# taz.de -- Wassernot im Jordantal: Neue Einnahmequellen | |
> Geführt von Dorfbewohnern, bekommen Touristen Einblicke in den Alltag und | |
> die Umweltprobleme des Jordantals. Das soll der Landbevölkerung ein | |
> alternatives Einkommen ermöglichen. | |
Bild: Aufgrund von Wassermangel wird der Anbau von Pflanzen zunehmend schwierig… | |
Mohammed al-Nawasrah stapft den Hang hinunter zu einer Gruppe mehr oder | |
weniger verfallener Steinsäulen, den Überresten einer frühchristlichen | |
Kirche. "Die Römer kamen hierher und haben diese Stadt gebaut", erläutert | |
er. "90 Prozent sind noch gar nicht ausgegraben und liegen unter der Erde, | |
weil ein Erdbeben einst alles zerstört hat." | |
Ob dieses Beben schon in der Antike geschah oder erst später, will ein | |
Besucher wissen, doch das kann Nawasrah auch nicht auf Anhieb sagen und | |
muss erst einmal einen Blick auf eine Informationstafel werfen. | |
Man könnte es durchaus genauer wissen. Immerhin sind dies die Ruinen von | |
Pella, das in der Antike zur Dekapolis gehörte, einem schon in der Bibel | |
erwähnten Städteverbund. | |
Doch wichtiger als alte Geschichte sind Nawasrah die Gegenwart und die von | |
Wassermangel bedrohte Natur des Jordantals hier im Nordwesten Jordaniens. | |
Der drahtige, lebhafte Mann mit den grau melierten Haaren und dem breiten | |
Lächeln wird merklich eloquenter, als er die Ruinen verlässt und hinunter | |
zum heutigen Ort Tabkat Fahal fährt. Bei den ersten Häusern biegt er in ein | |
Grundstück ein, hinter dessen Mauern ein kleiner Park sichtbar wird. | |
Im Schatten von Dattelpalmen und Feigenbäumen spazieren dort Gänse umher, | |
hinter einer weiteren Mauer gibt es ein hellblau gekacheltes, blitzsauberes | |
Schwimmbecken. | |
Mit dem Stolz des Lokalpatrioten stellt Mohammed al-Nawasrah den Besitzer | |
vor, einen örtlichen Unternehmer. Der hat diese künstliche Oase zum reinen | |
Vergnügen geschaffen und stellt sie nun Besuchern gegen ein Entgelt von | |
zwei Dinar pro Person zum Picknicken zur Verfügung. | |
Die Kombination von Geschichtsträchtigem und Alltäglichem ist Konzept. Denn | |
dies ist eine Rundfahrt der "Guten Wasser-Nachbarn", eines Projekts der | |
jordanisch-israelisch-palästinensischen Umweltorganisation Friends of the | |
Earth Middle East (FOEME). | |
In insgesamt 18 Orten beiderseits des Jordans haben die Umweltschützer | |
sogenannte Nachbarschaftspfade zusammengestellt. Wie hier in Tabkat Fahal | |
führen stets speziell geschulte Dorfbewohner die Besucher zu historischen | |
Sehenswürdigkeiten, zeigen ihnen verborgene Winkel der grandiosen Natur des | |
Jordantals und informieren sie quasi nebenbei über Ursachen und Folgen der | |
dramatischen Wasserknappheit der Gegend. | |
Denn infolge immer neuer Staudämme, landwirtschaftlicher Übernutzung und | |
mangelnder Koordination unter den Anrainerstaaten führt der biblische Fluss | |
in seinem Unterlauf nur noch zwei Prozent der einstigen Wassermenge. | |
Kurz vor dem Toten Meer ist bloß ein trübes Rinnsal übrig, das laut FOEME | |
bis Ende dieses Jahres vollends austrocknen könnte. Nawasrah fährt weiter | |
zum jordanisch-israelischen Grenzübergang "Scheich Hussein", der seit dem | |
Friedensschluss 1994 eine Straßenverbindung zum einstigen Feind schafft. | |
Nach einem Blick auf den Schlagbaum - "Hier bitte keine Fotos!" - geht es | |
zur nahegelegenen Grundschule, einem unscheinbaren Betonkasten. | |
Naswarah war hier einst Schüler und kehrte später als Schulleiter zurück. | |
Die von den Dorfbewohnern in Eigenarbeit errichtete Vorgängerschule habe | |
näher am Fluss gelegen, erzählt er, die Kinder seien von beiden Jordanufern | |
hergekommen. | |
"Aber als Israel gegründet wurde, hatten die Menschen Angst, dort | |
hinzugehen. Also baute die Regierung eine neue Schule - deshalb steht dort: | |
