# taz.de -- Chinesischer Germanist über Aufklärung: "Kant hat sich nicht getr… | |
> Die deutsch-chinesische Ausstellung "Kunst der Aufklärung" kommt nach | |
> Peking. Sie dürfte unterdrückte Debatten anstoßen, sagt der Germanist | |
> Huang Liaoyu. | |
Bild: "In China kennt jeder, der ein wenig gebildet ist, die Aufklärung." Anto… | |
taz: Herr Huang Liaoyu, eine Ausstellung unter dem Titel "Kunst der | |
Aufklärung" kommt aus Deutschland nach Peking. Was verbindet man in China | |
eigentlich mit der "Aufklärung"? | |
Huang Liaoyu: In China kennt jeder, der ein wenig gebildet ist, die | |
Aufklärung. Wir lernen darüber im Marxismus-Unterricht. Für die Chinesen | |
hat das Wort einen guten Klang. | |
Warum ist das so? | |
Wenn wir es hören, denken wir an den Glauben an die Wissenschaft und an den | |
Fortschritt, an die Befreiung von der Feudalherrschaft, von der Herrschaft | |
der Geistlichkeit und von kirchlichen Dogmen. So haben wir es gelernt: | |
Aufklärung ist etwas, was sich in Europa entwickelte und gut war. | |
Wie die Französische Revolution? | |
Natürlich! Und das Faustische, so wie Goethe es beschrieben hat: der Wille | |
zur Welteroberung. Im Großen und Ganzen hat man in China ein positives und | |
zugleich vereinfachtes Bild der Aufklärung. Als ich zum ersten Mal von der | |
Ausstellung gehört habe, wunderte ich mich allerdings über den Titel: | |
"Kunst der Aufklärung", das schien mir paradox zu sein. | |
Warum? | |
Normalerweise denken wir, Aufklärung sei eine Sache der Literaten und | |
Philosophen. Aufklärerische Kunst, was ist das? Plakate? Bilder? Da bin ich | |
sehr neugierig, ich will es mir unbedingt anschauen. | |
Aufklärung klingt im Chinesischen nach Befreiung? | |
… und nach Hinwendung zur Wissenschaft, Toleranz, Gleichheit. Eigentlich | |
haben wir Chinesen gar keine Schwierigkeit, solche Begriffe zu akzeptieren | |
und zu verstehen. Allerdings: In unseren Schulbüchern werden nicht alle | |
Elemente der Aufklärung gleich betont - da ist wenig von der Freiheitsidee | |
und der Bereitschaft zur Kritik zu lesen. | |
Sind das Ideen, die auch für China selbst debattiert werden? Oder werden | |
sie nur als Teil einer fernen europäischen Epoche betrachtet? | |
Wir betrachten sie als Menschheitsideale. Dazu gehören auch die Vermehrung | |
des Glücks der Menschheit und der Zukunftsoptimismus. Wie sie sich bei uns | |
durchsetzen, das ist eine andere Sache. | |
Meinungs- und Pressefreiheit sind keine Tabus in China? | |
Man kann schon darüber debattieren. Am Ende heißt es gewöhnlich: | |
"Pressefreiheit - eine feine Sache, aber das geht nicht so schnell, wir | |
dürfen nichts überstürzen." Immerhin ist es doch gut, wenn darüber | |
diskutiert wird. In China ist das ein aktuelles Thema. Alle hassen die | |
Korruption. Da braucht man eine Kontrollinstanz. Eine bessere als die freie | |
Presse gibt es gar nicht. | |
Diese Ausstellung und die begleitenden Seminare werden also Debatten | |
anstoßen, die dann immer wieder eingeschränkt werden? | |
So war das einst auch in Deutschland. Erinnern Sie sich: Kant, der große | |
Aufklärer, hat die Leute aufgefordert, alles zu kritisieren. Aber selbst | |
hat er sich nicht getraut, die preußische Regierung und den König zu | |
kritisieren! Vielleicht gibt es hier in China gerade eine ähnliche | |
Situation. | |
Die jetzt beginnende "Kunst der Aufklärung" ist schon vor Jahren | |
beschlossen worden. Inzwischen sind Zensur und Druck schärfer geworden. | |
Wäre es auch heute noch möglich, so ein Thema zu wählen? | |
