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# taz.de -- Revolutionstourismus in Ägypten: Leben in Kairo, lernen vom Tahrir
> Der deutsche Aktivist Anton Allmer will den Ägyptern bei ihrer Revolution
> helfen und reist nach Kairo. Er bewegt wenig, lernt aber viel über
> Aktivismus.
Bild: Revolutionsfolklore: Ein Händler verkauft Touristensouvenirs auf dem Tah…
Am Anfang war Anton Allmer in Berlin, und die Revolution war in Kairo. Und
im Fernsehen. Oder besser: Im Computer, denn er hat al-Dschasira im
Internet geschaut. Ununterbrochen. Während er arbeitete. Statt zu arbeiten.
Allmer ist 29 und heißt eigentlich anders. Seit Jahren engagiert er sich
als linker Aktivist. Globalisierung, Antirassismus und Ökologie sind seine
Themen. Und nun organisieren sich die Menschen. Aber nicht in Deutschland.
Sondern in Nordafrika.
"Mitanzusehen, wie da so etwas Wichtiges geschieht, ohne etwas beitragen zu
können, hat mich ganz unruhig gemacht", sagt Allmer. Er hatte das Gefühl,
an die Revolution, an diese gesichtslosen Massen auf dem Tahrirplatz, nicht
heranzukommen. "Was sind das für Menschen, die ein solches Risiko eingehen,
um eine Veränderung zu erreichen? Wie sind sie organisiert? Was treibt sie
an?" Spontan entschließt er sich nach Ägypten zu fliegen.
Zwei Wochen später, bei Sonnenaufgang, kommt er in Kairo an. Er ist nicht
der Einzige, er trifft andere, die nach Kairo pilgern, um sich die
Revolution anzuschauen. Zum Beispiel Flo, einen Studenten aus Zürich, der
lacht auf die Frage, ob Kairo das neue Mekka der Linken werde.
"Nein", sagt er, "es ist kein einfaches Land, die Sprache ist schwer zu
lernen, die Bewegung ist voller Widersprüche, lässt sich nicht in
europäische Kategorien einordnen." Aber genau deshalb, sagt er, ist es so
spannend. Er will etwa wissen, wie viel die Arbeiter in der Schweiz von der
Radikalität der ägyptischen Arbeiter lernen können.
## Die Clique vom Tahrir-Platz
Allmers großes Glück in Kairo ist eine Clique, die sich auf dem Tahrir
kennen gelernt, gemeinsam die Revolution durchgestanden hat. Da ist Heba,
die junge Lehrerin, Mustafa, der bei IBM arbeitet, Ahmed, der
Tourismusmanager. Manche checken ihre Facebook-Accounts über ihre
Blackberries. Andere haben kein Geld für Schuhe oder fürs Telefonieren.
"Es hat viele verwundert, dass ich aus politischen Gründen hierher gekommen
bin, weil ich mehr über sie erfahren wollte", erzählt Allmer. Immer wieder
fragen sie, ob er sich nicht doch die Pyramiden ansehen wolle. Aber dann
akzeptieren sie ihn.
Und nicht nur das. "Sie haben mich in die Clique aufgenommen", sagt Allmer.
"Nach drei Tagen war es, als würden wir uns schon Jahre kennen." Sie zeigen
ihm Fotos und Videos von der Revolution, sie erzählen Geschichten, nehmen
ihn mit auf Partys, auf denen schwule Pärchen vor den Augen aller wild
knutschen.
Er lernt, wie man während der Ausgangssperre die Militärkontrollen umgeht
und dass sich manche Soldaten mehr für sein Piercing als seinen Pass
interessieren. Er sitzt in Straßencafés, wo Aktivist_innen bis spät in die
Nacht Aktionen planen, eine Zigarette nach der anderen ziehen.
Und er besucht immer wieder den Tahrirplatz. Wo die Menschen auf ihn
zustürmen, englisch und arabisch auf ihn einreden, mit ihm über die
Revolution, die Medien, Fußball und deutsche Innenpolitik diskutieren
wollen. "Die ersten Tage nach meiner Ankunft herrschte noch die totale
Euphorie", sagt Allmer. Aus den Fenstern flattern ägyptische Fahnen, an
jeder Straßenecke stehen Gruppen, berauscht von der Freiheit. "Überall ging
es nur um Politik. Das habe ich noch nirgends erlebt." Die Journalisten
schwärmen von doppelt so hohen Auflagen und von der Freiheit der Presse
nach Jahrzehnten der Zensur.
Dann kommt der 9. März.
Die Armee räumt mit Schlägertrupps das Camp auf dem Tahrirplatz. Allmer
flüchtet in ein Einkaufszentrum, vom Fenster aus sieht er die Panzer durch
die Straßen rollen. Allmer ist nur Beobachter – und bleibt es auch. Die
Freunde, die an diesem Tag verhaftet werden, werden über Stunden hinweg
brutal gefoltert, geschlagen, ausgezogen, mit Elektroschocks gequält. "Der
Tag hat alles verändert", sagt Allmer.
## Die Flucht vor den Widersprüchen
Er fängt an, sich mit Folter, mit der Rolle des Militärs zu beschäftigen.
Übersetzt Videos, stellt sie ins Netz. Und er wird vorsichtiger. Bei
Demonstrationen lässt er die Kamera zu Hause. Er scherzt nicht mehr mit den
Soldaten. Dann fliegt er zurück.
Es ist die Rückkehr in eine Welt, in der nichts zu geschehen scheint, die
in den ersten Tagen schmerzhaft heil scheint. Er, der sich mit
Postkolonialismus und Critical Whiteness beschäftigt hat, überlegt, wie das
politisch zu bewerten ist, wenn er, als weißer Aktivist, die Bewegung in
Ägypten besucht.
Ist es Flucht vor den Widersprüchen der eigenen politischen Arbeit?
Übernimmt er koloniale Muster, wenn er den ägyptischen Aktivist_innen
Strategien erklärt? Allerdings hat er ohnehin nicht das Gefühl, er könnte
den Aktivist_innen dort etwas beibringen. "Wie auch immer die organisiert
sind – am Ende haben sie eine Revolution gemacht und wir nicht."
Allmer fühlt "Hochachtung vor den Leuten, die bereit sind, für ihre
politischen Ziele ihre persönliche Unversehrtheit zu riskieren – und nicht
nur jene, die nichts zu verlieren haben, sondern gerade auch die, die im
bestehenden System gut klarkommen".
Er lernt, dass das Verbindende überwiegt, die Aktivist_innen, ja die jungen
Menschen in Ägypten generell, ähnliche Sorgen haben, auf dieselbe Weise
feiern, dieselben Fragen diskutieren. "Die Offenheit, mit der
Aktivist_innen untereinander umgehen, hat mich beeindruckt", sagt Allmer.
"Ich frage mich, ob die Art, wie wir uns hier als Linke abgrenzen, nicht
auch viel an politischer Aktivität verhindert."
Anton Allmer hat viel gefunden: Erkenntnis – und Freunde. Nur keine Antwort
auf die Frage, wie er der Bewegung helfen kann. Er wird sie wohl auch nicht
finden, da er das Geschehen in Kairo wieder aus der Ferne betrachtet, weit
weg von den Freunden, am Bildschirm. Aber es ist ja auch ihre Revolution,
nicht seine.
3 Jun 2011
## AUTOREN
Juliane Schumacher
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