# taz.de -- Kolumne Gott und die Welt: Eine Frage der Ehre | |
> Über Reputation und Wahrheit in der Wissenschaft - und darüber, warum | |
> Götz Alys Professur-Antrag abgelehnt wurde. | |
Die Wissenschaft kommuniziert über mindestens zwei Codes: Über "Wahrheit" | |
und "Reputation". Während "Wahrheit" ein leicht verderbliches Gut ist, da | |
es ja Ziel der Wissenschaft ist, sich stetig selbst zu überholen, scheint | |
"Reputation" haltbarer zu sein: "Reputation" wird nicht irgendwelchen | |
unwiderlegten Annahmen über Zustände der Welt zugesprochen, sondern jenen | |
Personen, die diese Annahmen machen und begründen. Ihnen wird bestätigt, | |
dass sie sich vorbildlich angestrengt, besonders anregende Vermutungen | |
formuliert oder ganz neue, überraschende Perspektiven auf ihren | |
Gegenstandsbereich geworfen zu haben. | |
Ausgezahlt wird die Währung Reputation in Titeln, in Geld oder auch im | |
Zitiertwerden in wiederum besonders reputierlichen Publikationsorganen. | |
"Reputation" ist eine Form der Ehre und die Zuerkennung von "Ehre" eine | |
Form der Anerkennung. | |
Bisweilen sind mit der Verleihung eines akademischen Titels auch | |
Handlungsmöglichkeiten verbunden: Universitäre Lehrbeauftragte etwa | |
erhalten zwar kaum Honorar, haben aber die Möglichkeit, sich im Dozieren | |
und Diskutieren mit interessierten jungen Leuten zu üben. Ähnlich, aber | |
etwas wertvoller, weil knapper, verhält es sich mit dem Titel des | |
Professors, der bekanntlich in Geld gewogen wird oder nur eine reine Ehre | |
darstellt: eben der "Honorarprofessor". Irgendwo dazwischen notiert der | |
Titel des "Außerplanmäßigen Professors", des "apl. Prof.", der für kein | |
Geld alle Funktionen eines Professors wahrnehmen darf: Forschung, Lehre, | |
Prüfung, Begutachtung. | |
Ende letzten Jahres wurde für den Zeitgeschichtsforscher Götz Aly am | |
traditionsreichen, politologischen Otto-Suhr-Institut der Freien | |
Universität Berlin der Titel eines "apl. Professors" beantragt, ein Antrag, | |
der unter anderem durch ein Gutachten des höchst renommierten Historikers | |
Hans Mommsen gestützt wurde. Aly, dessen Arbeiten zur | |
nationalsozialistischen Vernichtungspolitik, zum Schicksal jüdischer Opfer | |
sowie zur Finanz- und Wirtschaftsverfassung des rassistischen, | |
nationalsozialistischen "Sozialstaats" Furore gemacht und die etwas behäbig | |
gewordene Zeitgeschichtsforschung aufgemischt haben, hat seine anregenden, | |
wohl begründeten Erkenntnisse außerhalb des Trampelpfades der Institution | |
geschaffen. | |
Alys Antrag wurde Ende dieses Wintersemesters nach einigem Hickhack und | |
Gekrampfe mit dem "Argument" abgelehnt, dass es sich bei seinen Arbeiten um | |
Arbeiten historischen, nicht politologischen Charakters handele. Sogar wenn | |
man davon absieht, dass in keinster Weise geklärt ist, was eine | |
unverwechselbar "politologische" Vorgehensweise ist, bezeugt diese Intrige | |
vor allem eines: Unkenntnis der eigenen Tradition und ein Missverständnis | |
des eigenen Fachs, der eigenen Tradition. So ist gar nicht einzusehen, | |
warum die Analyse eines historischen politischen Systems keine Politologie | |
sein soll, warum am OSI zwar Kurse über die politischen Theorien der Antike | |
angeboten werden, aber die NS-Zeit nichts mit Politik zu tun haben soll. | |
Die von den derzeit am OSI einflussreichsten Professoren, Tanja Börzel und | |
Thomas Risse - der Flurfunk nennt sie mit ihren eigenen Worten | |
"Beutegemeinschaft" - betriebene Ablehnung von Alys Antrag bezeugt vor | |
allem eines: Unbildung und Verkennung der eigenen Disziplin, der | |
politischen Wissenschaft. Unter den nach 1948 herausragenden akademischen | |
Lehrern am OSI sind vor allem Ernst Fraenkel, Richard Löwenthal und Ossip | |
Flechtheim zu nennen: Ernst Fraenkel, der das Grundlagenwerk zur | |
politologischen Analyse des Nationalsozialismus verfasst hatte, war | |
ursprünglich Arbeitsrechtler; Richard Löwenthal Nationalökonom und | |
Soziologe; Ossip Flechtheim schließlich Jurist und Staatswissenschaftler. | |
Götz Aly immerhin hatte sich am Otto-Suhr-Institut in Politikwissenschaft | |
habilitiert. Prof. Tanja Börzel übrigens weiß oder wähnt zu wissen, was | |
Reputation ist: Auf ihrer Homepage sind Preise und Stipendien, die sie | |
erhalten hat, penibel aufgelistet: zuletzt der "Preis der Federalist | |
Association der American Political Science Association", nein, nicht etwa | |
für ein Buch, sondern: "für das beste Paper 2007". | |
Aber sogar wenn man das ganze Ehrgedusel einklammert, bleibt ein wirklicher | |
Skandal, der der politischen Kultur dieses Landes Schaden zufügt und nichts | |
anderes als eine massive Form institutioneller Verdrängung darstellt: Mit | |
der Ablehnung des akademischen Lehrers Götz Aly hat das Otto-Suhr-Institut | |
zu Protokoll gegeben, dass Erkenntnisse über das politische System des | |
Nationalsozialismus für Politikwissenschaftler unerheblich sind. Könnte ja | |
sein, dass derlei die schöne neue Welt der "Governance" stört. Der neue | |
Präsident der FU sollte sich Sorgen machen: Wenn am OSI noch lange so | |
weitergewirtschaftet wird, ist der Laden verramscht und - nun sind wir doch | |
wieder bei der Ehre - das Renommee der FU ernstlich angekratzt. | |
11 Apr 2011 | |
## AUTOREN | |
Micha Brumlik | |
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