüschenkragen, richtet | |
ihren Dutt und deutet auf die zerfledderten Hefte: "Seit ich denken kann, | |
löse ich leidenschaftlich gern jede Form von Preisrätseln. Dabei ging es | |
mir nie um die Gewinne, ich tat es immer schon aus reinem Sportsgeist. Wenn | |
ich aber mal etwas gewonnen hatte, was zuweilen vorkam, dann freute ich | |
mich umso mehr. Hier gab es ein Zeitungsabonnement, dort ein paar | |
Freikarten für ein Fußballspiel oder eine DVD - es waren immer nette | |
Kleinigkeiten. Das teuerste, was ich gewonnen habe, war dieser | |
Flachbildschirmfernseher." Helga deutet stolz auf das imposante Teil. Immer | |
kamen die Preise überraschend, Hermann wusste meist gar nicht, was es | |
überhaupt zu gewinnen gab, es kümmerte ihn nicht. Bis zu jenem | |
folgenschweren Tag vor gut zwei Monaten. | |
"Plötzlich fuhr ein großer, weißer Wagen vor und hielt direkt vor meinem | |
Haus. Ich war gerade dabei, mit der Kettensäge den Apfelbaum zu stutzen. | |
Sechs Männer in weißen Kitteln und mit weißen Koffern sprangen aus dem | |
Wagen. Ich war völlig überrumpelt, bestätigte ihnen aber, dass ich Hermann | |
Hofacker war, als sie mich auch schon packten, ins Haus zerrten und mir | |
einen feuchten Lappen auf Mund und Nase drückten - und weg war ich." | |
Helga atmet einmal tief durch. "Als ich dann wieder aufwachte, waren die | |
Männer verschwunden und … und …", Helga kann das Unaussprechliche nicht | |
aussprechen, so dass wir es im Geiste selbst vollenden müssen: Aus Hermann | |
im Unterhemd war Helga im Rüschenkleid geworden. | |
Sie habe sich, so berichtet Helga weiter, die merkwürdigen Geschehnisse | |
zunächst nicht erklären können, bis sie mit einer unguten Ahnung begann, in | |
den Zeitschriften nach den letzten Rätseln zu suchen, für die Hermann | |
Lösungen eingeschickt hatte. Beim Kreuzworträtsel einer AutoBild wurde sie | |
fündig. Im Kleingedruckten stand: "Zu gewinnen gibt es einen Fahrradträger, | |
einen Werkstattgutschein, eine kostenlose Geschlechtsumwandlung und ein | |
digitales Notizbuch. Viel Glück!" | |
Wie es ihr denn nach der überraschenden Operation ergangen sei, möchten wir | |
von Helga wissen. "Ach", sagt sie, "anfangs war es recht schwer. Ich fühlte | |
mich in meiner alten Einrichtung nicht mehr wohl. Die Werkbank flog als | |
erstes raus, und nach und nach tauschte ich das ganze schmucklose Zeug | |
gegen meinen jetzigen Hausrat aus. Und beim Stammtisch wollten sie mich | |
schon sehr bald nicht mehr haben, denn ich hatte jegliches Interesse an | |
Fußballthemen verloren. Zoten und Schweinigeleien habe ich mir in meiner | |
Gegenwart strikt verbeten." | |
Schon bald aber wurde die missliche Situation erheblich besser für Helga. | |
Sie schloss sich einem Strick-Club an, bei dessen wöchentlichen Treffen | |
nach Herzenslust über die aktuellen Dramen des britischen Hochadels | |
geschnattert werden darf. "Jetzt habe ich ein wundervolles Leben", sagt sie | |
zufrieden. Und während Helga Hofacker mit einer koketten Bewegung ihren | |
Dutt ordnet, schmunzelt sie spitzbübisch: "Bei Rätseln lese ich jetzt auch | |
immer das Kleingedruckte." | |
11 Mar 2011 | |
## AUTOREN | |
Corinna Stegemann | |
## ARTIKEL ZUM THEMA |