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# taz.de -- Kolumne Kriegsreporterin: Besthelming 2011
> Die FAZ klaut bei Wikipedia, dem "Spiegel" kann man nicht mehr trauen und
> ein Bestseller wird von nun an im Vorwege bestimmt. Post von der
> Medienfront – in Überlänge.
Hallo taz-onlineredaktion, Abteilung Medien!
Ich melde mich heute von meinem schnöden Schreibtisch aus, der im etwas
weniger schnöden Schanzenviertel jetzt wieder staubfrei ist. Ich habe
kurzerhand alles Papier auf den Boden geworfen, was den wunderbaren Effekt
hat, dass ich nun vor einer sehr weißen und sehr sauberen Arbeitsplatte
sitze. Kenner meiner Zeilen, und von ihnen werden diese in der Regel
gelesen, werden sich bereits wundern, dass ich mir Zeit, Muße und Raum
nehme, um vom Zustand meines Tisches zu berichten, während
Zeitungsredakteure im Süden des Landes streiken, die Medien allüberall
loslassen, was sie schon die ganze Zeit über Kachelmann wussten und
Springer die Preise für seine Drecksblätter erhöht.
Ja, liebe Leute, das, was sich meiner an diesem langsam weniger sonnigen,
dafür von Wolken erfasst zu werden drohenden Vormittag ermächtigt, ist die
Maßlosigkeit des Internets. Muss ich meine Kracher-Meldungen, meine
glasklaren Beobachtungen und knallharten Recherchen, meinen Breaking News,
meine unausweichlichen Wahrheiten, meine genderbendertrouble Shoots, meine
sensiblen Anmerkungen in der Regel auf 3.564 Zeichen abhandeln, komme ich
diese Wochen in den Genuss, ausschließlich im Netz zu erscheinen. Und hier
allen Platz der Welt zu haben. Denk ich mir mal so.
Nichtsdestotrotz sollen auch dieses Mal unfassbare Meldungen, unglaubliche
Fakten und fantastische Ungereimtheiten der Medienwelt möglichst schnell an
das geneigte Auge des Lesers, der Leserin dringen und so will ich schon
jetzt von der ersten Hammernews berichten, die aus dem Hause Gruner & Jahr
in den Himmel über dem Verlagssitz am Baumwall dringt: Verwöhnt durch den
Erfolg der Line-Extensions von Brigitte und Gala (u.a. Brigitte Woman, Gala
Man, Gala Wedding) soll nun Brigitte Mom das Licht der Welt erblicken.
Wäre das Blatt zu Hitlers Zeiten noch unter den Titel Brigitte Mutter
erschienen, fragt man sich heute, welche Frau oder Erziehungsberechtigte im
Alter von 20 bis 40 Jahren sich von einem Heft angesprochen fühlen soll,
dass den Vornamen "Brigitte" im Titel führt. Das ist so, als würden
Anna-Lena und Maja sich ihre eigene Oma auf den Beistelltisch legen. Mit
etwas Glück aber kommt nach der Generation der Paul- und Friedrich-Vornamen
bald die Generation "Horst" wieder in Mode. Dann ist "Brigitte" natürlich
voll vorn.
Praktisch auch, dass das Heft, das laut Presseabteilung "Frauen mit
Perfektionsdrang" ansprechen soll, im September erscheint. Im Spätsommer
sollen nämlich auch die neuen Großraumbüros fertig sein, die es den
fleißigen Redakteursbienchen ermöglichen, noch effektiver die Inhalte von
Heft zu Heft zu schieben. Was aus Verlagssparsicht fantastisch ist,
schließlich hofft man, den Perfektionsdrang monatlich befriedigen zu
können.
Auch schön ist die Art des Austauschs von Inhalten, den die FAZ letzte
Woche praktiziert hat. Wie das Recherchefachblatt Titanic online zeigte,
hat die altehrwürdige FAZ, Aufrechte unter den Aufrechten, Verkünderin der
Wahrheit und Gottheit der Konservativen, für ihre Meldung zum 50.
