# taz.de -- 80-jähriger Schachstar Viktor Kortschnoi: "Wer frech wird, den wil… | |
> Viktor Kortschnoi, einst "der Schreckliche", ist auch mit 80 Jahren | |
> Weltklassesportler. Der Schachspieler kann Garri Kasparow nur eines nicht | |
> verzeihen: Dass er jetzt mit Karpow befreundet ist. | |
Bild: Strafende Hand in schwarz-weiß. | |
taz: Herr Kortschnoi, wie alt fühlt sich der älteste Leistungssportler, der | |
noch der Weltelite Paroli bieten kann? | |
Viktor Kortschnoi: Ich akzeptiere gerne alle Komplimente, aber dieses | |
behagt mir weniger. Früher wurde mir wegen meiner Leistungen applaudiert - | |
heute wegen meines Alters und wegen meiner Verdienste. | |
Wie fit fühlen Sie sich nach mehr als 5.000 Turnierpartien? | |
Am Brett: gut. Nur davor gibt es ein riesiges Problem: Bis vor fünf Jahren | |
erhielt ich noch zahlreiche Turniereinladungen. Neuerdings muss ich aber | |
sogar Seniorenturniere gegen alte Männer ab 60 spielen, um überhaupt mal | |
ans Brett zu kommen. | |
Beim letzten Turnier in Gibraltar erhielten Sie bei der Siegerehrung | |
stehende Ovationen. Sie schlugen unter anderem den Italiener Fabiano | |
Caruana. Er ist die Nummer eins der Junioren und Weltranglisten-25. der | |
Herren. Mit seinen 18 Jahren könnte er Ihr Urenkel sein. | |
Diesmal konnte ich zeigen, dass ich ihn noch schlagen kann. Ich kam aber | |
wegen mehrerer Patzer nicht über Unentschieden hinaus. Normalerweise müsste | |
ich acht statt sechs Punkte holen und Zweiter oder Dritter werden. | |
Macht Ihnen das Alter am Brett schwer zu schaffen? | |
Ich habe oft eine strategisch gewonnene Stellung und lehne mich zurück - | |
die Partie ist aber noch lange nicht beendet, während ich sie schon abhake. | |
Mein Kopf will nicht mehr. Caruana ließ ich auch zunächst entschlüpfen, | |
anstatt ihn einfach und schnell zu erledigen. Alles braucht Energie. Es | |
liegt auf der Hand, dass die Ziele im Alter geringer ausfallen. Man muss | |
aber wie in jungen Jahren ehrgeizig bleiben. Tigran Petrosjan hat angeblich | |
einmal gesagt: "Mit dem Ehrgeiz von Kortschnoi würde ich ewig Weltmeister | |
bleiben." | |
Wären Sie inzwischen weniger ehrgeizig, wenn Sie einmal den WM-Titel | |
erobert hätten? | |
Bis 1981 wollte ich Weltmeister werden. Die dritte Niederlage gegen Karpow | |
war so schrecklich, - das wollte ich nie mehr spüren! | |
Garri Kasparow schlug für Sie Ihren Erzfeind Anatoli Karpow. Er hörte aber | |
auch mit 42 auf. Undenkbar für Sie? | |
Kasparow kann ich nur eines nicht verzeihen: dass er jetzt mit Karpow | |
befreundet ist. Er besitzt keine Prinzipien. Wie kann ich mit jemand | |
befreundet sein, der einem so viel Schlechtes zufügt hat? Aufzuhören, weil | |
man Weltmeister war, das klingt nach Bobby Fischer, nicht nach Viktor | |
Kortschnoi. Bei mir hören nur die Schüler immer auf, wenn sie Großmeister | |
sind. Ich bin auch ohne Weltmeister-Titel zufrieden. Ich will mehr Schach | |
spielen und junge Leute schlagen. | |
Zuletzt waren Sie sogar in einem russischen Verein Mannschaftskamerad von | |
Karpow. Werden Sie im Alter milde? | |
Er ist nicht mein Kamerad. Ich sehe Karpow zwar nicht als Symbol allen | |
Übels - aber Kamerad? Nein, Kamerad existiert nicht in meinem Wortschatz. | |
Ein Taxifahrer hat mir eben erzählt: "Früher ist Kortschnoi stramm die zwei | |
Kilometer zum Bahnhof marschiert. Heute sieht man ihn am Wegesrand ein | |
Päuschen einlegen. Oder fährt gleich mit uns." | |
Ein Hexenschuss setzt mir zu. Jetzt benötige ich einen Stock zum | |
Spazierengehen. Das ist schwach. Fürs Turnierschach bräuchte ich mehr Kraft | |
und Fitness. In dieser Beziehung muss ich unbedingt mehr machen. Ein | |
Trimmrad habe ich auf jeden Fall schon mal gekauft. | |
Früher haben die Gegner "Viktor den Schrecklichen" gefürchtet. Ist der | |
Respekt weg? | |
Die sehen natürlich den alten Mann mit dem Gehstock kommen, der sich mühsam | |
auf die Toilette schleppt - aber am Brett sitze ich noch meine fünf | |
Stunden. Vor dem Turnier lief mir in Gibraltar der Moldawier Bologan über | |
den Weg. "Wollen Sie wirklich spielen?", fragte er mich keck. Die Antwort | |
gab ich ihm dann am Brett, auch wenn ich traurig war, dass er mir ins Remis | |
entwischte! Wenn einer frech wird, habe ich schon noch den Willen, ihn zu | |
bestrafen. [grinst] Sein Pech bestand darin, dass er in Runde drei auf mich | |
prallte und nicht erst in Runde neun, wenn ich kaputt bin. | |
Werden Sie auch noch mit 100 Jahren am Brett sitzen? Wollen Sie dort | |
sterben? | |
Da müsste ich bis zum letzten Matt spielen. Ich traue mir aber durchaus zu, | |
98 zu werden. | |
23 Mar 2011 | |
## AUTOREN | |
Hartmut Metz | |
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