# taz.de -- Schlagersängerin Andrea Berg: Klassische Metaphern im Domina-Outfit | |
> Ob es einem passt oder nicht: Die erfolgreichste deutsche Musikerin heißt | |
> Andrea Berg und singt Schlager. Am Donnerstag wird ihr voraussichtlich | |
> der Echo verliehen. | |
Bild: Seiltanz zwischen Glamour und Volkstümlichkeit: Schlagerstar Andrea Berg. | |
Der Eddie ist ein Fan von der Andrea. Und der Eddie, der muss mal was | |
loswerden. "Wie immer, keiner mag das, niemand hört das, alle können | |
mitsingen", schreibt er im Forum auf der Website seines Stars, "Millionen | |
Scheiben verkaufen sich und kaum jemand bekennt sich". Tatsächlich ist der | |
Eddie da direkt auf ein Dilemma gestoßen: Andrea Berg ist zwar die | |
erfolgreichste deutsche Musikerin der letzten Jahre, aber das weiß niemand. | |
Oder besser: Das scheint niemand wissen zu wollen. | |
Dabei sprechen die Zahlen für sich. Mehr als elf Millionen verkaufte | |
Platten, fünf der letzten sechs Alben Nummer 1 in Deutschland, ausverkaufte | |
Tourneen durch die Großraumhallen der Republik und eine geschätzte | |
Abendgage von 40.000 Euro. Allein das "Best of"-Album aus dem Jahr 2001 war | |
das erfolgreichste deutsche Album der Nullerjahre. | |
Am kommenden Donnerstag, da muss man kein Prophet sein, wird der | |
45-Jährigen der Echo in der Kategorie "Künstler / Künstlerin / Gruppe | |
deutschsprachiger Schlager" verliehen werden. Es wäre bereits das sechste | |
Mal. Der Gewinn des Musikpreises im Jahr 2007 gehört allerdings zu den | |
schwärzeren Stunden in der Karriere der Krefelder Krankenschwester, die | |
einst mit ihrer Band über die Dorffeste tingelte: Ihr Auftritt fiel bei der | |
TV-Übertragung einer Werbepause zum Opfer. Berg weinte hinter der Bühne, | |
der Sender RTL musste sich entschuldigen, und Millionen Fans fühlten sich | |
mal wieder bestätigt: Wir sind zwar sehr, sehr viele, aber als schweigende | |
Mehrheit hat man's nicht leicht. | |
## Rustikales Glück | |
Diese Mehrheit hat sich Berg zur Heldin erkoren. Denn ihr gelingt, was | |
allen erfolgreichen Schlagersängern und -sängerinnen glücken muss: Sie ist | |
Kumpel und Sehnsuchtsobjekt zugleich, sie glorifiziert das alltägliche | |
Leben, ohne dessen Erbärmlichkeit verleugnen zu dürfen. Stundenlang gibt | |
sie Autogramme, aber vergleichsweise selten Interviews. Sie präsentiert | |
demonstrativ ihr glückliches Familienleben im rustikalen Holzhaus im | |
schwäbischen Kleinaspach, das aber erst nach Jahren als alleinerziehende | |
Mutter möglich wurde. Im Schloss Bellevue bekommt sie vom Bundespräsidenten | |
das Verdienstkreuz, aber viel lieber wühlt sie sich, so erzählt sie, durch | |
den heimischen Garten. Und wenn sie bisweilen mit dem Privatjet zum | |
Auftritt einfliegt, dann nur, weil sie am nächsten Morgen im | |
familieneigenen "Erlebnishotel Sonnenhof" das Frühstücksbüfett bestücken | |
muss. | |
Es ist ein Seiltanz, den Andrea Berg da aufführt, um die diffizile Balance | |
zwischen Glamour und Volkstümlichkeit zu halten. Der Tanz ist allerdings | |
Pflicht in einem Gewerbe, das Hort konservativer Wertvorstellungen ist, | |
zugleich aber auch Projektionsfläche für geheime Träume. Genau an diesem | |
Knackpunkt setzte Eugen Römer an, als er Berg 1992 entdeckte. Der | |
Musikproduzent schrieb Berg nicht nur den Großteil der Texte, er unterlegte | |
die Liedchen nicht nur mit meist recht simplem Electro-Geplucker in einem | |
mitklatschtauglichen 4/4-Takt: Zusammen mit seinem Schützling schuf er, was | |
der Stern später als "Sexsymbol der Generation 50 plus, das Pin-up-Girl für | |
die Riester-Rentner" bezeichnen sollte. | |
Tatsächlich war der Sex im Schlagergewerbe zuvor den Männern vorbehalten. | |
Ein Costa Cordalis konnte seine Brustbehaarung präsentieren und Howard | |
Carpendale singen, als würde er einen Porno synchronisieren - daran nahm | |
niemand Anstoß. Den Frauen aber blieben nur züchtige Rollen: | |
Schwiegertochter, Mutter, Ehefrau, vielleicht noch das Mauerblümchen, das | |
es zu pflücken galt. Die Erklärung ist einfach: Schlagermusik wurde und | |
wird hauptsächlich von Frauen gehört. Die Männer kommen mit zum Konzert. | |
Eine Sängerin kann da allzu leicht zur Konkurrenz werden. | |
Erst Berg konnte diese Regel durchbrechen. Zur Überraschung der eigenen | |
Plattenfirma, die den Erfolg ihres Schützlings auch kaum durch | |
Werbemaßnahmen befördert hatte. Andrea Berg wurde bekannt durch | |
Mundpropaganda, berühmter durchs Fernsehen und schließlich ein Phänomen, | |
das in hautenger Ledercorsage, knappem Minirock, Strapsen und Overknees auf | |
die Bühne stiefelt. | |
Von dort oben singt sie im Domina-Outfit ihre Lieder mit einer | |
erstaunlichen Dichte an, nennen wir sie mal, klassischen Metaphern: Da | |
werden Sterne verschenkt und Horizonte berührt. Träume sind zerbrechlich, | |
das Leben ist schwer und die Zeit bleibt nicht stehen. Vor allem die | |
Frauen, die haben es schwer. Sie werden versetzt und verletzt, verlassen, | |
betrogen und belogen, immer wieder belogen. | |
Berg liefert, sagt sie selbst, "Tröstliches für die Seele". Sie agiert als | |
moderne Erlöserfigur. Sie durchleidet das Leid der Frauen stellvertretend | |
noch einmal und übernimmt damit eine ähnliche Funktion wie eine Billie | |
Holiday im Soul. | |
Berg verfügt zweifellos nicht über eine Stimme wie die ihrer amerikanischen | |
Kollegin, ihre Sprache ist einfach, ihre Musik vor allem eingängig. Daran | |
haben auch das Ende der Zusammenarbeit mit Entdecker Römer im vergangenen | |
April und die Verpflichtung von Dieter Bohlen als Produzent für das letzte | |
Erfolgsalbum "Schwerelos" nichts geändert. Das Rezept bleibt: "Ich mache | |
einfach authentische Musik", sagt Andrea Berg. Das weiß niemand besser als | |
Eddie. | |
19 Mar 2011 | |
## AUTOREN | |
Thomas Winkler | |
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