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# taz.de -- Wie nützlich ist der Fahrradhelm?: Knautschzone Hirn
> Fahrradhelme sind nutzlos, sagen Studien. Sie schaden mehr, als sie
> helfen. Wirklich? Die Helmdebatte ähnele der über Sicherheitsgurte, meint
> der Fachmann.
Bild: Sieht ein bißchen so aus, als würde George W. Bush eine tote Ente auf d…
Wenn man an die vielen Melonen denkt, die in den vergangenen Jahrzehnten
auf deutschen Schulhöfen zerplatzten, sind die Zahlen verwunderlich. Nach
neuesten Daten tragen nur 9 Prozent der Fahrradfahrer in der Bundesrepublik
einen Helm. Unter Jugendlichen sind es 15 Prozent, unter Kindern 38
Prozent. Niedrige Quoten angesichts des Aufwands, der seit Jahren betrieben
wird, um für die Verletzlichkeit des Kopfes zu sensibilisieren. Eitelkeit
auf dem Rad sei fehl am Platz, das lehren Verkehrspolizisten seit
Generationen. Notfalls mithilfe von ebenjenen Melonen, die - mal in Helme
geschnallt, mal nicht - einem Crashtest auf dem Schulhof unterzogen werden.
Alles, um den Kindern zu beweisen: So würde ein Helm im Ernstfall auch
euren Kopf schützen. Genau das ist aber die Frage. Der menschliche Kopf ist
schließlich keine Melone - und auch wissenschaftliche Studien zur
Schutzwirkung von Fahrradhelmen liefern oft widersprüchliche Erkenntnisse.
Aufsehen erregte der Selbstversuch des britischen Verkehrspsychologen Ian
Walker, der 2006 die Überholmanöver von Autofahrern untersuchte, während er
auf dem Fahrrad typische Pendlerstrecken zurücklegte. Mit einer Videokamera
und einem Ultraschallmessgerät hielt er fest, dass Autos weniger Abstand zu
ihm hielten, wenn er einen Helm trug. "Autofahrer halten einen Radler mit
Helm vermutlich für erfahrener und rechnen nicht damit, dass er ausscheren
oder ins Straucheln geraten könnte", analysiert Walker seine Ergebnisse.
Seine Studie sagt: Wer einen Helm trägt, geht durch den verringerten
Sicherheitsabstand ein höheres Unfallrisiko ein. Die Schutzfunktion von
Fahrradhelmen will Walker aber nicht infrage stellen, obwohl er im Laufe
seiner Untersuchung zweimal angefahren wurde - beide Male trug er einen
Helm.
Auch die Untersuchungsergebnisse von Frank Thomas Möllmann, heute
Neurochirurg in Osnabrück, und seinen Kollegen vom Universitätsklinikum
Münster liefern keinen Beweis dafür, dass ein Helm schwerere
Kopfverletzungen zuverlässig verhindert: 2004 erforschten sie Ursachen für
Fahrradunfälle und typische Verletzungen. Sie konzentrierten sich dabei
insbesondere auf Schädel-Hirn-Traumata und untersuchten mehr als 300
Patienten, die bei Fahrradunfällen Hirnverletzungen erlitten hatten. 90
Prozent der Unfallopfer hatten keinen Fahrradhelm getragen - "aber die
Schwere der Verletzungen unterschied sich zwischen den beiden Gruppen nicht
signifikant", schreibt Möllmann in seinem Fazit.
## Zynischer Chirurgenspruch
Sind Fahrradhelme also nutzlos oder sogar ein potenzielles
Sicherheitsrisiko? Im Gegenteil, meint der Berliner Unfallchirurg Karsten
Mülder. Er hält überhaupt nichts davon, Fahrradhelme in Studien zu testen:
"Ich kenne keine Studie, die wissenschaftlichen Ansprüchen genügen würde -
das wäre ja ethisch gar nicht vertretbar", sagt er. Die Helmdebatte ähnele
der früheren Diskussion über Sicherheitsgurte im Auto. Sein engagiertes
Eintreten für Fahrradhelme begründet er mit den täglichen Erfahrungen aus
seiner Praxis. Seit Jahrzehnten sehe er schwere Verletzungen bei Radfahrern
ohne Helm - und viele Unverletzte, deren Helme nach Unfällen stark
beschädigt seien: "Der zynische Chirurgenspruch aus der Zeit vor den Helmen
stimmt leider: Die Knautschzone des Fahrradfahrers ist sein Frontalhirn."
Wendet man sich Rat suchend an den ADFC, bekommt man dort zwar
Informationen, eine eindeutige Position zur Helmfrage wird jedoch
vermieden: "Wer einen Helm nutzen möchte, der soll auch einen tragen",
lautet das knappe Statement. Wichtiger als die Diskussion über Helme sei
ein verkehrspolitisches Umdenken: Anstatt das Fahrradfahren ohne Helm als
unverantwortlich darzustellen, solle der Radverkehr gestärkt werden.
Dadurch würden Radfahrer besser gesehen - und seltener übersehen.
## Defensiv fahren
Es gibt Erfahrungsberichte aus Ländern mit Helmpflicht, die diesem
verkehrspolitischen Ansatz recht geben. Als Negativbeispiel verweist der
ADFC auf eine Studie aus dem australischen Bundesstaat New South Wales: Als
in Australien 1991 eine Helmpflicht eingeführt wurde, stieg dort die Anzahl
der Kinder und Jugendlichen, die einen Helm nutzten, stark an - doch
insgesamt ging die Zahl der Rad fahrenden Jugendlichen innerhalb von zwei
Jahren um fast die Hälfte zurück. Zwar wurden in diesem Zeitraum weniger
Kopfverletzungen gezählt, im Verhältnis stieg die Verletzungsrate aber
sogar an. Das Radfahren wird also gefährlicher, je weniger Menschen
insgesamt das Fahrrad nutzen. Umgekehrt gelten Länder mit hohem
Radverkehrsanteil auch für den einzelnen Fahrradfahrer als sicherer.
Wer der kollektiven Sicherheit auf deutschen Straßen noch nicht traut, muss
sich dem Schicksal aber nicht ausliefern. Auch unabhängig von der
Entscheidung für oder gegen einen Helm kann man seine individuelle
Sicherheit erhöhen - indem man sein Fahrrad verkehrstauglich hält, defensiv
fährt und darauf achtet, auf der Straße gut gesehen zu werden.
Grundsätzlich ist das Radfahren dann gesund: Wenn man so rechnen will,
gleichen die positiven Effekte auf den Körper laut ADFC die Gefährdung
durch Verletzungen aus - auch, wenn man ohne Kopfschutz fährt. Schaden aber
kann der Helm bei einem Unfall wohl kaum.
2 Apr 2011
## AUTOREN
Linda Holzgreve
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