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# taz.de -- Kolumne Das Tuch: Schulversager, weil Gott es will
> Er ist kein Islamexperte. Pöbeln musste er trotzdem. Er war ja
> eingeladen.
Gehört der Islam zu Deutschland?" Wenn ich diese Frage noch einmal höre,
knallts. Dann schnappe ich mir mein Sprengstoffgürtel und das tickende
Bömbchen unter dem Kopftuch und gehe in die Luft - dorthin, wo dümmliche
Fragen nicht hinkommen. In eine Welt frei von pseudo-intellektuellen
Stellvertreter-Diskussionen. Eine Welt frei von Fragestellern, die
eigentlich nur meinen: "Ätsch, ihr Muslime gehört nicht zu uns." Weil das
aber zu plump wäre, tut er mal eben so, als ginge es ihm um einen
ernsthaften lösungsorientierten Diskurs. "Ich meine es ja nur gut mit
euch."
Seit Wochen dröhnt ein höchst frustrierender medialer Diskurs in meinen
Ohren, bei dem Selbstverständlichkeiten und Banalitäten ad absurdum
diskutiert werden. Ob der Islam zu Deutschland gehört, lässt sich genauso
schnell beantworten, wie ob Foucault, Hobbes, Newton, Adam Smith oder Harry
Potter zu Deutschland gehören. Die Frage kann doch nicht ernsthaft ernst
gemeint sein?
Doch, sie ist ernst gemeint. Kürzlich saß ich im Publikum einer
top-besetzten Diskussionsveranstaltung und wollte mir anschauen, wo wir uns
diskursmäßig derzeit befinden. Schockiert musste ich feststellen: Wir sind
unten. Ganz tief unten.
Es war ein renommierter Spiegel-Journalist, der die Diskussion offenbar als
Niveaulimbo begriff. Woher die Erregungsbereitschaft der Muslime käme,
witzelte er. Ihnen fehle es an Sex und Alkohol. Dann fragte er ernst in die
Runde ob es einen Zusammenhang zwischen dem Islam und Bildungsverweigerung
gäbe.
Sollte ich lachen oder weinen? Aus dem Publikum schaute ich ihn an. Er wich
meinem Blick aus. Dann stand ich auf, um einen Wortbeitrag zu leisten. Der
Herr drehte seinen Kopf weg. "Sie dürfen mich ankucken oder verwirrt Sie
meine Existenz?", fragte ich. Ganz offensichtlich war dem so. Seinen
Behauptungen zufolge dürfte ich schließlich gar nicht existieren.
"Iqra - Lies!" ist das erste Wort, das dem Propheten überliefert wurde.
Religiösität bedeutete für mich immer auch mich weiterzubilden, persönlich
weiterzuentwickeln und nach Wissen zu streben. Nie etwas anderes. Nie habe
ich Gegenteiliges beigebracht bekommen, gehört oder gelesen. Und da kommt
ein schnieker Journalist dahergelaufen und stellt Zusammenhänge her, wo
keine sind. Klar, er will eigentlich wissen, warum viele Migranten aus
islamisch geprägten Ländern im deutschen Bildungssystem schlecht
abschneiden. Dann soll er mir mal einen Schüler zeigen, der nicht lernt,
weil er das theologisch begründen kann.
"Sie stellen die falschen Fragen", sagte ich. Es sind Schicht- und
Sozialprobleme, die er da anprangern sollte. Nach der Diskussionsrunde
fragte ich ihn, wie er denn zu dieser Haltung komme. "Ich habe viele Bücher
flüchtig gelesen", erklärte er. "Flüchtig", wiederholte ich. "Ja, das ahnte
ich bereits."
Dann drehte er sich mit vorgehaltener Hand zu mir um und verriet: " Ich bin
kein Islam-Experte. Man lädt mich halt ein. Und ein bisschen muss es ja
knallen." Apropos knallen, irgendwo unter diesem Tuch müsste das Ding doch
sein …
29 Mar 2011
## AUTOREN
Kübra Gümüsay
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