# taz.de -- Kommentar zu Strauss-Kahn: Wenn sexuelle Gewalt verniedlicht wird | |
> Sprache spiegelt nicht nur Machtverhältnisse wider, sie ist auch ein | |
> Instrument, diese zu zementieren. Empathie erfährt der Vergewaltiger, | |
> nicht das Opfer. | |
Dominique Strauss-Kahn, der jetzt als Chef des IWF zurückgetreten ist, sei | |
"kein Kind von Traurigkeit" - schwer zu sagen, wie oft man diesen Satz in | |
den vergangenen Tagen gehört oder gelesen hat, so oder so ähnlich. | |
Vielleicht auch diese Variante: "Da scheint einmal mehr einer der | |
einflussreichsten Männer seine Triebe nicht recht im Griff zu haben." | |
Solche Sätze wurden und werden in Deutschland geschrieben, wenn es um einen | |
Mann geht, dem vorgeworfen wird, am vergangenen Wochenende in New York eine | |
Hotelangestellte vergewaltigt zu haben. | |
Es soll hier nicht darum gehen, ob diese Anschuldigungen stimmen. Es soll | |
darum gehen, welche Worte und Bilder verwendet werden, wenn in den Medien, | |
aber auch in der Gesellschaft das Thema sexuelle Gewalt gegen Frauen | |
angesprochen wird. Wenn man betrachtet, mit welcher Begrifflichkeit dabei | |
gearbeitet wird, zeigt sich, wie entlarvend Sprache sein kann. | |
Zur Erinnerung: Strauss-Kahn wird vorgeworfen, dass er, der 62-jährige | |
Mann, eine 32-jährige wehrlose Frau vergewaltigt haben soll. Und zwar in | |
einem Luxushotel, in dem sie arbeitete und in dem er für 3.000 Dollar den | |
Tag nächtigte. Für den Vorwurf gibt es so handfeste Indizien, dass der | |
außerordentlich einflussreiche Franzose auf einer Insel in einem | |
US-Hochsicherheitsgefängnis sitzt. | |
## Aus der Vergewaltigung wird die "Sex-Affäre" | |
Spätestens seit feministischen Sprachwissenschaftlerinnen wie Luise F. | |
Pusch und Senta Trömel-Plötz wissen wir, dass Sprache nicht nur das Denken | |
spiegelt, sondern auch Wirklichkeit und Machtstrukturen herstellen und | |
festigen kann. Sobald der Vorwurf des sexuellen Übergriffs im Raum steht, | |
greift in patriarchal geprägten Gesellschaften daher gern der Mechanismus | |
der Verniedlichung. Aus der Vergewaltigung wird dann die "Sex-Affäre". | |
Seitenlang wird darüber spekuliert, warum es Männern wie Strauss-Kahn immer | |
wieder passieren kann, dass sie ihre Lust "nicht recht im Griff" haben. | |
Statt "Vergewaltiger" zu sagen und damit klar einen Begriff zu verwenden, | |
der in einer feministischen Tradition steht, spricht man lieber von | |
"Lustmolchen" und "notorischen Schwerenötern". Große deutsche | |
Tageszeitungen schreiben sogar vom "Schwachpunkt Genitalbereich" oder | |
darüber, dass Strauss-Kahn letztlich sogar über "seine Geilheit stolpern | |
könne", dass er "sich von seinen Hormonen die Karriere vermasseln lässt". | |
Und geachtete Kolumnisten philosophieren, ob "der Dämon Sex Strauss-Kahn zu | |
verschlingen droht" und ein so begabter Mann "über diese Sache da im | |
Hotelzimmer stolpert". | |
Noch einmal: Diese Zitate stammen alle aus namhaften deutschen Magazinen | |
und Tageszeitungen. Da muss man gar nicht erst zur absichtlich provokanten | |
Kolumne des Bild-Autors Franz-Josef Wagner greifen, der schreibt, | |
Strauss-Kahn tue ihm leid, und der um Milde wirbt, weil der Mann doch | |
schließlich kein Massenmörder oder Serienkiller sei. Das zeigt, dass | |
Deutschland noch lange nicht so gleichberechtigt und aufgeklärt ist, wie es | |
sich gern darstellt. | |
## Die Frau wird zum Zimmermädchen degradiert | |
Die breiten, milieuübergreifenden Beispiele aus unterschiedlichsten Medien | |
zeigen, wem sich die Gesellschaft näher fühlt und welche Haltung sie durch | |
ihre Wortwahl, wie bewusst oder unbewusst auch immer, einnimmt. Wer vom | |
Lustmolch spricht und davon, dass Strauss-Kahn sich von seinen Hormonen die | |
Karriere vermasseln lässt, der zeigt, dass er oder sie bereit ist, die | |
Perspektive des Täters einzunehmen. Die Nähe, die Empathie, das | |
Hineinfühlenwollen wird dem Vergewaltiger geschenkt. Nicht der Frau, die | |
während ihrer Arbeit vergewaltigt wurde. | |
Und die vergewaltigte Frau? Sie wird zum Zimmermädchen degradiert - zu | |
einer Person also, die durch diese Bezeichnung zu einem Kind gemacht wird, | |
das nicht im Vollbesitz ihrer Urteilskraft ist. Bestenfalls wird vom | |
Missbrauchsopfer geschrieben - aber auch dieser Ausdruck sollte | |
nachdenklich machen. Der Annahme, dass ich etwas missbrauchen kann, liegt | |
immer zugrunde, dass ich etwas gebrauchen kann. Frauen werden dadurch | |
einmal mehr zu Objekten, die je nach Gusto benutzt werden dürfen. | |
Sprache spiegelt nicht nur Machtverhältnisse wider. Sie ist auch ein | |
Instrument, um Machtverhältnisse zu zementieren, sexuelle Gewalt gegen | |
Frauen zu verniedlichen und damit letztlich Täter zu entlasten. | |
19 May 2011 | |
## AUTOREN | |
Ines Pohl | |
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