# taz.de -- Obama in Lateinamerika: Alles andere als Allianz auf Augenhöhe | |
> Fünf Tage war Barack Obama in Lateinamerika unterwegs. In einer | |
> Grundsatzrede macht er unfreiwillig klar, dass er keine Vision für den | |
> Subkontinent hat. | |
Bild: Wenigstens Spaß hatten die Obamas in Chile. | |
PORTO ALEGRE taz | Die Rede in Chile sollte der Höhepunkt von Barack Obamas | |
erster Lateinamerikareise werden. Zeitpunkt und Ort hätten kaum | |
geschichtsträchtiger sein können: Vor 50 Jahren rief John F. Kennedy seine | |
kontinentale "Allianz für den Fortschritt" aus, zugleich ist der | |
Präsidentenpalast in Santiago Symbol für die Zusammenarbeit der USA mit den | |
Diktaturen vergangener Jahrzehnte. Dort nahm sich zu Beginn der | |
Militärputsches 1973 der sozialistische Präsident Salvador Allende das | |
Leben. | |
Doch Obama ist kein Visionär. In seiner Grundsatzrede zur "neuen Ära der | |
Partnerschaft" zwischen den USA und Lateinamerika, die er bereits vor zwei | |
Jahren angekündigt hatte, verharrte er erneut im Allgemeinen. Und er begann | |
mit einem Fauxpas: Ausgerechnet Chile, wo Mapuche-Indianer als | |
"Terroristen" verfolgt werden, pries er als frei von ethnischen Konflikten. | |
Ähnlich eigenwillig ist seine Sicht auf die "dynamische und wachsende | |
Region" Lateinamerika: Alte ideologische Schlachten wie jene "zwischen | |
staatsgelenkten Volkswirtschaften und dem ungezähmten Kapitalismus" seien | |
überholt. Nach "harten, aber notwendigen Reformen" seien Peru oder | |
Brasilien auf einem "beeindruckenden" Wachstumskurs, und deswegen habe | |
Lateinamerika die Weltwirtschaftskrise besser gemeistert als andere. | |
Bald hingen mehr als zwei Millionen Arbeitsplätze in den USA von Exporten | |
nach Lateinamerika ab, sagte Obama voraus: "Wenn Lateinamerika wohlhabender | |
ist, dann sind auch die Vereinigten Staaten wohlhabender". | |
"Gleichberechtigte Partnerschaften" erforderten aber auch "geteilte | |
Verantwortung", etwa im Krieg gegen die Drogenmafia oder bei Energie- und | |
Klimafragen. Doch konkrete Maßnahmen benannte er kaum. | |
## Multipolare Weltordnung | |
Ähnlich wie tags zuvor in Rio bezeichnete der US-Präsident die Region als | |
Vorbild für "Völker, die ihre eigene Reise in Richtung Demokratie | |
beginnen". Dort fand seine Rede aus Angst vor Protesten nicht wie geplant | |
im Freien statt, sondern im prunkvollen Stadttheater. Spezialeinheiten der | |
Polizei hielten Hunderte von Demonstranten auf Distanz. In Santiago kamen | |
Wasserwerfer zum Einsatz. | |
Die Reise, die am Mittwoch in El Salvador zu Ende geht, war vom Krieg in | |
Libyen überschattet, den die progressiven Regierungen der Region mit | |
Skepsis oder offener Ablehnung begeleiten. Auch für die Unterstützung des | |
chilenischen Militärputsches durch die USA wollte sich Obama nicht | |
entschuldigen. "Die Beziehungen zwischen Lateinamerika und den USA waren | |
manchmal extrem schwierig", sagte er, "es ist wichtig, unsere Geschichte zu | |
verstehen, aber sie darf keine Falle für uns werden, denn wir stehen jetzt | |
vor vielen Herausforderungen". | |
Punkten kann der US-Präsident mit solchen Allgemeinplätzen kaum. In | |
Brasilien wurde das besonders deutlich. Dort machen die führenden Medien | |
seit dem Amtsantritt von Präsidentin Dilma Rousseff Stimmung für eine | |
erneute Annäherung an die USA und Europa. Doch wie ihr Vorgänger Lula da | |
Silva setzt sich Rousseff für eine multipolare Weltordnung und die | |
Erweiterung des UN-Sicherheitsrates ein. Ebenso wie Indien möchte die | |
südamerikanische Regionalmacht dort ständiges Mitglied werden. Während | |
Obama den indischen Wunsch vor Monaten klar unterstützte, beließ er es in | |
Brasília bei einem vagen "Wohlwollen". | |
Rousseffs außenpolitischer Berater Marco Aurélio Garcia berichtete, | |
gegenüber Obama habe die Präsidentin ein "emphatisches Plädoyer" für den | |
Frieden und diplomatische Konfliktlösungen gehalten. Letzte Woche hatte | |
sich Brasilien bei der Abstimmung über die UN-Resolution zur Intervention | |
in Libyen zusammen mit Russland, China, Indien und Deutschland enthalten – | |
am Montag forderte es einen Waffenstillstand. Eine Einladung Rousseffs zum | |
Abendessen in kleiner Runde schlug Obama aus, stattdessen betrieb er mit | |
seiner Familie einen Tag lang Sympathiewerbung in Rio. | |
## Infrastrukturprojekte in Brasilien | |
2010 waren die Beziehungen zwischen Brasilien und den USA auf einem | |
Tiefpunkt angelangt. Obama hatte Lula grünes Licht für einen | |
Vermittlungsversuch im iranischen Atomkonflikt gegeben. Doch als Teheran | |
tatsächlich auf die gewünschte Verpflichtung zu einer Urananreicherung im | |
Ausland einging, machte Washington einen Rückzieher, Lula war blamiert. | |
Demonstrativ blieb er jetzt dem Mittagessen zu Ehren Obamas fern. | |
Eine politische Strategie für Lateinamerika habe Washington nicht, sagt der | |
US-Experte Riordan Roett: "Man nimmt sich Zeit für Mexiko und Kuba, und ein | |
bisschen für Venezuela." So bleibt Lateinamerika die traditionelle Rolle | |
als Markt und Rohstofflieferant. "In dem Maß, in dem diese Märkte wachsen, | |
wächst auch ihre Nachfrage für Güter und Dienstleistungen", schrieb Obama | |
in der Tageszeitung USA Today, "als Präsident möchte ich sehen, dass diese | |
Güter und Dienstleistungen in den USA hergestellt werden." | |
Im Fall Brasilien bedeutet das: US-Firmen möchten sich an | |
Infrastrukturprojekten für die Fußball-WM 2014 und die Olympischen Spiele | |
2016 beteiligen. Außerdem will Washington mittelfristig Erdöl aus den | |
riesigen Vorkommen vor Brasiliens Atlantikküste beziehen. Brasilianische | |
Agrar- oder Stahlexporte werden hingegen wie gehabt mit hohen Zöllen vom | |
US-Markt ferngehalten. | |
An ihren Gast richtete Dilma Rousseff daher schon in ihrer Begrüßungsrede | |
die unmissverständliche Botschaft: Eine Allianz - "vor allem, wenn sie | |
strategisch sein soll" - könne nur gemeinsam und auf Augenhöhe entwickelt | |
werden. Wie sehr es damit hapert, hat Obama in Chile deutlicher denn je | |
gemacht. | |
22 Mar 2011 | |
## AUTOREN | |
Gerhard Dilger | |
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