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# taz.de -- Multimediale Fernsehstudios: Besser gucken und dann ins Netz
> Ein Mensch und ein Bild reichen offensichtlich nicht mehr im
> Nachrichtengeschäft. Deshalb werden die Fernsehstudios nun interaktiv.
Bild: Claus Kleber im neuen digitalen Fernsehstudio des ZDF in Mainz.
Es fiel schon auf, als im letzten Monat die Weltkarte im "heute
journal"-Studio durch fünf rotierende Globen ersetzt wurde. Ob das Design
des Studios, das nach seinem Start 2009 oft kritisiert worden ist, jetzt
besser ankommt? Die Senderverantwortlichen jedenfalls werden genau darauf
achten. Denn wenn es etwas gibt, dass den Fernsehsendern ein "Gesicht"
verleiht, dann sind es ihre Nachrichtensendungen: Während fast alle Formate
ersetzbar sind, gilt das nicht für beispielsweise die "Tagesschau", "heute"
oder "RTL Aktuell".
Zurzeit haben fast alle großen Sender in Deutschland ihre Nachrichten neu
gestaltet oder sie sind gerade dabei. Eins der wichtigsten Ziele dabei: mit
neuen Medien und multimedialer Technik Informationen verständlicher zu
machen. Ob das gelingt, bezweifeln Experten.
"Die Informationsfrequenz hat sich vervielfacht, vieles wird bei den
Zuschauern an Vorwissen vorausgesetzt, und hier bietet die Digitalisierung
endlich Lösungen", sagt Philipp Wundt vom internationalen Agenturnetzwerk
Bruce Dunlop and Associates, das beispielsweise in Großbritannien für die
BBC und ITV Nachrichtensets kreiert. Multimedialität sei eine Riesenchance,
eine zusätzliche Erklärungsmöglichkeit.
Besonders Twitter und Apps für mobile Endgeräte haben den Nachrichtenfluss
extrem beschleunigt und die Nachrichtenmacher in Zugzwang gebracht. Wundt:
"Wir brauchen dringend eine Plattform, die wir als Filter für all diese
Angebote nutzen können. Sozusagen eine Umgebung, die als Vehikel
funktioniert, um alle Medienformen, angefangen bei Twitter bis hin zu
klassischen TV, zum Konsumenten zu transportieren."
Das kann sein Kollege Jochen Schreiber von VR3, der unter anderem die News
Studios für Sat.1, N24 und ProSieben ausgerüstet hat, nur bestätigen: "Es
geht in erster Linie um eine visuelle Ästhetik, eine moderne Form, die sich
den stetig wandelnden Sehgewohnheiten anpasst."
## Zu irritierend
Das war auch der Grund, warum das ZDF ein neues virtuelles Studio an den
Start brachte. Die Einführung geriet spektakulär und war nicht ganz
unumstritten. "Unpersönlich und irritierend", urteilten Zuschauer des
Mainzer Senders, dessen Publikum im Durchschnitt um die 60 Jahre alt ist.
Das habe sich jetzt geändert, so der stellvertretende ZDF-Chefredakteur
Elmar Theveßen: "Wir haben deutlich nachgearbeitet." Die Schrift sei
verbessert worden, die bewegten Linien, die gerade die älteren Zuschauer
störten, wurden verlangsamt.
Theveßen: "Das Opening haben wir letzten Sommer komplett verändert. Jetzt
kann man einen Blick in die Regie werfen, dann kommt die Uhr, dann kommt
der Blick auf den Moderator." Dem Nachrichtenmann ist es wichtig, in der
modernisierten Studioumgebung Interaktivität abzubilden: "Wir planen eine
Feedbacksendung, in der beispielsweise Twitter und Facebook integriert
werden können."
Seine Kollegen von der ARD konzipieren zurzeit noch ein neues
Nachrichtenstudio. "Wir werden Ende 2012 an den Start gehen", kündigt der
Chefredakteur von ARD-aktuell Kai Gniffke an. Im Gegensatz zu den Mainzern
setzt man bei der ARD auf ein "reales" Studio. Neue multimediale
Anwendungen kommen aber auch hier zum Einsatz. Im Mittelpunkt: eine
Touchfläche, auf der der Moderator seine Inhalte hin- und herbewegen kann,
und eine große Videowand, auf der diese Inhalte dann abgebildet werden.
"Die größte Veränderung ist der Echtzeitrechner bzw. die Echtzeitgrafik,
die dahintersteht. Da müssen wir Redakteure vor der Sendung dramaturgischer
denken", sagt Gniffke. Wundt jedenfalls warnt davor, neue Technologien nur
aus "einer Mode heraus" einzusetzen: "Dann wird die Kommunikation der
Informationen beeinträchtigt. Anstatt mit einer klaren, verständlichen
Nachrichtenplattform zu arbeiten, riskieren Sender, durch falschen
Technologieeinsatz Newsformate unangebracht zu verfremden und Distanz zur
Marke schaffen."
Ob die Nachrichtenmacher ihr Ziel erreichen werden, mithilfe neuer und
multimedialer Medien Informationen verständlicher zu machen, wird von
Norbert Bolz generell bezweifelt. Für ihn geht es bei den Neuerungen eher
darum, dass in einer Welt, die immer unnachvollziehbarer wird, neue
Präsentationen den Zuschauern die Angst nehmen sollen: "Das ganze Ziel ist
utopisch, die Bevölkerung in fünfzehn Minuten über das Weltgeschehen zu
informieren." Das hat in der Sicht des Medienwissenschaftlers nichts mit
der Kompetenz der Sender zu tun, sondern der Komplexität der Themen selbst.
Nachrichtensendungen würden schon längst ihre Nachrichten auf einer
emotionalen Ebene von Sympathie und Antipathie ausstrahlen: "Wenn das
Gesendete sachlich ist, dann ist es - außer für einige Fachleute -
unverständlich. Und ist es verständlich, ist es nicht mehr sachlich,
sondern emotional. Und da geht es dann um Gesichter und das Leid der
Menschen, die Betroffenen und die Opfer, die Schurken, aber nicht um
analysierbare Strukturzusammenhänge."
## Alles komplex
Auch Gniffke räumt ein, dass es komplexe Themen gibt. Für Bolz jedenfalls
steht ein kulturgeschichtlicher Mechanismus dahinter: "Seit es Massenmedien
gibt, geht mich alles etwas an. Die Menschen werden dadurch sowohl kognitiv
als auch moralisch überfordert. Das kann niemand ertragen. Ständig läuten
die Alarmglocken, und man hat das Gefühl, sie läuten für jeden persönlich -
das ist ein großes Zivilisationsproblem."
9 May 2011
## AUTOREN
Wilfried Urbe
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