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# taz.de -- Interview Alternativen zu Italiens Politik: "Per Wiki zur Demokrati…
> Alte Männer ohne Prostata ruinierten das Land, meint der Starkomiker und
> Polit-Aktivist Beppe Grillo. Das Internet sei die letzte gute
> Informationsquelle in seinem Land.
Bild: Ruby und Berlusconi: Ein Mann betrachtet das aus Plastiktüten gefertigte…
taz: Herr Grillo, bei den Kommunalwahlen in Mailand und Neapel hat das
Berlusconi-Lager verloren. Kein Grund zum Jubeln?
Beppe Grillo: Was wollen Sie hören?! Dieses Denken in Stichwahlen und
Allianzen – das ist doch alles so 20. Jahrhundert! Mit unserem "MoVimento
cinque Stelle" ("Fünf-Sterne-Bewegung") hat das nichts zu tun. Bei uns
entscheidet jeder nach seinem Gewissen. Wir sind dafür, alle Parteien
aufzulösen: Schluss mit der repräsentativen Demokratie, hin zur
partizipativen. Die Bürger können sich selbst vertreten, die Figur des
Delegierten hat abgewirtschaftet.
Würden alle so denken, dann hätten womöglich die Berlusconi-Kandidaten
gewonnen, oder?
So etwas sagen nur politische Verlierer, die für ihr Scheitern ein Alibi
brauchen. Wenn ich Mailänder wäre, hätte ich vielleicht den
Mitte-links-Kandidaten Pisapia unterstützt. Aber wenn ich sein Programm
lese, dann scheint er mit sehr weit weg zu sein von den Wünschen der Leute.
Die Mailänder wollen eine andere Stadt – nicht nur Zement, Expo und einen
Immobilienmarkt, der sich in den Händen der Banken befindet. Aber links wie
rechts machen alle Politik in diesem Sinne.
Darum ist es egal, wer gewählt wird: Es ändert sich nichts. Im Hintergrund
stehen immer dieselben Großunternehmer und Spekulanten. Und was Neapel
betrifft: Hier hat jeder verloren, auch der Wahlsieger. Um dieser Stadt
wieder auf die Beine zu helfen, braucht man mindestens zehn Jahre.
Sie sind Komiker und Politiker. Wo verläuft da bei Ihnen die Grenze?
Die Politik müsste erst mal nüchtern werden. Man hat uns zu lange
vorgegaukelt, alles sei wahnsinnig kompliziert. Dabei ist die Sache ganz
einfach: Man hat Geld zur Verfügung – und die Frage ist, wo es hingeht. Man
muss nur transparent handeln und ehrlich sein. Auf dieser Basis machen wir
Politik unterhaltsam und provozieren mit unterschiedlichsten Aktionen. Die
etablierte Politik kann das nicht, weil sie sich in der Hand von
Fünfundsiebzigjährigen ohne Prostata befindet. Deren Weltsicht ist sehr
begrenzt.
Wie sehen Sie Ihre persönliche Rolle in Ihrer Bewegung?
Ich bin das Megafon und habe meine Popularität in den Dienst der Sache
gestellt. Sonst hätten die Medien uns ignoriert. Mein Verdienst ist es,
eine Diskussionsplattform angestoßen zu haben – ein "Wiki" -, und daraus
ist dann ein politisches Programm geworden. Das ist Demokratie von unten:
Wir wollen Referenden ohne Quote, wir wollen Versammlungen, in denen sich
die Bürger einer Gemeinde einmal im Jahr treffen, um über die öffentlichen
Ausgaben zu entscheiden: ob eine Autobahn gebaut wird oder Kindergärten.
Die Bürger sind die Protagonisten, nicht ich.
Wer ist denn eigentlich schuld an der Demokratiekrise: die Politik oder die
politikmüden Bürger?
Die Politiker in Italien hängen in den 1950er-Jahren fest: Sie können nicht
mal Google richtig aussprechen. Sie spüren nur, dass all diese fremden
Worte – Internet, Open Source, Download – für sie gefährlich sind, und
wollen das alles am liebsten stoppen. Wir haben die italienische Politik in
die Krise gestürzt, und das ist fantastisch! Denn es bedeutet, dass sie nun
Stück für Stück zerbröselt. Die Bürger engagieren sich, wenn sie
Informationen haben. Das ist der Wind aus dem Maghreb, der auch schon in
Spanien weht. Bald wird er auch Deutschland erreichen!
Gibt es in Italien denn keine traditionellen, unabhängigen Medien?
Die halten die Kadaver am Leben! Sie sind ein Medium, keine Medien, sie
veranstalten spirituelle Sitzungen. Mit ihren seitenlangen Berichten über
Bunga-Bunga anästhetisieren sie die Gehirne von Millionen von Italienern.
Nur im Netz gibt es echte Informationen – und die jungen Leute wissen das.
Manche werfen Ihnen vor, einen Populismus zu betreiben, der sich nicht
wesentlich von dem etwa der rechten Lega Nord unterscheidet.
Der Vorwurf des Populismus gefällt mir, die Lega nicht. Die Lega kommt zwar
aus der Mitte des Volkes. Aber sie hat ihre Wähler mit den Banken betrogen.
Und sie hat von Anfang an von einer Sache geschwafelt, die es nicht gibt:
Padanien. Sie sind, kurz gesagt, Betrüger wie alle anderen Parteien.
Aber Ihre Euroskepsis teilen Sie doch mit der Lega, oder?
Ich war sehr enthusiastisch für Europa. Aber heute geht es nur noch um die
Rettung der Banken. Meine Hoffnung ist, dass Europa von Deutschland
kolonisiert wird. Denn die Deutschen machen alles gründlich, sind gut
organisiert und beherrschen die EU ohnehin. Sie sollten den Laden am besten
gleich ganz übernehmen.
5 Jun 2011
## AUTOREN
Riccardo Valsecchi
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