# taz.de -- Journalist über kurdischen Frühling: "Wir werden Tragödien erleb… | |
> Im Windschatten der arabischen Proteste regt sich auch im nordirakischen | |
> Kurdistan der Widerstand. "Awena"-Chefredakteur Asos Hardi über | |
> unabhängigen Journalismus. | |
Bild: Kurdische Versammlung: "Die regierenden Parteien müssen die Botschaft ve… | |
taz: Herr Hardi, seit mehr als zwei Monaten halten die Proteste im Nordirak | |
an. Was wollen die Demonstranten erreichen? | |
Asos Hardi: Die Menschen sind von der Leistung der Regierung enttäuscht. Da | |
brauchte es vor allem nach den Ereignissen in Ägypten, Tunesien und in | |
anderen arabischen Ländern nur einen Auslöser. Die Demonstrationen in | |
Kurdistan begannen ursprünglich mit einer Solidaritätskundgebung an die | |
Revolutionäre in Ägypten. Die Spannung nahm zu, es flogen Steine gegen das | |
Parteigebäude, die Soldaten schossen, zwei Personen wurden getötet und 57 | |
Personen verletzt. Dass die Todesschützen nicht verhaftetet wurden, war der | |
eigentliche Grund für weitere Demonstrationen, die schon am nächsten Tag | |
weitergingen. Es soll Schluss gemacht werden mit der Korruption. Es gibt | |
auch Forderungen nach Neuwahlen. | |
Wie versucht die Regierungspartei die Proteste zu unterdrücken? | |
Am Anfang hat sich die Regierung gerechtfertigt und versprochen, auf die | |
Proteste zu reagieren. Nun hat sich der Ton sich verschärft. Die | |
Demonstrationen sollen mit allen Mitteln unterdrückt werden. Fünf Menschen | |
wurden insgesamt in Suleimania getötet, Hunderte verletzt. Man versucht, | |
Proteste zum Beispiel in anderen Städten wie Kirkuk mit dem Argument zu | |
verhindern, dass man gegen die Araber zusammenhalten müsse, die versuchen, | |
die Kurden hinauszudrängen. Die Kurden seien in Gefahr. Jeder weiß, dass | |
dies eine große Lüge ist. | |
Rechnen Sie damit, dass die Repressionen gegenüber der | |
Demonstrationsbewegung weitergehen? | |
Es ist ziemlich offensichtlich, dass die Regierungsparteien PUK (Patriotic | |
Union Kurdistan) und KDP (Kurdish Democratic Party) beschlossen haben, | |
Demonstrationen unter allen Umständen zu verhindern. Daher waren sie | |
während der letzten Tage so gewalttätig. Aber das wird zu keinem Ergebnis | |
führen - außer weiteren Verletzten und weiterem Leid. Die Regierung kann | |
die Proteste nicht kontrollieren. Denn sie konzentrieren sich ja nicht nur | |
auf Suleimania, sondern finden auch in vielen anderen kurdischen Städten | |
statt. Selbst in Erbil wurden kürzlich bei einer Demonstration an der | |
Universität 20 Personen festgenommen. Die regierenden Parteien müssen die | |
Botschaft verstehen, dass sie sich und das System verändern müssen, sonst | |
wird der Konflikt weitergehen und wir werden Tragödien erleben. | |
Wie hat die Regierung auf die Awena-Berichterstattung über die Proteste | |
reagiert? | |
Gut ist, dass wir in Kurdistan keine Zensur haben. Niemand hat jemals den | |
Zeitungen vorgeschrieben, was sie publizieren oder nicht publizieren | |
sollen. Doch wer publiziert, muss mit Konsequenzen rechnen. Der Grundsatz | |
der Regierung heißt: Ihr könnt schreiben, was ihr wollt, und wir können | |
euch verhaften, wenn wir wollen. Während der Proteste hat es allerdings | |
keine Behinderungen gegeben. Im Gegenteil: Wenn Politiker eine Botschaft | |
loswerden wollen, müssen sie über unabhängige Zeitungen gehen, um ernst | |
genommen zu werden. | |
Wie sehr ist Awena wegen seiner Berichterstattung Repressalien ausgesetzt? | |
