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# taz.de -- Europameisterschaft der Ringer: Kraftprotze mit Knubbelohren
> Ringer stehen selten im Rampenlicht. Die Europameisterschaft in Dortmund,
> die am Sonntag zu Ende geht, sollte Aufmerksamkeit bringen. Früher war
> das einfacher.
Bild: Auch bei den ganz Leichten: Peter Modos (bis 55 Kilogramm) und die Knubbe…
Boxer erkannt man an ihren Nasen, Ringer an den Ohren. Wer Blumenkohlohren
hat, der gehört zum inneren Kreis der Mattenkämpfer. In hunderten von
Kämpfen hat sich ein verknorpelter Bluterguss in der Ohrmuschel gebildet.
Ringer tragen die Knubbelohren wie eine Auszeichnung, beweisen sie doch,
dass der stämmige Kerl, der an den verwachsenen Ohren dranhängt, in der
Tradition eines Milon von Krotos steht, des legendären Ringers aus der
Antike.
Von Milon sagte man, er habe einen vierjährigen Stier auf den Schultern
durch das Stadion von Olympia getragen, ihn dann geschlachtet und an einem
einzigen Tag verzehrt. Andere berichten, der Grieche habe eine um seinen
Kopf gebundene Darmsaite allein dadurch zum Platzen gebracht, dass er den
Atem anhielt und die Stirnadern anschwellen ließ.
Solche Wunderdinge hat Frank Heinzelbecker nicht vollbracht, aber elf
Medaillen bei deutschen Meisterschaften hat er schon gewonnen. Es versteht
sich von selbst, dass Heinzelbecker, 40, der jetzt beim Deutschen
Ringer-Bund für Marketing und Öffentlichkeitsarbeit zuständig ist,
Blumenkohlohren hat. "Wenn man die Dinger bei einem sieht, dann sorgt das
gleich für Akzeptanz", sagt er. Dann gehört man dazu.
Derzeit ist das Aufkommen an Blumenkohlohren vor allem in Dortmund sehr
hoch. Dort finden gerade Europameisterschaften statt, in der
Westfalenhalle. Es ist eine Chance für die Randsportler, in die
Öffentlichkeit zu kommen. Das schaffen sie eigentlich nur während der
Olympischen Spiele.
Früher war das noch ein wenig anders, als sich die Sportschau der ARD oder
das "aktuelle sportstudio" des ZDF regelmäßig um die Ringer kümmerte. Fast
jeder Sportinteressierte kannte damals die Gebrüder Thomas, Claudio und
Pasquale Passarelli. Und er wusste auch, worin der Unterschied zwischen
einem Ringkampf im griechisch-römischen Stil und in der freien Technik
besteht. Wenn der Name Schifferstadt fiel, dann war klar, dass es um Ringen
ging.
## In der alten BRD kümmerte man sich um die Ringer
Selbstverständlich, dass mit dem "Kran von Schifferstadt" keine
Baumaschine, sondern der Olympiasieger von 1960, Wilfried Dietrich, gemeint
war. Ja, in den Zeiten der alten Bundesrepublik kümmerte man sich noch um
die Ringer, weil man die gesamte Bandbreite des olympischen Sports
darstellen wollte und den Sendeauftrag ernst nahm. Das ist vorbei. Unter
der Dominanz von Fußball, Event- und Fernsehsportarten wird das Ringen
jetzt schier erdrückt. Es ist kein Wunder, dass selbst ein kleiner
Kraftprotz wie Frank Heinzelbecker unter dieser Last ächzt und stöhnt.
Der TV-Vertrag mit den Öffentlich-Rechtlichen sei "so eine Art
Schmerzensgeld". Man bekomme zwar Geld, aber kaum Sendeminuten. "Es kommt
darauf an, auf welchem Niveau man weinen möchte", sagt er resigniert. Einer
der besten deutschen Ringer, Marcel Ewald, der in Dortmund knapp eine
Medaille verpasst hat, sagt: "Mit der Darstellung des Ringens bin ich
überhaupt nicht zufrieden.
## "Angesichts der Entbehrungen ist der Stellenwert zu gering"
Wenn man bedenkt, was für Entbehrungen wir bringen, dass wir unsere
berufliche Karriere gefährden, weil wir immer nur am Trainieren sind, dann
ist der Stellenwert des Ringens viel zu gering." Andere Sportarten
leisteten viel weniger als die Ringer, "aber die sind dann in den Medien
und wir nicht". Es ist eine Anklage, die Ewald auch direkt an die Presse
richtet. Beim Finale der deutschen Meisterschaft sei nur regional berichtet
worden, ärgert er sich: "Das ist schwach und beschämend." Dabei, so wirbt
der 60-Kilo-Mann, der seit dem vierten Lebensjahr mit anderen, vor allem
aber mit seinem Zwillingsbruder ringt, sei der Sport ein einziges
Faszinosum.
