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# taz.de -- Kommentar Vorverurteilung Strauss-Kahn: Beschämende Demütigung
> Die Verhaftung Dominique Strauss-Kahns war entwürdigend. US-Behörden und
> Presse haben das Grundrecht der Unschuldsvermutung verletzt.
Wieso wurden Dominique Strauss-Kahn bei seiner Verhaftung Handschellen
angelegt? Wieso wurde er in Handschellen den Fotografen ausgeliefert, als
er der Richterin vorgeführt wurde?
Auch nach US-Recht darf die richterliche Überprüfung eines Haftgrundes
nicht dazu dienen, den Beschuldigten öffentlich zu entwürdigen. Und wieso
kann eine befürchtete "Fluchtgefahr" nicht mit verhältnismäßigen Mitteln
gebannt werden? Die mittlerweile ergangenen Auflagen der Grand Jury zeigen
ja, dass es geht.
Prozessuale Zwangsmittel dienen der Sicherung eines Verfahrens. Sie dürfen
keinen strafenden Charakter haben - egal, ob sich der Verdacht aus Sicht
der Ankläger verdichtet oder nicht. Denn ein Verdacht ist ein Verdacht,
nicht mehr. Die Unschuldsvermutung hätte also verlangt, dass zu keinem
Zeitpunkt Fotografen zugelassen werden und keine öffentlichen Mitteilungen
über das ungeklärte, für den Beschuldigten aber peinliche Geschehen
erfolgen. Jeder Hinweis auf einzelne Verdachtsmomente löst Spekulationen
und eine irreversible Schädigung aus. Diese ist im Fall Strauss-Kahn nun
eingetreten.
Es greift zu kurz, diese demütigende Behandlung auf Unterschiede in den
Rechtskulturen zurückzuführen - zumal sich die Staatsanwaltschaft in
Mannheim im Fall Kachelmann ähnlich medienbewusst und offen parteilich
benommen hat. Dabei müsste sie nach der deutschen Strafprozessordnung die
Rechte des Beschuldigten wahren und auch zu seinen Gunsten ermitteln. Wir
sind leider Zeugen einer Straftheorie, die nach dem Motto verfährt: "Benimm
dich anständig, wenn du die Bloßstellung vermeiden willst."
## Presse muss Unschuldsvermutung achten
Ein rechtsstaatliches Verfahren garantiert dem Beschuldigten, dass er sich
erst in der Hauptverhandlung - nach Akteneinsicht und professionell
verteidigt - zu konkreten und ermittelten Vorwürfen und Beweismitteln
äußern kann. Die Unschuldsvermutung ist grundlegend und gilt universal für
alle Rechtsstaaten. Auch die Presse hat dieses Recht zu beachten. Sie
sollte sich daher mit Witzchen über Männer, die ihre Triebe nicht
beherrschen, zurückhalten, wenn sie damit einen Mann treffen, der gerade
als Beschuldigter das härteste Programm erduldet.
Eine beschämende öffentliche Demütigung ändert kein patriarchales
Strukturproblem. Sie fügt einem bis zu diesem Ritual mächtigen und nun
äußerst verletzbaren Menschen Schaden zu. Feminismus ist eine breite
soziale Bewegung und kann auf eine differenzierte Theorie zurückblicken.
Diese Theorie analysiert Machtstrukturen und entwickelt Gegenstrategien.
Sie sollte besonders vorsichtig sein, wenn Macht unfair ausgespielt wird.
Ignoriert sie diesen Unterschied, wird sie zum feministisch getarnten
Faschismus (oder Bolschewismus).
## "Sexaffäre" kann noch man sagen
Kultur bedeutet, dass wir uns nicht über einen Menschen hämisch äußern, der
gerade in einer extremen Situation von Ohnmacht am Pranger steht. Solange
wir nicht wissen, was passiert ist, und nur häppchenweise mit Gerüchten
gefüttert werden, ist es auch erlaubt, das Wort "Sexaffäre" zu verwenden.
Erst wenn öffentlich über eine versuchte Vergewaltigung verhandelt wird,
geht es nicht mehr um Sex - sondern um strafbare Gewalt.
Die gegenwärtige Aufregung der Medien erklärt sich aus den degradierenden
Bildern von diesem Mann und der Anzüglichkeit des getratschten Worts.
Plötzlich wissen viele, was andere schon immer gesagt haben. Von brachialer
Gewalt ist aber auch in der Strafanzeige keine Rede. Es geht in ihrem
Vorwurf um Überrumpelung und Zudringlichkeit - um einen Vorgang also, der,
wenn alle Fakten bekannt sind, den Vorwurf einer versuchten Vergewaltigung
stützen kann. Aber das muss nicht so sein.
Bestätigt haben bislang alle Beteiligten, dass Spermien gesichert wurden.
Das ist für sich gesehen nichts Verbotenes. Sollte er die Frau genötigt
haben, dann hat er dies aber offenbar weder mit Brachialgewalt getan, noch
gab es offenbar eine vollendete Vergewaltigung. Der Verdacht betrifft also
keinen möglicherweise gemeingefährlichen Täter - sondern allenfalls einen
Mann, der gegen die Regeln der Verhandlungsmoral grob verstoßen hat und
dafür, sollte es so gewesen sein, Strafe verdient.
20 May 2011
## AUTOREN
Monika Frommel
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