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# taz.de -- Borussia Dortmund und die Meisterschaft: "Die Imperien werden zurü…
> BVB-Geschäftsführer Watzke hat berechnen lassen, wie groß der Etat sein
> muss, um unter die ersten fünf zu kommen. Am 31.3. 2007 dachte er: "Alles
> umsonst". Nun ist Dortmund Meister.
Bild: Nach dem Spiel gegen den 1. FC Nürnberg: Der BVB ist Meister.
taz: Herr Watzke, was bedeutet die Meisterschaft für Borussia?
Hans-Joachim Watzke: Vor sechs Jahren standen wir vor der Pleite, heute
sind wir Deutscher Meister. Diese Meisterschaft ist deshalb etwas völlig
Unerwartetes und ganz Außergewöhnliches. Ich bin fast geneigt zu sagen, es
ist eine romantische Meisterschaft. Wir haben ein Budget von 34 Millionen
Euro, das ist wenig, verglichen mit Bayern, Schalke, Wolfsburg oder
Leverkusen. Wir hatten in dieser Saison in der Regel acht Spieler auf dem
Platz, die 23 Jahre oder jünger sind. Damit wird man normalerweise Neunter,
nicht Meister.
Sie haben es dem Geldadel der Liga gezeigt?
Genau deshalb ist diese Meisterschaft ja so ungewöhnlich. Eigentlich
braucht man, um Meister zu werden, Etats von 60 Millionen oder mehr.
Borussia Dortmund hat in dieser Logik für einen kleinen Bruch gesorgt.
Bleibt es bei dieser Ausnahme?
Ja. Wir werden diesen Mechanismus nicht jedes Jahr außer Kraft setzen
können. Die Imperien Bayern, Wolfsburg, Leverkusen werden zurückschlagen.
Gibt es ein Rezept für den Erfolg des BVB?
In dem Sinne, dass man es nachmachen oder wiederholen kann – nein. Mit 34
Million Euro kann man keinen Titelgewinn planen. Aber wir haben einen
Spielstil kreiert, der dem typischen BVB-Fan auf den Leib geschrieben ist.
Das hört sich ziemlich pathetisch an, war aber für unseren Erfolg
mitentscheidend. Der typische BVB-Fan braucht nicht immer die
Meisterschaft. Aber er braucht immer das Gefühl, dass die Mannschaft auf
dem Platz alles versucht und sich zerreißt. Außerdem hat sie Tugenden
wiederbelebt, die im Fußball vergessen waren.
Nämlich?
Kameradschaft, Zuverlässigkeit, Vertrauen.
Hm …
Ja, ich kenne die Einwände dagegen. Dass es am Ende doch nur ums Geld geht.
Aber die Mannschaft hat diese Tugenden in dieser Saison gelebt. Ob das so
bleibt, weiß ich nicht.
Offenbar nicht. Nuri Sahin, ein Schlüsselspieler, wechselt zu Real Madrid.
Fällt das Team auseinander?
Nein. Nuri Sahin ist der Einzige, der geht. Alle anderen jungen
Nationalspieler haben Verträge ohne Ausstiegsklausel.
Aber Sahin ist unersetzlich.
Die Friedhöfe sind voll mit Leuten, die für unersetzlich gehalten wurden.
Der BVB ist zwar 1956 und 1957 zweimal mit der gleichen Mannschaft Meister
geworden, aber dass wir so etwas nicht noch mal schaffen werden, war uns
schon klar.
Gibt es ein Modell Borussia Dortmund?
Wir haben versucht, die Sache wie am Reißbrett aufzuziehen. Wir haben auf
Talente gesetzt, wir haben Jürgen Klopp als Trainer geholt, der mit jungen
Spielern arbeiten kann. Wir haben einen extrem laufintensiven, schnellen,
vertikalen Spielstil entwickelt. Ansonsten gibt es eine Überschrift:
maximaler sportlicher Erfolg, aber ohne einen Euro neue Schulden. Vor sechs
Jahren hatten wir noch 126 Millionen Euro Schulden und waren fast
insolvent. Nächstes Jahr sind wir operativ auf null Euro Schulden.
Ist das vor allem Ihr Erfolg?
Nein, daran sind viele beteiligt, Finanzkontrolleure,
Finanzgeschäftsführer, unser Präsident Reinhard Rauball. Die finanzielle
Sanierung ist das eine, die sportliche Entwicklung das andere.
Sportdirektor Michael Zorc und ich haben deshalb 2007 eine Idee entwickelt:
Wir brauchen mehr Kredit – aber diesmal nicht bei Banken, sondern bei
unseren Fans. Deshalb haben wir junge Spieler geholt. Denen sehen die Fans
es eher nach, wenn es nicht läuft.
Das haben Sie aus dem Debakel der Niebaum-Ära gelernt?
Ja. Solange ich beim BVB etwas zu sagen habe, wird das so bleiben: keine
neuen Schulden.
Haben Sie mal gedacht: Der BVB geht unter?