erbaut 1952." | |
Dass sich die Umweltschützer von FOEME hier ausgerechnet um | |
Tourismusförderung bemühen, ist das Ergebnis einer schlichten | |
Wirtschaftlichkeitsrechnung. | |
Denn vor ein paar Jahren beauftragten sie ein Team von Wissenschaftlern, | |
die Wasserfrage einfach mal durchzurechnen. Wie viel Einkommen lässt sich | |
im Jordantal eigentlich mit Landwirtschaft, mit Industrie oder mit | |
Tourismus erwirtschaften und wie viel Wasser wird dazu jeweils verbraucht? | |
Das Ergebnis verblüffte die Organisation selbst: Obwohl ein Tourist rund | |
viermal so viel Wasser wie ein Jordanier benötigt, bringt er weit mehr | |
Einkommen in die Region, als die Bewohner mit einer vergleichbaren Menge an | |
Ressourcen auf anderem Wege erwirtschaften könnten. | |
Deshalb entwickelte FOEME ein Konzept, wie Touristen in die Dörfer | |
beiderseits des Jordans gelockt werden können. Dies soll den Bewohnern eine | |
neue Einkommensquelle eröffnen und sie mittelfristig in die Lage versetzen, | |
sich aus der besonders wasserfressenden und kaum gewinnbringenden | |
Landwirtschaft zurückzuziehen. | |
Zugleich soll es den Menschen im Jordantal bewusst machen, dass ihre | |
empfindliche Umwelt wertvoll ist und geschützt werden muss. | |
Nun wundern sich die Hauptamtlichen von FOEME in Amman, Tel Aviv und | |
Bethlehem mitunter selbst, wenn sie mal wieder Werbematerial | |
zusammenstellen, Dorfbewohner in Marketing schulen oder Kontakte zu | |
internationalen Reiseveranstaltern knüpfen - wo sie doch eigentlich vor | |
allem den Jordan retten wollten. | |
Den deutschen Studienreiseanbieter Studiosus haben sie schon ins Boot | |
geholt, auch eine US-Austauschorganisation sowie ein paar europäische | |
Universitäten, die die drei Öko-Parks von FOEME für Tagungen und | |
Exkursionen nutzen. | |
Insgesamt seien die Fortschritte dennoch schleppend, räumt Abdel Rahman | |
Sultan ein, der Vizedirektor der jordanischen Sektion. | |
Gerade freut er sich, dass ein paar Israelis individuell um eine Tour in | |
Jordanien gebeten haben - in der Regel kommt der Kontakt durch organisierte | |
Gruppen zustande. | |
Bis die Bewohner des Jordantals wirklich vom nachhaltigen Tourismus | |
profitierten, werde es wohl noch einige Jahre dauern, glaubt Sultan - | |
wahrscheinlich sogar ein Jahrzehnt. | |
Momentan sei aber noch viel Überzeugungsarbeit nötig, damit sich mehr | |
Menschen auf einen ganz anderen Broterwerb einließen als ihre Eltern und | |
Großeltern, die meist von der Landwirtschaft lebten. | |
Denn FOEME kann allenfalls Besucher herlotsen, den Gewinn aber müssen die | |
Dorfbewohner daraus schon selbst erwirtschaften - etwa, indem sie Geschäfte | |
oder Pensionen eröffnen. | |
Nur wenige ergreifen diese Chance so entschlossen wie Jusuf Mohareb in | |
al-Himma. Der Ort gut 20 Kilometer nordöstlich von Tabkat Fahal kann neben | |
seinen heißen Quellen vor allem mit einer malerischen Lage am | |
Jordan-Zufluss Jarmuk aufwarten, der hier in einer tiefen Schlucht vor den | |
Golan-Höhen am gegenüberliegenden Ufer verläuft. | |
"Auch der Jarmuk führt nur noch einen Bruchteil seiner einstigen | |
Wassermenge", erläutert Mohareb. Dann zeigt er noch eben den Gully, durch | |
den man unter dem Asphalt der viel zu breiten Dorfstraße eine Schiene der | |
Hedschas-Bahn sehen kann, von der hier einst eine Zweigstrecke | |
entlangführte. | |
Schließlich lotst Mohareb die Besucher in sein Café unter einem Dach aus | |
Palmenzweigen. Das läuft dank der von FOEME hergelockten Gäste schon so | |
gut, dass er mittlerweile darüber nachdenkt, auf seinem Grundstück | |
zusätzlich ein kleines türkisches Bad mit Wasser aus der heißen Quelle zu | |
bauen. | |
5 May 2011 | |
## AUTOREN | |
Christoph Dreyer | |
## TAGS | |
Reiseland Jordanien | |
## ARTIKEL ZUM THEMA |