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# taz.de -- Situation von Doktoranden: Die Lüge von der Ehre
> Seit der Causa Guttenberg im Blickfeld: Für die Karriere und ein gutes
> Verhältnis zum Doktorvater müssen Promovenden Armut und Ausbeutung in
> Kauf nehmen.
Bild: Viele Promovierende gelangen nie zum Abschluss.
In einer normalen Woche verbringt Michael Dauner etwa 45 Stunden im Labor.
Stehen Experimente an, werden daraus leicht 60 Stunden. Und da Dauner dann
mindestens alle zwölf Stunden nach seinen Labormäusen sehen muss, klingelt
der Wecker manchmal nachts um zwei Uhr, die Wochenenden eingeschlossen. Die
Mäuse im Labor haben Lungenentzündung, Erkenntnisse sollen aber für die
Krankheit beim Menschen gewonnen werden, denn Dauner promoviert in
Humanmedizin und das Ganze ist sein Projekt. Eigentlich.
Eigentlich besitzt Michael Dauner aber auch einen anderen Namen, und dass
das wirklich sein Projekt ist, daran hat er inzwischen selbst Zweifel.
Fast drei Jahre arbeitete Dauner an seiner Doktorarbeit, er hielt sich mit
Nebenjobs und Zuwendungen der Eltern über Wasser. Am Ende wollte er seine
Ergebnisse wie vorgeschrieben publizieren, er hätte dann seinen Doktortitel
und eine eigene Arbeit, die ihm den Weg in die Wissenschaft ebnen könnte.
Stattdessen fand Dauner seine Resultate in einem Fachartikel wieder,
veröffentlicht unter dem Namen seines Betreuers.
Dauner rangierte unter der Kategorie "Mitarbeit" an dritter Stelle.
## Professoren wie Götter
Wer in Deutschland promoviert, begibt sich in den meisten Fällen in ein
einseitiges Abhängigkeitsverhältnis. Der Doktorand ist Schüler, Zögling,
Untergebener; der Professor ist Meister, häufig Arbeitgeber und vor allem
auch: Prüfer. "Die Professoren sind wie Götter", sagt eine mit jahrelanger
Erfahrung im Wissenschaftsbetrieb.
Jährlich werden in Deutschland 26.000 Promotionen vorgelegt, mehr als die
Hälfte davon allein im medizinischen Bereich. In der Medizin, aber auch in
den Naturwissenschaften gilt ein Doktortitel als Karrierevoraussetzung.
"Wer promoviert hat, zeigt, dass er gut und sauber arbeiten kann", sagt
Ernst Schmachtenberg, Rektor der Elite-Uni RWTH Aachen und Chef des
mächtigen Verbands technischer Hochschulen.
Das Hochschulsystem gleicht einer Pyramide. Wer ganz oben angekommen ist
und als ordentlicher Professor berufen wurde, hat bis zur Rente ausgesorgt.
In der Hoffnung auf einen Platz an der Spitze der Pyramide schuften rund
150.000 wissenschaftliche Mitarbeiter im sogenannten Mittelbau zu
bescheidenen Bedingungen. Die übergroße Mehrheit, rund 80 Prozent, hangelt
sich von Zeitvertrag zu Zeitvertrag, wie im März eine Studie des
Hochschulforschungsinstituts HIS im Auftrag der Bundesregierung offenlegte.
Nebenher schreiben viele von ihnen eine Doktorarbeit oder arbeiten an ihrer
Habilitation - immerhin verfügen sie mit dem Uni-Job über ein geregeltes
Einkommen. Die gleichzeitige Anstellung als wissenschaftlicher Mitarbeiter
kann die Arbeit an der Promotion aber massiv verzögern. Denn wer nebenher
dem Lehrstuhlchef zuarbeiten, Seminare abhalten und Hausarbeiten
korrigieren soll, dem bleibt nicht viel Zeit für die eigene
Qualifikationsarbeit.
Nur wenige Doktoranden kommen in den Genuss eines Stipendiums. Damit bleibt
mehr Zeit für die Doktorarbeit, aber gleichzeitig droht Vereinsamung. Und
vom Meister-Schüler-Verhältnis zum Doktorvater ist man damit auch nicht
befreit.
## "Abhängigkeit ist eine Scheißsituation"
Dass Betreuer und Prüfer in einer Person vereint sind, ist im Ausland
unüblich. Für deutsche Doktoranden bedeutet es, dass sie es sich mit ihren
Betreuern auf gar keinen Fall verscherzen dürfen. Denn die sitzen immer am
längeren Hebel.
Michael Dauner drückt das so aus: "Es ist eine Scheißsituation, wenn man
abhängig ist." Der Fehler steckt im System, findet Dauner, denn es bleibt
dem Schicksal überlassen, "was für ein Typ dein Betreuer ist".
Der Doktorvater von Rajah Scheepers war ein umgänglicher Typ. Sie konnte
nett mit ihm über jedes Thema plaudern - nur nach ihrer Arbeit erkundigte
er sich kaum. "Die inhaltliche Betreuung existierte praktisch nicht",
stellt die Frau mit den verwuschelten blonden Haaren knapp fest. "Offenbar
hat er, so wie die meisten Professoren, gedacht: Das wird schon alles von
selber laufen."
