# taz.de -- Outsourcing bei den Talkshows: Das Märchen vom Marktwert | |
> Warum so viele Polittalkshows in den öffentlich-rechtlichen | |
> Fernsehsendern von Firmen der Moderatoren produziert werden. Und: Wer | |
> profitiert eigentlich von den Millionendeals? | |
Bild: Der Fernsehmoderator Günter Jauch präsentiert eine Wein-Auswahl von sei… | |
BERLIN taz | Könnt ihr das nicht selbst?" Diese Frage stellten Zuschauer | |
immer wieder, sagt Andreas Cichowicz, Chefredakteur des NDR-Fernsehens. Es | |
geht dabei um die Produktion von ARD-Talkshows wie "Anne Will" und | |
"Beckmann", die der NDR fürs Erste beisteuert. Auch beim WDR ist das | |
üblich, etwa bei Frank Plasbergs "Hart aber fair". | |
Die ARD lagert die Produktion an Firmen aus, an denen die Moderatoren | |
beteiligt sind. Sie zahlt im Rahmen eines Zwei- oder Dreijahresvertrags | |
eine fixe Summe für Produktionskosten, Redaktion und Moderation. Das | |
Moderatorenhonorar betrage dabei bis zu 20.000 Euro pro Sendung, sagt Heiko | |
Hilker, Rundfunkratsmitglied beim MDR. | |
Cichowicz erklärt, man vergebe die Aufträge nach außen, "damit das | |
unternehmerische Risiko nicht beim Sender hängen bleibt. Würden wir eine | |
Sendung wegen Erfolglosigkeit einstellen, müssten wir die Mitarbeiter | |
weiterbeschäftigen." Für die Übernahme des "Risikos" würden die Firmen dann | |
auch "ordentlich bezahlt". | |
Mancher in den Gremien der ARD empfindet die Höhe der Zahlungen wohl als | |
überaus "ordentlich", sonst würden nicht Verträge mit den Talkfirmen publik | |
werden. Die Süddeutsche Zeitung bekam im Jahr 2003 interne Dokumente zu | |
"Sabine Christiansen" zugespielt, aus denen hervorging, dass in den Jahren | |
2004 bis 2006 stolze 9,2 bis 9,5 Millionen Euro an TV 21 flossen, die Firma | |
der Gastgeberin. | |
Im Jahr 2010 bekam die Bild-Zeitung Einblick in die finanziellen Details zu | |
dem ab Herbst dieses Jahres geltenden ARD-Vertrag mit Günther Jauch. Pro | |
Jahr und Staffel sollen 10,5 Millionen Euro an dessen Firma I&U gehen. | |
## Wer produziert wie? | |
Die Konstruktionen variieren: Bei "Menschen bei Maischberger" mischen zwei | |
Produktionsfirmen mit, an einer davon ist die Moderatorin beteiligt. Auch | |
die Genese der Geschäftsmodelle ist unterschiedlich: Die Will-Vorgängerin | |
und ebenfalls Ex-"Tagesthemen"-Moderatorin Sabine Christiansen absolvierte | |
1998 und 1999 ihre ersten beiden Jahre als ARD-Sonntagstalkerin noch in | |
ihrer Eigenschaft als Festangestellte beim NDR. | |
Ihre Kollegin Maybrit Illner ist nach wie vor beim ZDF beschäftigt. Die | |
teilweise festen, teilweise freien Redakteure sind es ebenfalls. Als | |
Produktionsfirma in diesem sehr öffentlich-rechtlichen Modell fungiert | |
doc.station, eine 100-prozentige Tochter von ZDF Enterprises, die wiederum | |
komplett dem ZDF gehört. | |
Wie läuft die Zusammenarbeit zwischen Sendern und Firmen? Die Redaktion von | |
"Anne Will", ansässig bei deren Firma Will Media, besteht aus 13 | |
Journalisten, die Thema und Gäste auswählen; beim NDR ist eine betreuende | |
Redakteurin aus der Abteilung Innenpolitik im Einsatz. Bei "Menschen bei | |
Maischberger" (WDR) ist das Verhältnis 7:1. | |
Cichowicz, als NDR-Chefredakteur für "Anne Will" verantwortlich, sagt: "Mit | |
den Besetzungsvorschlägen sind wir überwiegend einverstanden. Die Latte | |
dafür, dass ich sage, dieser oder jener Gast kommt nicht in die Sendung, | |
ist relativ hoch. Das passiert ein- bis zweimal pro Jahr." | |
Seine Aufgabe, so Cichowicz, sei es zudem, darauf zu achten dass die | |
Gästelisten ausgewogen seien. Es sei kein Problem, wenn in einer Sendung | |
mal ein Übergewicht an konservativen Gästen herrsche, übers Jahr gerechnet | |
gebe es jedoch ein Gleichgewicht zwischen den politischen Lagern, das könne | |
er "belegen", sagt Cichowicz. | |
Die Arbeitsgemeinschaft Dokumentarfilm, deren Mitglieder für den | |
Talk-Fetischismus der ARD-Manager mit schlechten Sendeplätzen büßen müssen, | |
kritisiert die Outsourcing-Praxis: "Der Wille zur redaktionellen | |
Gestaltung" sei "nicht mehr erkennbar." | |
Auch von anderen Fronten, etwa von der CDU, kommt Kritik. Die | |
"Mobilisierung hoher Beträge für Spitzenmoderatoren" wie Jauch sei ein | |
Zeichen für den "schleichenden Prozess der Selbstkommerzialisierung" der | |
Öffentlich-Rechtlichen, meint Johannes Beermann, Chef der sächsischen | |