Geburtstag von George Clooney die Informationen zu seiner Person von
Wikipedia abgeschrieben. Nun war ich nicht dabei und kann nicht behaupten,
der Inhalt wäre per copy & paste-Verfahren auf der FAZ-Seite gelangt, klar
aber ist, dass die ersten Wiki-Sätze wortwörtlich übernommen wurden. Womit
wieder einmal gezeigt wurde: Journalismus ist ganz einfach. Dieser ganze
Bohei um Ausbildung und Anspruch ist nichts anderes als der Versuch von ein
paar Strebern Eliten zu bilden, die keiner braucht.
## Kann man dem noch trauen?
Bildung, Elite – da wären wir beim Spiegel angelangt, der sich zusehends
schwerer tut, dem Ruf, der ihn trägt, gerecht zu werden. Als würde die
Peinlichkeit um den unkorrekten Text zu Monica Lierhaus nicht für eine
Woche reichen, schreibt mir jetzt jemand, der Artikel über
[1]["Cheops-Pyramide – Roboter entdeckt Hieroglyphen in mysteriösem
Schacht"] wäre nicht korrekt, der erste Roboter, der Schächte in Pyramiden
befahren hätte, wäre wohl schon Anfang der 1990er Jahre im Namen des
Münchner Ingenieurs Rudolf Gantenbrink losgerollt. So weit es meine
medial-archäologischen Recherchen ergaben, scheint diese Behauptung korrekt
und ich frage mich: Kann man dem Spiegel überhaupt noch trauen, geschweige
denn vertrauen?
Immerhin aber hat man sich wohl eine Tüte Deutsch besorgt und den gefühlt
307. Rateband mit ganzen Sätzen bedruckt. Heißt es gewöhnlich „Können Sie
Chef?“ oder "Haben Sie Kultur?", steht auf dem Buchdeckel "Wie gut ist Ihre
Allgemeinbildung?" Nicht nur, dass etwa der Band "Kultur" mit
"Bonus-Interviews mit Senta Berger und Hellmuth Karasek" angepriesen wird –
wobei man sich fragt, worauf sich "Bonus" bezieht, bei einem Druckwerk, das
man vollstopfen kann, wie man lustig ist – der arme stellvertretende
Chefredakteur Martin Doerry muss erneut seinen Namen und sein Gesicht für
die Herausgeberschaft hergeben.
Ich meine, da studiert man beflissen ein wichtiges Fach, schreibt sich beim
Blatt die Finger wund, erträgt das Hick und das Hack, das Häck und das
Mäck, die Macken und die Kacken, macht den ganzen Irrwitz mit, der beim
Spiegel zu herrschen scheint, kämpft sich zum Stellvertreter durch, hält es
da ewig lang aus – und gibt dann ein Buch mit der Frage "Wie gut ist Ihr
Allgemeinwissen?" heraus?!!!
Immerhin stehen aber nicht nur Fragezeichen rund um den Spiegel herum. Es
gibt auch Ausrufezeichen. Ungedruckte zwar, aber sie sind da. Kiepenheuer &
Witsch, der Verlag, der dem Spiegel seine Ratebüchlein druckt, bindet und
in die Läden bringt, und der den hinreißendsten und allerweltbesten Lektor
überhaupt beschäftigt, kann das, was der Spiegel nicht kann: in die Zukunft
gucken. Denn schon jetzt wirbt der Verlag in seinem Katalog damit, dass
diese Bücher Bestseller sind. Im August und im November. War ein Bestseller
bislang etwas, das sich diesen Platz erkämpfen und erarbeiten muss, ist er
jetzt etwas, das per Definition im Vorwege bestimmt wird. Der Gedanke
gefällt mir eigentlich ganz gut. Er kommt meinem Bestreben nah, mich
einordnen zu wollen. In aller Bescheidenheit meinen Platz unter den
Medienakteuren einzunehmen: Besthelming 2011. Glücklich zurück nach Berlin!
31 May 2011
## LINKS
[1] http://www.spiegel.de/wissenschaft/mensch/0,1518,765485,00.html
## AUTOREN
Silke Burmester
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