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# taz.de -- Hamburg ist Handball-Meister: Schluss mit Dorfsport
> Der HSV Hamburg ist erstmals Deutscher Meister. Das erste Mal seit acht
> Jahren geht dieser Titel nicht nach Schleswig-Holstein. Damit ist
> besiegelt, dass der Provinzsport Handball auch großstadttauglich ist.
Bild: HSV-Trainer Martin Schwalb wird seine Haare weiterhin gelegentlich wasche…
HAMBURG taz | "Mama, er hat mir über den Kopf gestreichelt", sagt das
Mädchen beim Verlassen der Hamburger 02-Arena. "Ich werde mir nie wieder
die Haare waschen." Es bleibt unklar, welcher Spieler des HSV Hamburg ihr
beim Bad in der Menge zu einem unvergesslichen Erlebnis verholfen hat. Klar
ist allerdings: Das lange Warten dieser Stadt auf neue Sporthelden, das
seit dem DFB-Pokalsieg der HSV-Fußballer 1987 anhält, hat seit Mittwoch um
21 Uhr 43 ein Ende.
Mit 35:30 besiegten die Hamburger in eigener Halle den VfL Gummersbach und
sicherten sich schon drei Spieltage vor Saisonschluss den deutschen
Meistertitel. Damit könnte der Verein sich eigentlich wieder auflösen, denn
der Gründungszweck ist mit dem Gewinn des bedeutsamsten Titels im
Vereinshandball erfüllt.
Der Rückblick in die Gründungsgeschichte führt aus Hamburg hinaus, an die
Ostsee. Ende der 90er Jahre gab es in Schleswig-Holstein entlang der Ostsee
drei Bundesliga-Vereine: Die SG Flensburg-Handewitt, den THW Kiel und den
VfL Bad Schwartau.
Als der Lübecker Vorort-Klub in Finanznot geriet, ging er eine
Spielgemeinschaft mit dem frisch gegründeten Handballsportverein (HSV)
Lübeck ein.
Doch der damalige HSV-Patron Winfried Klimek strebte nach Höherem. In
Hamburg war 2002 gerade die Color Line Arena fertiggestellt und Klimek
verpflanzte seinen Verein inklusive der Bundesliga-Lizenz des VfL Bad
Schwartau sechzig Kilometer landeinwärts.
Der Handballsportverein Hamburg war geboren und sollte es als erster Verein
schaffen, den einst als "Dorfsport" belächelten Handball in einer Großstadt
zur Blüte zu führen. Mit den Namensvettern vom Fußball hatte der
Retortenclub von vornherein nicht mehr gemein als Abkürzung und Logo, die
er laut einer Marketingvereinbarung nutzen darf.
Bereits zwei Jahre später drohte durch dubioses Finanzgebaren, ausstehende
Gehälter und Mietschulden das Aus. Klimek wurde verhaftet und der
Medizinunternehmer Andreas Rudolph übernahm das Ruder. Seine erklärtes
Ziel: bis 2010 mindestens einmal die deutsche Meisterschaft gewinnen.
Seitdem hat er rund 25 Millionen Euro in die Mannschaft gepumpt und sie
kontinuierlich zu einer Weltauswahl ausgebaut, die einmal den Europacup und
zweimal den deutschen Pokal holte und die SG Flensburg-Handewitt längst
abgehängt hat. Nur der THW Kiel erwies sich bislang als resistent genug und
behielt die Meisterschale Jahr für Jahr an der Förde.
Seit Mittwoch ist auch diese Bastion gefallen. Schon vor dem Anpfiff lagen
Trikots mit der Aufschrift "Wir sind die Nummer 1" auf allen 13.200
Sitzschalen. Wäre Schleswig-Holsteins CDU-Spitzenkandidat Christian von
Bötticher in der Halle gewesen, hätte er neue Nahrung für seine kürzlich
geäußerte Klage bekommen, dass Hamburg gegenüber seinem Land "auf dem hohen
Ross" sitze.
Nun beraubt die Hansestadt Schleswig-Holstein auch noch der letzten
Vormachtstellung. Es wird ihn auch nicht trösten, dass die besten HSVer mit
Marvin Lijewski und Blazenko Lackovic wieder einmal zwei ehemalige
Flensburger waren.
Für das Unternehmen Titelverteidigung wechseln demnächst mit Dan Beutler
sowie Vater und Sohn Carlén auch noch der Torwart, der Halbrechte und der
ehemalige Trainer von der Förde an die Elbe.
Der eigentliche Star des neuen Meisters ist seine Halle. Nirgendwo anders
haben Event-Designer im Verbund mit den Fanvorsängern und -trompetern ihre
optischen und akustischen Animationstechniken so perfektioniert, dass sie
fast auf Knopfdruck das gewünschte Unterstützungsprogramm liefern können.
Wenn 26.400 Hände im Gleichklang aufeinander schlagen wie im "Blauen Bock"
ist die Gegenwehr schnell gebrochen.
"Ihr seid alle Deutsche Meister, ohne euch wäre das alles nicht möglich
gewesen", bedankte sich der gerade in Bier geduschte Trainer Martin Schwalb
bei den Fans.
Zuerst in der Fankurve, und dann später auf dem Außenbalkon der Arena, wo
er mit der Mannschaft schon für den großen Auftritt auf dem Rathausbalkon
probte, der nach Saisonschluss Angang Juni noch folgt.
Letztes Jahr, nach dem Pokalsieg, hatten sich 2.000 Fans auf dem
Rathausplatz unter dem Balkon verloren. In diesem Jahr werden es sicher
erheblich mehr sein, egal wie der HSV beim Final-Four Turnier der Champions
League Ende Mai in Köln abschneidet.
Das Gros der Hamburger sähe trotzdem lieber Guerrero statt Gille dort oben,
aber die balltretenden Rautenträger haben sie auch in dieser Saison wieder
enttäuscht und werden schon zum 24. Mal in Folge im Frühjahr nicht ins
Rathaus eingeladen.
Dafür könnten die HSV-Fußballer vom kleinen Nachbarn lernen, wie
Kontinuität zum Erfolg führt: Mit den Brüdern Bertrand und Guillaume Gille,
Pascal Hens und Torsten Jansen sind vier tragende Säulen seit fast zehn
Jahren in der Mannschaft. Und Trainer Martin Schwalb, der in die
Geschäftsführung wechselt, bekam immerhin sechs Versuche, den Titel zu
holen.
Dabei sah es mehr als einmal so aus, als würde der ungeduldige Rudolph ihn
vorzeitig vom Hof jagen. Doch er wusste genau: einen besseren Mann gibt es
nicht. Martin Schwalb hat mit seinem authentischen Auftreten großen Anteil
daran, dass der HSV sein "Plastik"-Image hinter sich gelassen hat.
Jetzt erholt sich die Mannschaft erst einmal vier Tage auf der Finca von
Andreas Rudolph auf Mallorca. Auf dessen Kosten. Das Zeitalter des
Feudalismus muss der HSV Handball erst noch überwinden. Die angekündigte
Abdankung von Rudolph als Präsident ist ein erster Schritt. Als Mäzen wird
er bis auf weiteres weiter gebraucht.
12 May 2011
## AUTOREN
Ralf Lorenzen
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