Die Parteizeitungen, die wir in Kurdistan "Schattenpresse" nennen, | |
publizieren nur das, worum sie gebeten werden. Wir veröffentlichen die | |
Information, von der wir glauben, dass sie für die Gesellschaft wichtig | |
ist. Das führt in der Regel zu Schwierigkeiten mit der Regierung. Sie | |
bedrohen unsere Journalisten, sie werden mitunter geprügelt oder verhaftet. | |
Die Parteien hetzen in ihren eigenen Zeitungen, TV-Stationen und Radios | |
gegen unsere Berichterstattung und rufen die Leute zum Boykott unserer | |
Zeitung auf. Parteimitglieder werden aufgerufen, uns keine Interviews zu | |
geben und Information zu verweigern. | |
Unabhängige Medien im Irak sind meist chronisch unterfinanziert. Wie ist | |
die Lage bei Awena? | |
Die letzen zwei Jahre waren finanziell gut, von diesem Polster konnten wir | |
bisher zehren. Dieses Jahr wird für uns sehr schwierig und entscheidend für | |
unser Überleben. Die Proteste in Kurdistan erfordern unseren vollen | |
redaktionellen Einsatz, die Reporter müssen an allen wichtigen Krisenherden | |
unterwegs sein, um stündlich neue Berichte speziell für unsere Website zu | |
liefern. Die Zugriffe haben sich wegen der Proteste täglich vervielfacht. | |
Hängt das mit den Protesten zusammen? | |
Nein. Aber wir überleben derzeit nur wegen der Druckaufträge von Dritten an | |
unsere Druckerei. Die Auflage von Awena liegt bei 2.500 Exemplaren | |
wöchentlich. Auch andere Zeitungen haben meist eine geringe Auflage. Was | |
macht es für Zeitungen so schwer, größere Verbreitung und mehr Einfluss zu | |
erlangen? | |
Was den politischen Einfluss anbelangt, so werden Awena und andere | |
unabhängige Zeitungen trotz geringer Auflagen von Regierung und | |
Zivilgesellschaft weit ernster genommen als alle anderen Zeitungen. Es ist | |
aber ein Problem, dass wir kein vernünftiges Vertriebssystem haben. Die | |
wenigen Vertriebsfirmen beliefern lediglich die fünf, sechs Kioske auf den | |
Märkten der Großstädte. Oft liefern sie ein, zwei Tage zu spät aus. Auch | |
das ist ein Grund für die begrenzte Auflage vieler Zeitungen. | |
Eine Ausgabe kostet 1.000 irakische Dinar (ca. 50 Cent). Wie teuer ist das | |
Lesen einer Zeitung? | |
In Kurdistan kostet eine Tasse Tee 250 Dinar (15 Cent). Die Zeitung kostet | |
viermal so viel, sie ist somit sehr teuer. Ein Durchschnittsbürger kann | |
sich einfach nicht täglich eine Zeitung leis- ten. Auch deswegen sind die | |
Auflagen begrenzt. Das ist eines der Hauptprobleme. Hinzu kommt, dass die | |
Regierungsparteien den Markt in den letzten zwei Jah- ren mit neuen | |
Magazinen und Zeitungen geradezu geflutet haben. | |
Haben die Leute deren Propagandablätter nicht satt? | |
Ja, aber die Parteiblätter locken mit sehr interessanten Schlagzeilen, sie | |
kümmern sich nicht um Quellen oder Neutralität. Und sie werden oft gratis | |
verteilt. So stören die Parteiblätter den Markt für unabhängige Medien und | |
sind mitverantwortlich für die sinkenden Auflagen der unabhängigen | |
Zeitungen in Kurdistan. | |
Welche Unterstützung bräuchten Awena und die unabhängige Presse in | |
Kurdistan? | |
Am wichtigsten ist es, generell freie und unabhängige Medien und | |
Berichterstattung zu unterstützen und Druck auf die Regierungen auszuüben, | |
sodass sie Rede- und Meinungsfreiheit in diesem Land respektieren. Auch | |
Unterstützung im Marketing wäre hilfreich. Werbung von international | |
tätigen Unternehmen könnte uns auf wirtschaftlich stabilere Füße stellen. | |
25 May 2011 | |
## AUTOREN | |
Judith Pfannenmüller | |
## ARTIKEL ZUM THEMA |