Ja, am 31. März 2007, 81. Minute auf der Bielefelder Alm. Jonas Kampa
schießt das 1:0 für Bielefeld, und wir sind acht Wochen vor Saisonende
Vorletzter. In der Nacht habe ich keine Minute geschlafen. Ich habe
gedacht: Zweieinhalb Jahre Arbeit – alles umsonst. Finanziell war die Sache
geregelt, aber nur für die 1. Liga. Einen Abstieg hätten wir nicht
überlebt.
Unter Niebaum ist der BVB in ein paar Jahren vom Champions-League-Sieger
zum Pleite-Verein geworden. Warum? Weil man Bayern München Nummer zwei
werden wollte?
Ja, das konnte nicht funktioniert. Der Süden der Republik ist reicher als
der Westen. Der Sponsor-Kuchen ist dort dreimal so groß wie in NRW. Und in
Bayern gibt es einen einzigen Club, der diesen Kuchen bekommt. In NRW
sitzen neben dem BVB noch Schalke, Leverkusen, Köln und Gladbach mit am
Tisch. Das ist der strukturelle Unterschied.
Soll der BVB denn überhaupt wie Bayern sein?
Wenn der Erfolg da ist, ist den Fans vieles egal. Aber: Wir sind nicht
Bayern. Wir können es nicht sein. Und wir wollen es nicht sein. Wir wollen
als BVB unverwechselbar sein.
Ein proletarischer Club zum Beispiel?
Weiß ich nicht. Wir kommen aus der Arbeiterbewegung, und wir stehen dazu.
Das ist unsere Tradition. Aber Tradition ist kein Wert an sich. Rot-Weiß
Essen ist auch ein Traditionsclub und ganz unten. Profifußball ist vor
allem auch Geschäft. Wir bewegen uns in der Bundesliga in einer der
höchsten Ausformungen des Kapitalismus. Das kann niemand leugnen.
Traditionell feiert der BVB seine Erfolge auf dem Borsigplatz, wo die
Arbeitslosigkeit hoch ist. Sie haben die Meisterschaft jetzt spontan beim
Edelitaliener gefeiert.
Na ja, so edel war der nicht. Da gehen ganz normale Leute hin. In Berlin
gibt es vermutlich ganz andere Edelrestaurants.
Mag sein, aber wie schafft der Verein den Spagat zwischen Borsigplatz und
Edelitaliener, zwischen Tradition und Kommerz?
Wir leben diesen Spagat einfach. Dazu gehört: Spieler und Trainer wohnen
nicht in Düsseldorf …
… wie Felix Magath, als er noch Schalke trainierte …
… oder im Sauerland, sondern in Dortmund. Das gilt auch für mich. Die
Menschen in Dortmund müssen uns sehen, mit uns reden können. Die Spieler
haben bei uns eine Präsenzpflicht in Dortmund. Die sitzen am Markt, trinken
ihren Kaffee und werden sogar einigermaßen in Ruhe gelassen. Die Fans gehen
sehr respektvoll mit uns um.
Damit festigen Sie die regionale Verankerung?
Ja, und das gelingt eben nicht mit Showveranstaltungen, wenn der ganze
Kader mal eine Grubenfahrt macht. Es gibt im Ruhrgebiet doch kaum noch
Zechen. Die Fans wollen, dass die Spieler mal im Laden um die Ecke
einkaufen.
Was betrachten Sie als Ihren größten Erfolg?
Die Sympathiewelle für den BVB hoch getrieben zu haben. Das bekomme ich
überall zu hören. Ich kriege sogar Briefe von Schalke-Fans, die schreiben:
Wir finden eure Philosophie - junge Spieler, schnell spielen, Offensivgeist
und Leidenschaft - genau richtig.
Wie setzt man so eine Philosophie des Erfolgs durch?
Ich habe ausrechnen lassen, wie groß der Etat sein muss, um unter die
ersten fünf zu kommen.
Und?
Bei 40 Millionen Euro Etat lag die Wahrscheinlichkeit in den letzten zehn
Jahren bei 60 Prozent.
Haben Sie auch ausrechnen lassen, wie teuer eine Titelverteidigung ist?
Nein. So eine Summe hätten wir gar nicht. Aber das ist für uns nicht so
wichtig.
Aha. Was ist denn wichtig?
Dass wir, die Mannschaft, Klopp, Zorc und ich, uns am Ende der Saison in
die Augen schauen und sagen können: Wir haben alles gegeben. Und das
schließt Eifersüchteleien und Egotrips aus. Wir drei, Klopp, Zorc und ich,
treffen alle Entscheidungen gemeinsam. Entweder alle sind dafür, oder wir
lassen es sein.
Herr Watzke, was ist eigentlich so toll am BVB, am Fußball überhaupt?
Ich weiß nicht, was das genau ist. Mein ganzes Leben ist vom Fußball
bestimmt, von Kindesbeinen an. Montags abends nehme ich mir vor, mal
durchzupusten, Spiegel zu lesen, kein Fußball. Aber jeden zweiten Montag,
wenn in NRW ein Zweitligaspiel ist, fahre ich dahin. Auch wenn gar kein
Spieler dabei ist, der für uns interessant ist.
Sie sind süchtig!
Ach, ich habe Spaß daran. Andere gehen ins Theater. Die fragt auch keiner,
ob sie süchtig sind.
13 May 2011
## AUTOREN
T. Haselbauer
S. Reinecke
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