In einer Studie aus dem Jahr 2005 gab nur die Hälfte der befragten
Doktoranden an, regelmäßig mit ihrem Betreuer den Stand der Dinge zu
besprechen. Weniger als ein Fünftel reichte regelmäßig fertige Kapitel der
Arbeit an ihren Betreuer weiter. Und noch weniger Befragte berichteten,
dass gemeinsame Vereinbarungen von ihrem Betreuer eingehalten und
Zeitpunkte für den Abschluss einzelner Teile vereinbart wurden.
Viereinhalb Jahre arbeitet ein Doktorand durchschnittlich an seiner
Promotion. Rajah Scheepers reichte ihre kirchenhistorische Abhandlung über
die Landgräfin Anna von Hessen schon nach drei Jahren ein. Und wartete.
Zweieinhalb Jahre nachdem sie die Arbeit im Dekanat abgegeben hatte, wandte
sich ihr Doktorvater schließlich dem 250 Seiten starken Manuskript zu. Sein
Urteil war verheerend: "Der Professor war entsetzt, weil ich - entgegen
seiner Vorstellung - Erkenntnisse der feministischen Theologie einbezogen
hatte."
Nach seinem Gutachten schien ihre wissenschaftliche Karriere beendet zu
sein. Zur Habilitation werden im Allgemeinen nur Promovenden zugelassen,
die mit Bestnote bestanden haben.
## Graduiertenkollegs helfen
Gegen die Einsamkeit des Doktoranden und das Ausgeliefertsein gegenüber
Doktorvater oder Doktormutter sollen Doktorandenschulen und
Graduiertenkollegs helfen. Seit Mitte der achtziger Jahre wird versucht,
damit die bekannten Probleme anzugehen. Massiv gefördert werden
Graduiertenkollegs aber erst seit 2006 im Rahmen der Exzellenzinitiative.
Der Vorteil für die Doktoranden: Die Auswahl erfolgt nach wettbewerblichen
Kriterien, es gibt transparente Regeln und ein promotionsbegleitendes
Studienprogramm. Allerdings promovieren nach Schätzung der Deutschen
Forschungsgemeinschaft (DFG) nur 10 bis 20 Prozent der Doktoranden bereits
in solchen leicht verschulten Bahnen.
Die meisten Promotionen dienen dabei gar nicht als Eintrittskarte in eine
wissenschaftliche Karriere. Nur vier von zehn Promovierten bleiben an der
Universität, zeigt eine DFG-Erhebung aus dem Jahre 2009. Die Mehrheit
verlässt nach der Promotion die Uni und versucht ihr Glück auf dem freien
Arbeitsmarkt. Der Doktortitel ist dabei hilfreich - jeder vierte Absolvent
mit Doktortitel hat eine leitende Tätigkeit.
"Der Titel ist auf jeden Fall karrierefördernd", meint Anke Burkhardt vom
Hochschulforschungsinstitut in Wittenberg. Die Wissenschaftlerin leitet das
Team, das 2008 im Auftrag der Bundesregierung den ersten bundesweiten
Bericht zur Situation des wissenschaftlichen Nachwuchses (Buwin) vorlegte.
Den meisten Doktoranden geht es nach eigenen Angaben aber nicht um Geld und
Titel, sie plagen sich aus höheren Motiven. "Die überwiegende Mehrheit
promoviert aus Interesse am Thema", berichtet Burkhardt.
Trotzdem gelangen viele Promotionsvorhaben nie zum Abschluss. Offizielle
Zahlen zur Abbrecherquote gibt es nicht, schließlich existiert nicht einmal
ein rechtlicher Doktorandenstatus. Schätzungen, etwa im Buwin-Bericht,
gehen aber von bis zu zwei von drei Promotionswilligen aus, die wieder
Abstand von der Doktorarbeit nehmen oder diese abbrechen. Als häufigsten
Grund geben die Abbrecher an: die Belastung durch gleichzeitige
hochschulische Berufstätigkeit.
## Titel bringt Prestige
Dass dennoch so viele Promotionen begonnen werden, liegt vermutlich auch an
dem gesellschaftlichen Prestige, das mit dem Titel noch immer verbunden
wird.
Rajah Scheepers hat durchgehalten. Dass sie heute in der Lage ist, an ihrer
Habilitation zu arbeiten, verdankt sie einem weiteren allmählichen Wandel
an den Hochschulen. "Neben den ,Old-Boys-Networks' entstehen auch
Frauennetzwerke", erzählt Scheepers, "meine Mentorin bestärkte und
ermutigte mich, den Traum von der Professur nicht aufzugeben."
Die Volkswagen-Stiftung finanzierte ihr Projekt, ein anderer Professor nahm
sich ihrer Habilitation an - "obwohl es für ihn ein Wagnis war und es lange
dauerte, das Vertrauen der Scientific Community zurückzugewinnen." Mit der
Betreuung ist sie nun hochzufrieden. Alle drei Monate trifft sie sich mit
ihrem Betreuer und legt Rechenschaft über ihre Erkenntnisfortschritte ab.
"Ich höre nicht, wie toll alles ist, sondern bekomme eine qualifizierte
Rückmeldung und Ermutigung auf dem Weg zur Professur. Und darum geht es."
13 Apr 2011
## AUTOREN
A. Lehmann
N. Wirminghaus
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