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# taz.de -- Kinofilm über Tschernobyl: Schwur aufs Parteibuch
> "An einem Samstag" von Alexander Mindadze nähert sich der
> Reaktorkatastrophe von Tschernobyl. Mit einer entfesselten Handkamera.
Bild: An einem Sonnabend Ende April 1986 erfreuen sich die Menschen in Pripjat …
An einem Sonnabend Ende April 1986 erfreuen sich die Menschen in Pripjat
der Frühlingssonne, heiraten, machen Party, saufen und raufen. Filmheld
Valerij macht mit, obwohl er weiß, dass soeben das Atomkraftwerk
Tschernobyl explodiert ist, nur drei Kilometer entfernt. Und er sagt der
Frau, die er liebt, und seinen Freunden, mit denen er feiert, nichts.
Den Film hindurch guckt Anton Shagin beleidigt und verhält sich machomäßig.
Warum? Ist das ein Problem? Es ist das Problem des Films. Denn der
Schweigende ist Vertreter der Partei im Kraftwerk, und er hat dem
Vorgesetzten tags zuvor geschworen, und zwar auf das Parteibuch, von der
Explosion nichts zu erzählen. Und dann geht das auch nicht. Das Parteibuch,
Mann!!
Ist man bereit, das Schwurproblem nachzuvollziehen, läuft der Film prima.
Gleich in der ersten Sequenz läuft der Parteivertreter die drei Kilometer
von der Stadt zum Werk durch dichtes Gebüsch, fallend, sich aufrappelnd,
sich zwängend. Warum eigentlich über Stock und Stein und durch dichtes
Unterholz? Diese Frage zu stellen, hieße die geniale Kameraarbeit
verkennen.
Denn wir sehen Valerij stets in Großaufnahme. Die Handkamera weiß zu
fokussieren. Der Erfolg ist Hektik. Wir dürfen sie den Film hindurch
erleben. Nach Gründen zu fragen, wäre ein anderer Fokus, intellektuell. Wir
aber sind zur Sonnabendsparty eingeladen. Valerij wird Schlagzeug spielen,
groß im Bild, wie immer dumpf brütend und beleidigt, aber belebt durch die
uns schon bekannte Handkamera. Die Feiernden hören wir. Untertitel
übersetzen uns, was aus vollem Herzen gegrölt wird. "Ach, heißa, dreht euch
immer schneller."
## Loblied auf die neue Freundschaft
Okay, akademisch gesittet wäre das der Tanz auf dem Vulkan. Einige wenige
Totalansichten vom brennenden Meiler lassen denn dann doch Böses ahnen.
Aber egal. "Egal wie weit die Strahlen reichen, den russischen Schwanz
werden sie nicht erreichen." Darüber könnte man sinnieren, wenn die Kamera
nicht immer wieder auf die böse Miene des laufenden Parteivertreters
verwiese. Soll ich mich mit ihm identifizieren, der von seiner Clique mit
Freuden wieder aufgenommen wird, nachdem er sie zuvor bei der Sicherheit
denunziert hatte (Songtext war auf Englisch gewesen!)?
Er ist auf dem Bahnhof, aber er steigt nicht ein. Er springt auf einen Lkw,
dann springt er wieder ab. Im Finale liegt er total besoffen auf einem
Kahn. Die Freunde schaffen es, ihn auf dem Wasserwege nach Gomel zu
bringen, am zerstörten AKW vorbei. Mit einem Loblied auf die neue
Freundschaft zwischen Partei und Volk findet der Tschernobyl-Film sein
Ende.
Wenn der Zuschauer ganz tapfer ist und den Schwur auf das Parteibuch
ausblendet - und damit auch den schauspielernden Schauspieler Anton Shagin
-, bleiben die entfesselte Kamera Oleg Mutus (Goldene Palme für "4 Monate,
3 Wochen und 2 Tage") und die erstaunliche Präsenz der sympathischen
Schauspielerin Svetlana Smirnova-Marcinkevich, 24, ihre erste Hauptrolle in
einem Film.
Sie spielt die Vera, die Freundin des Mannes, von dem ich nicht mehr reden
will, gehorcht dem Macho und tut doch, was sie will. Dem Regisseur und
Drehbuchautor Alexander Mindadze ("Soar") ist es zu danken, dass sie
Gegenspielerin zur laufenden Hektik wird wie in der Szene, in der aus
heiterem Himmel (aber es ist auch der erste schöne Frühlingssonnabend) Zeit
über Zeit ist, im Schuhladen in aller Ruhe ein Dutzend Schuhe zu probieren.
Blau? Rot? Hacken noch höher? Das ist es.
20 Apr 2011
## AUTOREN
Dietrich Kuhlbrodt
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