Ich glaube, die Mehrheit der Bevölkerung und wohl auch der Beamten wissen | |
nicht, dass sich hinter dem Begriff Aufklärung politisch heikle Dinge | |
verbergen können. Dass die westliche Kritik an China auf Wertvorstellungen | |
basiert, die aus der Aufklärung kommen, sehen viele in China gar nicht. | |
Welche Rolle spielt der Marxismus heute noch? | |
Der wird noch studiert. Bei jeder Aufnahmeprüfung muss man immer noch etwas | |
über den Marxismus schreiben, das hat sich nicht verändert. Darauf bereitet | |
man sich mit einem Intensivkurs vor. Aber an den Universitäten hat man | |
inzwischen große Freiheiten. In Seminaren für marxistische Philosophie | |
lesen wir Schriften von allen möglichen Theoretikern aus dem Westen, von | |
Hegel über Sartre bis Habermas. | |
Gab es in China jemals eine eigene Aufklärungsbewegung? | |
Bei uns wird derzeit viel darüber diskutiert, welche aufklärerischen | |
Elemente es in der chinesischen Kultur und Tradition gegeben hat - zum | |
Beispiel in der sogenannten "Vierte-Mai-Bewegung, die nach dem 4. Mai 1919 | |
benannt ist. Damals ging die Jugend in China zunächst gegen die | |
ausländischen Kolonialmächte auf die Straße, dann wandten sich die Proteste | |
gegen die als rückwärtsgewandt empfundene eigene Kultur. | |
Die Demonstranten riefen nach "Mr. Science" und "Mr. Democracy"… | |
Das war eine Zeit der Zukunftszugewandtheit. Das klassische Chinesisch in | |
den Schulen und in der Literatur wurde durch die moderne Umgangssprache | |
ersetzt. Der konfuzianische Kanon sollte nicht mehr gelernt werden. Zur | |
Zeit Maos, der 1976 gestorben ist, galten die Aufklärung in Europa und die | |
Vierte-Mai-Bewegung als hundertprozentig gut. Heute fragen wir uns: Sind | |
wir damals zu weit gegangen? | |
Warum? | |
Der Bruch mit den Traditionen war zu scharf. Der Technokratismus in China - | |
das ist auch ein Erbe der Aufklärung bei uns. Wir beneiden die Deutschen. | |
Worum? | |
Um ihre Hochachtung vor der Kultur und vor den Geisteswissenschaften. Ein | |
Beispiel: In Deutschland sind viele Universitätsrektoren oder Präsidenten | |
Germanisten. In China stehen Naturwissenschaftler an der Spitze der | |
Hochschulen. Das ist vielleicht auch logisch. Jemand, der in der Lage ist, | |
eine Atombombe zu bauen, ist sicher wichtiger als ein Literat. | |
Was sagen Sie zu dem Ort, an dem die "Kunst der Aufklärung" gezeigt wird - | |
im Nationalmuseum direkt am Tiananmenplatz? | |
Das ist eine gute Sache, ein Zeichen des Aufbruchs. | |
Direkt davor steht seit Januar eine fast zehn Meter hohe neue Statue des | |
alten Konfuzius. | |
Das ist wirklich ironisch. Ich finde es ganz interessant, dass man ihn da | |
einfach hingestellt hat, ohne große offizielle Zeremonie und ohne viel | |
Propaganda. Offenbar will die Regierung unauffällig die Tradition | |
restaurieren. Jetzt steht Konfuzius schräg gegenüber dem Tor des | |
Himmlischen Friedens mit dem Mao-Porträt und nicht weit vom Mao-Mausoleum. | |
Und ab und zu wird auch noch das Porträt des Republikgründers von 1912, Sun | |
Yatsen, dazugestellt! | |
Das ist doch witzig - in den siebziger Jahren noch hat Mao eine Kampagne | |
zur Kritik des Konfuzius losgeschlagen. Das ist China! Niemanden hier im | |
Lande stört diese Kombination. Nur für die Ausländer ist das ein allzu | |
buntes Gemisch. | |
Was steckt dahinter? | |
Die Vielfalt und das Durcheinander der Leitideen und Wertvorstellungen, die | |
Toleranz und die Blindheit des Staats. | |
29 Mar 2011 | |
## AUTOREN | |
Jutta Lietsch | |
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