# taz.de -- Betreuung dementer Senioren: Kein Bus nach Irgendwo | |
> In Oldenburg stellen Seniorenheime Bushaltestellen auf, die bloß Attrappe | |
> sind. Die sollen demente Heimbewohner daran hindern, sich zu verlaufen. | |
Bild: Warten vergebens auf ein Verkehrsmittel: Oldenburger Stiftsbewohnerinnen. | |
OLDENBURG taz | Eigentlich ist alles da: ein weithin erkennbares Schild mit | |
dem grünen "H"-Symbol, ein Fahrplan, eine Übersichtskarte mit dem | |
Streckennetz. Eine Straße aber gibt es nicht: An der Haltestelle in den | |
Grünanlagen des Oldenburger Seniorenstifts "Friedas Frieden" wird nie ein | |
Bus halten. | |
Hier und im benachbarten Elisabethstift, beides Einrichtungen der Diakonie, | |
sind mehrere so genannte Phantom- oder Scheinhaltestellen eingerichtet | |
worden - eine therapeutische Maßnahme in der Pflege Demenzkranker, sagt | |
Petra Schumann, Leiterin der Häuser. | |
Und zudem eine Schutzmaßnahme während einer Krankheitsphase, in der die | |
Desorientierung des Patienten wie auch seine Mobilität ausgeprägt sind. | |
"Die Bewohner haben dann oft das Bedürfnis, nach Hause zu gehen", sagt | |
Schumann. "Ein Zuhause, das es nicht mehr gibt." Das Haltestellenzeichen | |
mit seinem Wiedererkennungswert diene da als Anlaufstation: Anstatt durch | |
Straßen zu irren, die sie nicht kennen, warten sie auf einen Bus - der eben | |
nie kommt. | |
Das Konzept ist umstritten. "Warten ist keine Therapie", lässt etwa der | |
Medizinische Dienst des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen (MDS) | |
verlauten: "Der Mensch mit Demenz wird in seiner Krankheit nicht | |
ernstgenommen." Das könne man so sehen, sagt Schumann, die in den | |
Phantomhaltestellen eher eine "Wertschätzung des Patienten" erkennen mag: | |
"Validation" laute das Stichwort, eine therapeutische Technik, mit der auf | |
die Bedürfnisse der Patienten eingegangen werde, statt sie zu unterdrücken. | |
"Wir sagen nicht einfach: Nein, Sie können jetzt nicht nach Hause", erklärt | |
Schumann. Stattdessen sei es Aufgabe der Pflegekraft, sich mit den | |
Absichten eines Patienten inhaltlich auseinanderzusetzen, die ihn zur | |
Haltestelle führen. | |
Nach einer Weile trete beim Patienten der Drang, wegfahren zu wollen, | |
ohnehin wieder in den Hintergrund und werde durch andere Gedanken | |
verdrängt, sagt Schumann. Im Grunde sei es ein Hilfsmittel "wie für den | |
anderen Bewohner der Rollstuhl". | |
Insofern sei die Haltestelle nicht als Wartestation gedacht, an der man die | |
Patienten wieder "einsammele". Die sitzen auch nicht alleine dort, sondern | |
stets mit einer Pflegekraft, die etwa erklärt, dass der Bus heute offenbar | |
ausfalle. Der Patient werde also belogen, moniert der MDS. Er bekomme | |
wenigstens das Gefühl, etwas Konstruktives getan zu haben, kontern die | |
Befürworter - und laufe nicht vor ein Auto. | |
Bei der Aufstellung der Haltestellen habe man sich nach den Erfahrungen | |
etwa aus Köln, Hamburg oder Wuppertal gerichtet, sagt Schumann: Dort haben | |
Pflegeheime ähnliche Haltestellen eingerichtet, in einem Fall sogar auf | |
einem Flur. Die anderen Stiftbewohner seien über das Konzept informiert | |
worden, auch mit den Angehörigen gibt es laut Schumann keine Probleme. "Die | |
Alternative wäre: Wir rufen sie an und sagen, tut uns leid, Ihre Mutter ist | |
verschwunden, wir suchen sie gerade." | |
Einmal wenigstens hat die gerade erst eingerichtete Haltestelle im | |
Friedas-Frieden-Stift ihren Zweck bereits erfüllt: Eine Bewohnerin, die | |
gerade ein Päuschen auf der Haltestellenbank hielt, habe sich einer | |
abreisewilligen Demenzkranken angenommen: "Setz dich zu mir, ich warte auch | |
auf den Bus." | |
Es habe Zeiten gegeben, in denen sie die Haltestellen dringender gebraucht | |
hätten, sagt Schumann. Andererseits sei nun Frühling - eine Zeit, in der | |
sich bei vielen Demenzkranken der Drang wegzugehen, verstärkt. | |
23 May 2011 | |
## AUTOREN | |
Maik Nolte | |
## ARTIKEL ZUM THEMA |