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# taz.de -- Borderline-Journalismus im Film: Treffen sich zwei Dinosaurier
> Was macht Tom Kummer heute? Tennis trainieren und den Dokumentarfilm "Bad
> Boy Kummer" von Miklós Gimes für sich okkupieren.
Bild: Heute ein Kleinfeldtennis-Coach: Tom Kummer.
Heute schlägt er täglich sechstausend kleine gelbe Bälle. Über seine
betuchte Kundschaft am Strand von Santa Monica sagt der
Kleinfeldtennis-Coach Tom Kummer in die Kamera: "Sie müssen schwitzen und
lachen, um mehr geht's nicht." Früher war dieser Trainer, der sich seiner
Sportler- so bewusst ist wie seiner Unterhalterpflichten, ein gefeierter
Journalist, der seinen Auftrag ebenfalls recht sportlich als Entertainment
auffasste.
Zwischen 1993 und 1999 belieferte er fast alle großen deutschen und
Schweizer Zeitungen, vor allem die Magazine von SZ und Züricher
Tages-Anzeiger, mit Hollywoodstar-Interviews und war selbst fast ein Star.
Dann deckte der Focus auf, dass die meisten seiner Geschichten gefälscht
waren, seine knalligen Interviews mit Pamela Anderson, Sharon Stone, Brad
Pitt, Ivana Trump et. al. nie stattgefunden hatten.
Seitdem ist Tom Kummers Ruf als Journalist im Eimer. Seitdem sind gelbe
Bälle sein Geschäft. Weder in der Presse noch in seiner 2007 erschienen
Autobiografie hat er sich für seinen Ansatz des "Borderline-Journalismus",
seine teils frei erfundenen, teils aus Boulevardmedien und anderen Lektüren
kompilierten Interviewfiktionen je entschuldigt. Nie hat er bedauert, dass
seinetwegen die damaligen Chefredakteure des SZ-Magazins, Ulf Poschardt und
Christian Kämmerling, ihre Jobs verloren. Kummer sieht sich bis heute als
Opfer und war, so erzählt Filmemacher Miklós Gimes aus dem Off, sehr gern
bereit, an einem Porträtfilm über sich mitzuwirken.
Gimes wiederum hat seine eigene Motivation für diesen Film, die auch bei
ihm etwas damit zu tun hat, Opfer geworden zu sein. Kummers Opfer. Er trug
in den Neunzigern als stellvertretender "Chefredaktor" des Tages-Anzeigers
seinen Teil dazu bei, Kummer zu publizieren und berühmt zu machen. Von
vielen der damaligen Kollegen hat er auf die Anfrage, sich im Film zur
Causa Kummer zu äußern, eine Absage bekommen (u. a. von Poschardt und
Kämmerling) - mit dem Betrüger und Hochstapler Kummer will man nichts mehr
zu tun haben.
## Ein Psychoknacks
Gimes dagegen scheint die Frage "Warum habe ich nichts gemerkt?" immer noch
stark zu beschäftigen. Um sich zu entschulden, unterstellt er als These des
Films: Kummer hat einen Psychoknacks, der in ihm kriminelle Energien
freisetzt. Und diesen Psycho will Gimes mit seinem Film knacken.
Aber er scheitert. Er besucht Kummer in L.A., auf dem Tennis-Court, zu
Hause bei seiner Familie, sie reisen nach Deutschland, sprechen mit
Journalisten, fahren in die Schweiz und treffen Kummers Jugendfreunde. Die
Bilder sind dynamisch geschnittenen, kommen gern mal als Splitscreen daher,
sind von geschmackvollem Punkrock unterlegt und haben mit viel ästhetischem
Gespür gewählte Ausschnitte. Sie täuschen über Gimes Ansatz fast hinweg:
Bestätigung dafür zu bekommen, dass Kummer in Hollywood erstens total
abgedriftet ist und zweitens seine Auftraggeber absichtlich hintergangen
hat. Die aber bekommt er nicht.
Sicher: Er findet Leute, die Kummer vor laufender Kamera vollmundig
psychologische Diagnosen ausstellen (Ex-Tempo-Chef Markus Peichl und
BamS-Chef Walter Meyer), und er bringt Kummer dazu, seine Quellen für die
Interviews in die Kamera zu halten (Wissenschaftsmagazine,
Psychologiebücher). Allein: Das alles ficht Kummer nicht an.
Begeistert liest er seine alten Texte vor - und die sind so unglaublich gut
und irrwitzig drüber (Macho Charles Bronson, der zum Garten-Guru mutiert;
Boxer Mike Tyson, der von Nietzsche und Machiavelli schwärmt), dass man
einen Gimes, der keinerlei Zweifel an ihrer Echtheit gehabt zu haben
scheint, nur noch als blauäugig und naiv wahrnimmt. Kummer dagegen schafft
es, den Film über ihn zu seinem Film zu machen.
## Kreuzberger Punkjahre
Überzeugend erscheint sein schreiberischer Ansatz als Fortsetzung seiner
Kreuzberger Punkjahre, überzeugend verkauft er seine Fakes als
Konzeptkunst, die er vom überschäumenden medialen Klima der Neunziger und
vom Jungsclub der jungen Wilden im "New German Journalism" mehr als gedeckt
gesehen habe. Dass "Freunde" wie Poschardt ihn dann doch fallen ließen, als
sie merkten, dass der Wahrheitsbegriff nicht ganz so poppig, ironisch
dehnbar war wie gedacht, empfindet er bis heute als Verrat.
Weswegen "Bad Boy Kummer" ein skurriles, faszinierendes Aufeinandertreffen
von zwei journalistischen Dinosauriern ist: Auf der einen Seite Gimes, der
mit gutmenschelndem Idealismus vom Vertrauensverhältnis zwischen Autor und
Redakteur faselt, auf der anderen Seite Kummer, der trotzig den Gralshüter
einer untergegangenen Ära gibt - damals, als Journalismus noch Boheme war,
dreister, gut gemachter Punkrock, Popliteratur. Diejenigen, die diese
beiden Positionen als Sprungbretter ihrer Karriere gebraucht und klug
genutzt haben, schweigen leider. Sie haben als hochdotierte Medienmacher
und bei der Welt am Sonntag genug zu tun.
4 May 2011
## AUTOREN
Kirsten Riesselmann
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