# taz.de -- Interview mit weißrussischem Netzaktivisten: "Der Blogger muss ein… | |
> Viktor Malishevsky, Blogger aus Weißrussland, über die Auswirkungen der | |
> arabischen Revolution und die Gefahr, sich als Verfechter der Demokratie | |
> hinter den Rechnern zu verstecken. | |
Bild: "Die virtuellen Gemeinschaften von Gleichgesinnten geben den Usern das Ge… | |
Herr Malishevsky, im Dezember 2011 wurde Alexander Lukaschenko unter lautem | |
Protest wieder ins Präsidentschaftsamt gewählt. Wie steht es seither mit | |
der Pressefreiheit in Weißrussland? | |
Viktor Malishevsky: Nachdem fast die gesamte Opposition und hunderte | |
Demonstranten festgenommen wurden, war das Land wochenlang in einem | |
Schockzustand. Jeder konnte mit der Durchsuchung seiner Wohnung oder gar | |
einer Verhaftung rechnen. Bei sämtlichen nicht-staatlichen Medien, wie | |
Radio Free Europe, wurden Computer und Arbeitsmaterialien konfisziert. | |
Journalisten wurden festgenommen und mussten bei ihrer Freilassung | |
Schweigeerklärungen unterschreiben. Andere wurden unter Hausarrest | |
gestellt, jegliche Kommunikation mit der Außenwelt wurde ihnen verboten, | |
Mitarbeiter der Staatssicherheit wurden bei ihnen einquartiert. Im | |
Wahlkampf hatte die Opposition verkündet, wir würden am Tag nach den Wahlen | |
in einem neuen Land aufwachen. Das sind wir auch, nur leider wurde alles | |
nur noch schlimmer. | |
Hat man auch an ihre Tür geklopft? | |
Nein, meine Wohnung wurde nicht durchsucht. Das hat mich fast verwundert. | |
Vielleicht lag es daran, dass ich in meinem Blog keine konkrete politische | |
Stellung beziehe. Es gab aber allgemein ein großes Durcheinander, bis heute | |
sehe ich in den Repressionen, die stattgefunden haben, keine Logik. Dennoch | |
bin ich heute vorsichtiger. | |
Welche Rolle spielten Blogs zu diesem Zeitpunkt? | |
Weder die staatlichen noch die unabhängigen Medien waren in der Lage, die | |
Situation zu analysieren. Wie hätten sie auch gekonnt? Sämtliche Akteure, | |
die über die Ereignisse hätten berichten können, saßen ja hinter Gittern. | |
Schließlich waren es die Blogger, die sich als erste an das Thema | |
herantrauten. Jene, die festgenommen wurden, berichteten nach ihrer | |
Freilassung über ihre Haft und die Gerichtsprozesse. Andere erstellten | |
Linkssammlungen, trugen Artikel, Bilder und Kommentare zusammen, um eine | |
Chronologie der Ereignisse zu schaffen. Ich persönlich habe versucht, die | |
Situation zu analysieren. Ich wollte verstehen, was dort eigentlich | |
passiert ist. | |
Was war ihre Schlussfolgerung? | |
Ich habe die Ereignisse mit einem Endspiel beim Schach verglichen. Die | |
Situation war so festgefahren, dass jeder Zug der beteiligten Parteien sie | |
nur noch verschlechtern konnte. | |
In Tunesien und Ägypten sollen Blogger ja einen großen Teil zur Revolution | |
beigetragen haben. Könnte das auch in Weißrussland passieren? | |
Ehrlich gesagt beobachte ich im Moment genau das Gegenteil. Zwar werden die | |
weißrussischen Online-Communitys immer größer und es gibt immer mehr Blogs. | |
Doch diese virtuellen Gemeinschaften von Gleichgesinnten geben den Usern | |
das Gefühl von Demokratie und freier Meinungsäußerung. Sie verstecken sich | |
hinter ihren Rechnern, sie posten und tauschen Links aus, doch sie | |
riskieren nicht wirklich etwas. Sie gehen nicht auf die Straße, üben keinen | |
echten Protest. Anstatt zu den Versammlungen der Opposition zu gehen, | |
verfolgen die Menschen diese im Internet und denken, sie hätten ihre | |
bürgerliche Pflicht getan. | |
Welchen Nutzen haben Blogs dann für die weißussische Gesellschaft? | |
In Weißrussland fehlt es an Experten. Es gibt kaum kompetente Politologen | |
oder Wirtschaftsexperten, die bestimmte Sachverhalte beleuchten könnten. In | |
den traditionellen Medien fehlt es an Analysen. Wenn Blogger diese Funktion | |
übernehmen, können Sie ihren Lesern dabei helfen, politische und | |
gesellschaftliche Umstände besser zu verstehen. Ich finde aber, man sollte | |
nicht bloggen, um Einfluss zu üben. Schließlich sind Blogger keine | |
Politiker, sie sind Bürger, und somit Wähler. Der Einfluss sollte auf | |
keinen Fall zum Selbstzweck werden. | |
Und warum bloggen Sie? | |
Weil ich finde, dass bestimmte Dinge in den traditionellen Medien nicht | |
angesprochen, bestimmte Fragen nicht gestellt werden. Die Journalisten | |
wollen gewisse Dinge nicht ansprechen oder trauen sich nicht, schließlich | |
haben sie einen Job zu verlieren. Als Blogger kann ich mir das | |
herausnehmen. Doch es ist mir sehr wichtig, neutral zu bleiben. Ich spiele | |
keiner politischen Richtung zu. Vor der Wahl habe ich mich mit | |
Oppositionspolitikern getroffen, um ihnen unangenehme Fragen“ zu stellen. | |
So hieß dann auch der Blogeintrag. Der Blogger sollte ein Anarchist sein, | |
für niemand bestimmtes und gegen alle. | |
Wie sehen Sie die Zukunft der Blogs in Weißrussland? | |
Die Blogosphäre wächst, die Besucherzahlen des Portals Livejournal, wo auch | |
mein Blog liegt, sind höher als die der offiziellen Onlinepresse. Überhaupt | |
ist Livejournal unter den meistbesuchtesten Seiten in Weißrussland auf | |
Platz 4. Anscheinend sind Blogs im Moment effizienter als andere Medien. | |
Dennoch würde ich gerne irgendwann in den Journalismus zurückkehren. Aber | |
erst, wenn es in Weißrussland Medien gibt, die unabhängig von Staat oder | |
privaten Förderern funktionieren. | |
10 Apr 2011 | |
## AUTOREN | |
Alexandra Friedmann | |
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