Wenn Ewald über Ringen redet, dann wird eine Liebeserklärung an diesen
Kampfsport daraus. Das ist bei Marketing-Mann Heinzelbecker nicht anders.
Sie schwärmen vom "Facettenreichtum" des Ringens, bei dem "Kampfgeist,
Moral, Intelligenz, Körperbeherrschung und Technik" vonnöten seien. Es sei
vergleichbar mit der Komplexität des Boxens, nur dass die Ringer bis zu 100
Techniken abrufbereit gespeichert haben müssten und viel beweglicher als
die Faustkämpfer seien. Heinzelbecker und Ewald wissen, dass sie noch
tausend weitere Vorzüge des Ringens aufzählen könnten, es änderte sich an
der Lage ihres Sports grundsätzlich nichts. Nur eine Flut von Medaillen
würde vielleicht etwas bringen. Doch auf das Stockerl zu steigen, ist
ungefähr so schwierig wie der Marsch zu einem Achttausender im Himalaja.
## Russland dominiert fast nach Belieben
Russland und seine Anrainerstaaten dominieren fast nach Belieben. Der
Zerfall der Sowjetunion war für die deutschen Ringer problematisch.
Schickte Moskau vorm Mauerfall nur seine Landesmeister zu den
internationalen Turnieren, so mischen heute auch Kämpfer aus Aserbaidschan
oder der Ukraine mit. "Damals war es ein Russe, heute sind es zehn", klagt
Ewald. "Wir können uns zwar behaupten, aber oft reicht es eben nicht."
Deswegen bittet er: "Man darf uns nicht zerreißen, wenn es nicht klappt mit
Medaillen."
Ewald kann unbesorgt sein: Einerseits gibt es so etwas wie eine
Erwartungshaltung der Öffentlichkeit, das Ringen betreffend, nicht, auf der
anderen Seite kann der Ringerbund bereits einen Achtungserfolg vorweisen:
Freistilspezialist Saba Bolaghi aus Mömbris-Königshofen hat am Mittwoch in
der Klasse bis 66 Kilogramm eine Bronzemedaille gewonnen. Drei Plaketten
will der Ringerbund insgesamt bis Sonntag einheimsen. Das ist ein
bescheidenes Ziel.
Der letzte große Erfolg eines deutschen Ringers liegt drei Jahre zurück:
Mirko Englich gewann 2008 bei den Olympischen Spielen in Peking die
Silbermedaille im griechisch-römischen Stil bis 96 Kilogramm. 1992 wurde
Maik Bullmann sogar Olympiasieger (griechisch-römisch, 90 Kilo), ein Coup,
der auch Alexander Leipold 2000 in Sydney gelang. Doch Leipold, der in der
Klasse bis 76 Kilo antrat, wurde danach mit Nandrolon im Urin erwischt. Er
gab an, 61 Nahrungsergänzungsmittel eingenommen zu haben, eines davon müsse
Spuren der verbotenen Substanz enthalten haben, behauptete er.
## Nach Nandrolon-Affäre: Alle deutschen Ringer gesperrt
Nach dem Vorfall sperrte der Ringer-Weltverband Fila zwischenzeitlich alle
Athleten des deutschen Ringerbundes. Heute ist Alexander Leipold
Bundestrainer. "Ach", sagt Ringer Ewald, die Bedeutung seiner Sportart noch
einmal umreißend, "wir haben ja mit dem Alex einen bekannten Mann, aber
würde es diese Sache nicht geben, es ginge uns heute besser."
Immerhin: Einen kleinen Hoffnungsschimmer glaubt Heinzelbecker in der Ferne
zu erkennen. Im Dortmunder Jugendcamp sind die 500 besten jungen Ringer der
Republik zusammengekommen, 45 Sportlehrer werden in einem Workshop über die
Besonderheiten des Ringens aufgeklärt. Doch als Heinzelbecker die kleine
Positivliste schließt, übermannen ihn wieder die Probleme der Gegenwart:
"Wir mussten ein internationales TV-Signal zur Verfügung stellen, das
kostet einen Riesenbatzen Geld - wenn wir ohne blutige Nase aus der
Veranstaltung rauskämen, dann hätten wir Glück gehabt", sagt er.
Heinzelbecker weiß vermutlich, dass dem deutschen Ringen nur ein Kerl wie
Milon von Krotos helfen könnte. Der würde dann etwas ganz Verrücktes
anstellen, sich zum Beispiel auf einen öligen Diskus stellen und selbst auf
diesem glibbrigen Untergrund jedem Angriff trotzen. Jeder würde sich dieses
Spektakel anschauen wollen. Die deutschen Ringer aber sind keine
Superhelden. Sie sind von dieser Welt.
1 Apr 2011
## AUTOREN
Markus Völker
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