# taz.de -- Radio-Feature über Somalia: "Ich bin ein attraktives Ziel" | |
> Mit einem Radiofeature versucht die Journalistin Bettina Rühl den Alltag | |
> in Somalia zu erfassen. Sie hat dafür mit Intellektuellen, Unternehmern | |
> und Terroristen gesprochen. | |
Bild: Krieg als Alltag: Somalischer Regierungssoldat verschanzt sich in der Hau… | |
taz: Frau Rühl, in Ihrem aktuellen Radiofeature "Die Macht der Warlords von | |
Mogadischu" thematisieren Sie den seit über 20 Jahren tobenden Bürgerkrieg | |
in Somalia. Der östlichste Staat des afrikanischen Kontinents taucht | |
hierzulande eher selten in den Nachrichten auf. Woher kommt Ihr spezielles | |
Interesse? | |
Bettina Rühl: Seit dem Sturz Siad Barres im Jahr 1991 habe ich die | |
Entwicklung Somalias intensiv verfolgt. Das Land ist der kollabierte Staat | |
par excellence und hat seit zwanzig Jahren keine Regierung mehr. Seit | |
Anfang der 90er Jahre stehen weltweit immer mehr Staaten vor dem Zerfall - | |
aktuell beispielsweise der Jemen. Aber bisher ist kein anderer so lange und | |
massiv kollabiert wie Somalia. Durch meine Recherchereisen hoffe ich eine | |
Vorstellung davon zu bekommen, wie man diese Staaten wieder aufbauen | |
könnte. Ich versuche zu verstehen, wie die Menschen ihren Alltag | |
organisieren und bewältigen. Welche Spuren der Krieg in ihnen hinterlässt. | |
Für die aktuelle WDR-Produktion war ich in der zweiten Novemberhälfte 2010 | |
in Mogadischu. | |
Wie kann man sich unter solchen Bedingungen eine Recherche vorstellen? | |
Bei der Einreise am Flughafen in Mogadischu gibt es keine | |
Sicherheitskontrollen. Man wird nur gefragt, ob man Waffen mit ins Land | |
bringt. In der Stadt selber kann ich mich nur mit mehreren Milizionären als | |
"Personenschutz" bewegen. Ich muss öffentliche Plätze meiden, kann nie | |
allzu lange an einem Ort bleiben und versuche insgesamt möglichst | |
unsichtbar zu sein. Die Tatsache, dass ich Journalistin bin, ist gar nicht | |
der Hauptgrund für die Gefährdung. Dafür reicht es, dass ich weiß bin und | |
damit "wirtschaftlich" ein attraktives Ziel für Entführer. Ich beuge mich | |
zwar den lokalen Bekleidungsregeln für Frauen, bleibe aber trotzdem als | |
Europäerin erkennbar. Bei den Radioaufnahmen sind das weite Kleid und das | |
Kopftuch natürlich extrem lästig, weil ich ständig mit Kopfhörer- oder | |
Mikrofonkabeln hängen bleibe. Generell gilt: Ohne vertrauenswürdige | |
Bezugspersonen geht gar nichts. | |
Einer davon ist Omar Olad, der am Sturz Siad Barres beteiligt war und heute | |
eine Hilfsorganisation leitet. Sie sprechen aber auch mit Intellektuellen, | |
Unternehmern und Polizisten. Wie haben Sie diese Menschen erlebt? | |
Omar ist für mich zu einem wichtigen Freund und Ratgeber geworden. Er | |
beeindruckt mich wegen seiner klaren Haltung zutiefst. Er könnte Somalia | |
verlassen, bleibt aber, um zu helfen. Er verkörpert für mich eine | |
menschliche Größe, der ich in Somalia immer wieder begegne. Es gibt | |
innerhalb der Bevölkerung einen bemerkenswerten Gemeinschaftssinn. Daher | |
kommen viele Exilanten zurück, obwohl sie damit ihr eigenes Leben aufs | |
Spiel setzen. Ohne die Rückkehrer ginge in Somalia gar nichts mehr. | |
Sie haben unter anderem mit einem von den USA gesuchten Terroristen | |
gesprochen. Gab es bei diesem Interview kritische Situationen? | |
Die Begegnung mit Hassan Dahir Aweys war skurril. Nach unserem Gespräch, | |
das im Schlafzimmer seiner dritten Ehefrau stattfand, wollte er wissen, ob | |
ich religiös und verheiratet sei und ob ich Kinder habe. Da habe ich | |
gedacht, sag jetzt bloß nichts Falsches. Doch als meine Sicherheitsleute | |
bei meinen Antworten zu kichern begannen, war klar, dass alles in Ordnung | |
ist. | |
Im Feature kommentieren Sie als Autorin nur wenig, es dominieren Dialoge | |
und O-Töne. Warum treten Sie so weit zurück in den Hintergrund? | |
Es ging mir darum, die irrsinnige Realität der Gesellschaft Mogadischus | |
akustisch möglichst authentisch darzustellen. Kämpfe zwischen | |
islamistischen Extremisten und den Regierungstruppen sind dort alltäglich. | |
Zwischen all dem wird die Bevölkerung aufgerieben. Mir war wichtig, die | |
Stimmen der Akteure in Somalia einzufangen und für sich selbst wirken zu | |
lassen. | |
28 Mar 2011 | |
## AUTOREN | |
Jan Scheper | |
Jan Scheper | |
## TAGS | |
Radio | |
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