# taz.de -- Italienischer Radsport: Bombenbauer in der Po-Ebene | |
> Im Visier der italienischen Dopingfahnder ist der Chemiker und Apotheker | |
> Guido Nigrelli. Er soll vor allem das Team Lampre mit Dopingmitteln | |
> versorgt haben. | |
Bild: Unter Kontrolle: Urinproben von Radsportlern. | |
Jetzt hat es auch der größte Olympier Italiens kapiert. "Der Radsport ist | |
nicht mehr glaubwürdig", sagte der Präsident des italienischen Olympischen | |
Komitees Coni, Gianni Petrucci. Er kündigte gemeinsam mit Radsportpräsident | |
Renato di Rocco vierjährige Strafen für erwischte Doper an. | |
Am 4. Mai, drei Tage vor dem Start des Giro dItalia, soll der neue | |
Strafkatalog verabschiedet werden. Er sieht ebenfalls einen Ausschluss der | |
Trainer und Betreuer vor, die das Doping organisiert haben. Wer seit 2008 | |
in Dopingverfahren verwickelt war, soll zudem nicht mehr für | |
Weltmeisterschaften und Olympische Spiele berücksichtigt werden. | |
Die Entschlossenheit der Funktionäre ist eine direkte Reaktion auf die | |
Entschlossenheit der italienischen Dopingjäger. Die Staatsanwaltschaft in | |
Mantua ermittelt seit 2008 gegen den diplomierten Chemiker und Apotheker | |
Guido Nigrelli. Sie wirft ihm vor, ein Dopingprogramm für das Team Lampre | |
organisiert zu haben. 31 Personen, darunter 16 Radprofis, stehen unter | |
Verdacht. Prominenteste Namen sind Ex-Weltmeister Alessandro Ballan (jetzt | |
Team BMC), Lampre-Kapitän Damiano Cunego und der frühere Giro-Dritte Marzio | |
Bruseghin (jetzt Movistar). | |
## Carabinieri bei Katjuscha | |
In diesen Tagen soll ein Gericht entscheiden, ob die Indizien zur | |
Anklageerhebung ausreichen. Die Staatsanwaltschaft Padua schickte derweil | |
Carabinieri zum Gardasee, um am Unternehmenssitz des russisch finanzierten | |
Teams Katjuscha Unterlagen zu Blutwerten von fünf russischen Fahrern, | |
darunter der zweifache Vizeweltmeister Alexander Kolobnew und der frühere | |
Gewinner des weißen Trikots bei der Tour de France, Wladimir Karpets, zu | |
erlangen. | |
Die Staatsanwälte haben Hinweise auf eine Zusammenarbeit dieser Fahrer mit | |
dem Dopingarzt Michele Ferrari. Katjuscha-Chef Andrej Tschmil gab die | |
gewünschten Unterlagen heraus. Er verwies darauf, dass die Verträge mit den | |
Profis einen Passus enthalten, laut dem bei Doping eine Strafe in | |
fünffacher Höhe des Jahresgehalts fällig wird. | |
Die Staatsanwälte aus Padua gaben auch eine Razzia in einem Hotel am Ätna | |
in Auftrag. Dort bereitet sich Michele Scarponi auf eine der | |
spektakulärsten Etappen des kommenden Giro vor. Die Staatsanwaltschaft | |
vermutet laut Informationen von AP, dass Scarponi, der bereits zum Kreis | |
der Fuentes-Klienten gehörte und einen Strafnachlass wegen Aussagen zu | |
dessen Dopingnetz außerhalb Spaniens erhalten hat, ebenfalls mit Ferrari | |
kollaboriert. | |
Scarponi gehört seit Saisonbeginn zu Team Lampre. Er ist nicht in die | |
Ermittlung aus Mantua verwickelt. Das Zusammentreffen dieser beiden | |
Operationen führte aber nun dazu, dass Teamchef Giuseppe Saronni seinen | |
Rücktritt angekündigt hat. "Ich will Platz für einen Neuanfang machen", | |
sagte der frühere Weltmeister und zweifache Giro-Sieger. Mit ihm sollen | |
zwei weitere sportliche Leiter gehen. Neuer Teamchef wird italienischen | |
Medienangaben zufolge Roberto Damiani (derzeit Omega Pharma Lotto). | |
## "Das ist Rufschädigung" | |
Saronni hatte bislang stets die Vorwürfe des Teamdopings beim Team Lampre | |
abgestritten. "Wir haben nur offiziell erlaubte Medikamente bei Nigrelli | |
geordert", sagte er der taz. Auch Nigrelli wies jeden Verdacht von sich. | |
"Das ist Rufschädigung", klagte er bei einem Besuch in seiner Apotheke im | |
letzten Jahr. Weder er noch Saronni konnten freilich begründen, warum der | |
Apotheker eines 720-Seelen-Dorfes in der Po-Ebene Leistungstests bei einem | |
Rennstall der ersten Kategorie durchführt. | |
Eine Recherche in Mariana Mantovana brachte weitere Merkwürdigkeiten | |
zutage. Nigrellis Nachbarn berichteten mit einer Mischung aus Stolz und | |
Sensationslust von dessen Aktivitäten. "Ich nenne ihn immer 'unseren | |
kleinen Chemiker', denn er baut die 'Bomben' für die Radprofis", erzählte | |
freimütig der Barmann des Cafés am Marktplatz. Viele Gesichter, die ihm aus | |
der Gazzetta dello Sport bekannt sind, habe er hier gesehen. | |
"Die meisten haben bei mir einen Kaffee getrunken", sagte er im Gespräch | |
mit der taz. Sowohl Lampre-Profis als auch Angestellte anderer Teams seien | |
unter ihnen gewesen. "Sie kamen mit Autos, manche mit dem Rad und sogar mit | |
dem Hubschrauber sind einige hier gelandet", schließt er seinen Bericht. | |
Bis zum Bekanntwerden der Ermittlungen im Jahre 2009 dauerten die | |
prominenten Besuche an. Jetzt endlich drohen Konsequenzen für die | |
Ausflügler in die Po-Ebene. | |
18 Apr 2011 | |
## AUTOREN | |
Tom Mustroph | |
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