Staatskanzlei. | |
Das Thema Auftragsproduktionen für Moderatorenfirmen gewinnt in diesen | |
Monaten noch einmal an Bedeutung, weil die Eingemeindung Günther Jauchs in | |
die ARD-Talkertruppe einen neuen Produktionssummenrekord mit sich bringt. | |
Die den Öffentlich-Rechtlichen wenig freundlich gesinnte Bild rechnete | |
genüsslich vor, dass "Anne Will" - mit einem Minutenpreis von 3.164 Euro | |
bisher der teuerste öffentlich-rechtliche Talk - von Jauchs Sendung (4.487 | |
Euro) bald klar übertroffen wird. Wobei laut der letzten Statistik der | |
Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten (KEF) | |
wiederum eine Sendeminute Will bereits mehr als doppelt so viel kostet wie | |
eine Minute Maischberger (1.552). | |
"Bemerkenswert ist dieser Kostenunterschied angesichts vergleichbarer | |
Sendeformate", findet die KEF. Interessant an solchen Rechenspielen ist | |
dabei, dass 60 Sekunden Jauch künftig auch mehr kosten werden als die | |
durchschnittliche Sendeminute eines journalistisch deutlich aufwendigeren | |
ARD-Politmagazins (gemäß letzter KEF-Berechnung 3.764 Euro). | |
## Wie viel ist Jauch wert? | |
Als die Zahlen aus dem Jauch-Vertrag publik wurden, rechtfertigte die | |
damalige Vorsitzende des NDR-Rundfunkrats, Dagmar Gräfin Kerssenbrock, die | |
Höhe mit den Worten, "der Marktwert" Jauchs sei höher als der Anne Wills. | |
Das sieht MDR-Rat Hilker anders: Von einem "Marktwert" könne man nur dann | |
reden, wenn es noch einen Sender gäbe, der bereit wäre, Jauch diese Summe | |
zu bezahlen. Im Fall Jauch/ARD sei "der Marktwert die Forderung", sagt | |
Hilker. | |
Dem Bürger seien derartige Geldflüsse nicht mehr vermittelbar, ergänzt der | |
Kontrolleur. Wie groß die Skepsis sei, zeige auch die Kritik an dem | |
Honorar, das für Monica Lierhaus als neues Gesicht der "Glücksspirale" | |
vorgesehen ist. | |
Wer angesichts der schwindelerregenden Zahlen glaubt, auch die Gäste würden | |
passabel entlohnt, liegt falsch. Für einen Auftritt bei "Anne Will" etwa | |
gebe es in der Regel kein Geld, sagt Andreas Cichowicz, "nur wenn ein Gast | |
eine Arbeit abbrechen muss, bekommt er eine Aufwandsentschädigung von | |
maximal 500 Euro". | |
Angesichts der hohen Summen, die an die Firmen fließen, hält Heiko Hilker | |
es für grundsätzlich problematisch, dass nur die Rundfunkräte weniger | |
ARD-Anstalten den Verträgen zustimmen müssen. | |
#Ob dies der Fall ist, hängt von den entsprechenden Regelungen in den | |
Landesrundfunkgesetzen ab. Ein Beispiel: Zum Jauch-Deal steuert der MDR nur | |
1,1 Millionen Euro bei - eine Zustimmung wäre aber erst ab 5,1 Millionen | |
Euro erforderlich. Den Vertrag für die neue Jauch-Show mussten drei Räte | |
absegnen: die von NDR, WDR und SWR. | |
## Was wären Alternativen? | |
Wenn man die Talks schon extern produziere, müsste das Geld keineswegs an | |
die Firmen der Moderatoren gehen, sagt Hilker. Es könnte auch quasi in der | |
Familie bleiben. Er schlägt vor, dass hier die diversen | |
privatwirtschaftlich agierenden TV-Produktionstöchter zum Einsatz kommen, | |
die Teil verschachtelter Firmenimperien wie Studio Hamburg (NDR), Drefa | |
Media Holding (MDR) und Bavaria Film (unter anderem WDR, SWR, MDR) sind. | |
Zumindest zur Hälfte verwirklicht ist Hilkers Vorschlag bei "Beckmann". Die | |
Produktionsfirma Beckground ist ein Joint Venture von Moderator Beckmann | |
und Cinecentrum, einer mittelbaren NDR-Tochter. | |
Wenn ein Moderator oder eine Moderatorin an der Produktionsfirma beteiligt | |
ist, ist das Unternehmen gegenüber dem Sender in einer relativ starken | |
Position. Ist das Gesicht der Show beim Sender eingestellt, ist es | |
umgekehrt. | |
Aktuelles Beispiel: "Maybrit Illner" sendet seit dem 31. März aus einem | |
kleineren Studio des Berliner ZDF-Quartiers Zollernhof. Das ist vielleicht | |
nicht unbedingt schlecht für die Show, weil in diese Räume genauso viel | |
Zuschauer passen wie in die alten. Ganz bestimmt ist es gut für das ZDF: | |
Nachdem die Produktionsfirma doc.station für Illners Show bisher rund 40 | |
freie Mitarbeiter eingesetzt hatte, sind es nunmehr bloß noch die Hälfte. | |
Der Sender spart also Geld. Ob sich jemand wie Günther Jauch Ähnliches | |
jemals wird gefallen lassen? | |
15 Apr 2011 | |
## AUTOREN | |
René Martens | |
## ARTIKEL ZUM THEMA |