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# taz.de -- Das Filmfestival Istanbul: Guerilla-Filmmaking
> Das Filmfestival Istanbul bewies in diesem Jahr viel Gespür für die
> drängenden Fragen der Gegenwart. Der Hauptpreis ging an den ägyptischen
> Underground-Film "Microphone".
Bild: Szene aus "Press" von Sedat Yilmaz.
Eine Gitarre, ein Schlagzeug, eine Bühne aus Baupaletten. Eine Sprühdose,
Schablonen, eine billige Kamera - und natürlich: ein Mikrofon. Das sind
basale Handwerkszeuge für die Künstler aus Alexandrias Undergroundszene in
Ahmed Abdallahas Film "Microphone" und im Zweifelsfall das Einzige, auf das
sie sich verlassen können.
Nicht verlassen können sie sich auf den Kulturverweser der Förderanstalten,
der Gelder und Auftrittsmöglichkeiten nur gegen brave Staatskunst tauscht.
Unter Anleitung des gerade aus den USA heimgekehrten Khaled entsteht
deshalb bald der Plan, die Energien für ein Do-it-yourself-Festival zu
bündeln.
"Microphone" ist der zweite Film des Ägypters Ahmed Abdallah und der
passende zur Zeit. Kaum glauben will man, dass er schon zwei Wochen vor der
Revolution in die ägyptischen Kinos kam, so detailliert, so lebensprall
zeichnet er das Stimmungsbild eines Landes, in dem sich der Widerspruch
zwischen Freiheitssehnsucht und Staatswalten nicht mehr versöhnlich
auflösen lässt.
Als erster Spielfilm komplett auf der Fotokamera Canon 7D gedreht, die
vergleichsweise kostengünstig professionelles Arbeiten ermöglicht, erklärt
sich der Film schon auf Produktionsebene solidarisch mit seinem
semidokumentarisch verhandelten Gegenstand: der Undergroundszene. Der Film
geht auf intime Tuchfühlung mit den Künstlern, dringt tief ein ins
mikrosoziale Gewebe, mäandert durch die Szene Alexandrias, findet sortierte
bis unsortierte Fragmente und Details, die sich mal narrativ verdichten,
mal nicht - Guerilla-Filmmaking, das auf coole, aber nicht anbiedernd
vorgeformte Weise ein Stück Filmformfreiheit sucht und findet.
Politischer Anspruch, ästhetischer Entwurf und die Reflexion beider
Verhältnisse zueinander gehen hier, wie es scheint, ganz spielend Hand in
Hand. Noch während der Berlinale im Februar trat zwar Mubarak zurück, von
diesem Schlüsselfilm fehlte dort aber jede Spur. Sehen konnte man ihn nun
auf dem Internationalen Filmfestival in Istanbul, wo er am Wochenende unter
der Jurypräsidentschaft von Claire Denis mit der "Goldenen Tulpe"
ausgezeichnet wurde.
## Unbedingte Freiheit der Presse
Das Filmfestival Istanbul zählt mit seinem sympathisch engagierten Programm
zwar nicht zu den großen Playern im Festivalcircuit, besitzt aber eine
zentrale Bedeutung als Bildungsinstitution des zuletzt auch in die
internationale Aufmerksamkeit gerückten türkischen Autorenkinos: Nuri Bilge
Ceylan, Reha Erdem oder Semih Kaplanolu, Regisseur des Berlinalegewinners
"Bal", machten sich hier erstmals mit zentralen Werken wichtiger Regisseure
vertraut. Die Rolle des Festivals als cinephile Begegnungsstätte
unterstrich die zum 30. Jubiläum von türkischen Regisseuren eingerichtete
Retrospektive.
Spannend war das türkische Kino in diesem Jahr durch Geschichten, die das
eigene Land von seinen Krisen und unbeantworteten Fragen her betrachten: Im
Omnibusfilm "Do Not Forget Me Istanbul" nahmen sieben ausländische
Regisseure die kulturell und sozial konfliktreiche Geschichte der Metropole
in den Blick. In "Merry-Go-Round", dem zweiten Film der Regisseurin lksen
Baarr, kommt eine Mutter nach und nach dahinter, dass ihr Gatte die Tochter
sexuell missbraucht - eine minutiös in klaren, fast funktional
erscheinenden Bildern entwickelte Anklage patriarchaler Strukturen, die das
Verhältnis zwischen geschlossenen, geöffneten und nicht verschließbaren
Türen mit klarem Blick filmisch für sich zu nutzen weiß.
Zu den Höhepunkten zählte "Press" (Sedat Yilmaz), ein Film über die
drastischen, mafiös organisierten Repressionen gegen die kurdische Zeitung
Özgür Gündem Anfang der neunziger Jahre. In der Schlichtheit seiner
Darstellung und zugewandten Beobachterhaltung erinnert der Film zuweilen an
die von Robert Bresson, nur gelegentlich fällt er aus der Funktionalität
seiner Inszenierung, dann aber mit großem Effekt: eine verblüffende Montage
hier, eine verschobene Kameraperspektive dort.
Der Verführung zum coolen Pathos inhaltlich vergleichbarer Filme über
idealistische Journalisten erliegt "Press" nie, vielmehr protokolliert
Yilmaz die sich zusehends enger ziehende Schlinge einer
Repressionsmaschinerie, der sich die Wohnzimmerredaktion der Özgür Gündem
unter Einsatz ihres Lebens durch Beharrlichkeit und Verschanzung
entgegenstellt.
Vorwerfen könnte man "Press", dass er sich für politische Zusammenhänge und
Positionen kaum interessiert. Vermutlich ist die Geschichte zwischen Türken
und Kurden Sedat Yilmaz Sache ohnehin nicht, er will auf Allgemeineres
hinaus: unbedingte Freiheit der Presse.
Nach dem Abspann herrschte im erstaunlich jungen Publikum des proppevollen
Kinos eine Sekunde lang ergriffenes Schweigen. Dann tosender Applaus.
19 Apr 2011
## AUTOREN
Thomas Groh
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