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# taz.de -- Ehemaliger Regierungsberater Tim Jackson: "Was heißt schon Kapital…
> Tim Jackson war mal Berater der britischen Regierung. Wohlstand durch
> Wachstum? Muss man nach der Krise gar nicht mehr drüber reden. Das System
> müsse umstrukturiert werden.
Bild: Tim Jackson sagt: Heute sind andere Dinge wichtig als damals, als man das…
taz: Mr. Jackson, Sie haben ein Buch veröffentlicht mit dem Titel
"Wohlstand ohne Wachstum", und Sie waren der erste Professor für
nachhaltige Entwicklung in Großbritannien. Lassen Sie uns doch erst mal
über das Wachstum auf Ihrem Konto sprechen. Ist Ihr Gehalt in den
vergangenen Jahren gewachsen?
Tim Jackson: Ein bisschen.
Nur ein bisschen?
Man ist kein Großverdiener als Universitätsprofessor, wenn man das mit dem
Finanzsektor vergleicht. Aber natürlich verdiene ich heute mehr. Und um
Ihre nächste Frage gleich vorwegzunehmen: Eine Wirtschaft, die nicht
wächst, ist nicht zwangsläufig eine Wirtschaft, in der man keine
Karrierefortschritte machen kann. Mehr Geld für mehr Erfahrung, das
schließt die Idee vom Wohlstand ohne Wachstum nicht aus.
Sie kritisieren, dass das Wachstum - gemessen als Zuwachs des
Bruttoinlandsprodukts - eine übertrieben große Rolle in unserer
Gesellschaft spielt. Warum?
Wir dürfen nicht davon ausgehen, dass diese Art von Wachstum
gesellschaftlichen Fortschritt bedeutet. Es gibt Auskunft darüber, was
gekauft wird, was ausgegeben wird, was Leute verdienen, welche Profite sie
machen. Mittlerweile gehen wir aber davon aus, dass Wirtschaftswachstum ein
Synonym für Fortschritt ist.
Warum ist es das nicht?
Umweltverschmutzung etwa trägt zum BIP bei, mindert aber unsere
Lebensqualität. Staus tragen zum BIP bei, Unfälle. Das Wachstum des BIP
schadet den Menschen, der Lebensqualität, unseren Umweltressourcen. Das
berücksichtigen wir in der Rechnung nicht.
Wie ist das BIP zum Fortschrittssynonym geworden?
Solche Maße erfassten ursprünglich Dinge, die wirklich wichtig für uns
waren: die Produktion von Essen, den Bau von Häusern, die Herstellung von
Kleidung. Das Wachstum der Wirtschaft spiegelte so das Wohlbefinden wider.
Damals aber schon zeigte sich, dass es Grenzen gibt - allein schon für die
Kleidungsstücke, die man braucht.
Wo ist das Problem?
Dank des technologischen Fortschritts wurde sehr effizient produziert. Wenn
man aber immer mehr mit immer weniger Leuten herstellt, verliert jemand
seinen Job. Um das zu verhindern, muss noch viel mehr produziert werden.
Die Gleichung hieß nun: Wachstum gleich Jobs. Es entstand eine Dynamik, die
uns in die Wachstumslogik zwängte.
Wenn Sie die BIP-Nachrichten lesen, den neuesten Wachstumsstand, was
empfinden Sie?
Es ist wohl eine Mischung aus Ärger und Hohn - weil diese Leute ihr
Wachstumsmantra herunterbeten, ohne die Auswirkungen zu begreifen, fast
religiös. Manchmal sitze ich in Konferenzen mit Kollegen zusammen, die ich
eigentlich sympathisch finde. Wir verfassen ein Paper über die Wirtschaft
der Zukunft, und sie möchten auf den ersten Seiten etwas Ermutigendes über
Wachstum schreiben. Warum? Ich will gar nicht, dass sie das Wachstum
verteufeln. Ich frage nur: Warum müssen wir das W-Wort überhaupt erwähnen?
Was zählt, sind doch Jobs, das Wohl der Menschen.
Sie schlagen einen anderen Ansatz vor.
Wir brauchen eine makroökonomische Theorie, in der unsere Lebensqualität
nicht mehr vom wachsenden Konsum abhängt. Dieses Konsumwachstum bedroht
unsere Ressourcen, die Umwelt, es unterminiert den sozialen Zusammenhalt.
Erstens muss also das Wachstum ökologisch gezügelt werden. Zweitens darf
die Stabilität nicht nur vom Konsumwachstum abhängen.
Schwierig wird es, wenn man sich konkret fragt: Wer bestimmt, welche Firma
wie wachsen darf?
Ich weiß gar nicht, ob das nötig ist. Das hieße ja wirklich, dass man das
von Unternehmen zu Unternehmen festlegt. Das wäre ein sehr
interventionistischer Ansatz.
Aber irgendwie muss das Wachstum geregelt werden …
Es müssten ökonomische Aktivitäten gefördert werden, die dann zum Kern der
neuen nachhaltigeren Wirtschaft würden. Besonders zwei Sektoren: grüne
Technologien und Infrastrukturen auf der einen und Dienstleistungen auf der
anderen Seite. Also: Gesundheitserziehung, die Erhaltung von Parks, Gärten,
von ökologischen Anlagen, die Restaurierung von Gebäuden, die Erhaltung
unseres Erbes. Dort müsste man das Wachstum stärken und es in den
schädlichen Sektoren begrenzen.
Wie soll das konkret funktionieren?
Man könnte steuerliche Anreize schaffen - Vergünstigungen, Kredite. Eine
andere Möglichkeit: klare ökologische Grenzen festsetzen, besonders für den
Verbrauch knapper Ressourcen. Das alles müsste aber viel weiter gehen. Die
Finanzmärkte müssen neu geordnet werden, die Spekulationen eingedämmt. Sie
schlagen die Gewinne einigen wenigen zu. Der Besitz muss in die Hände von
vielen gegeben werden. Klar, auch dieses Vorgehen ist interventionistisch,
aber es bedeutet nicht, sich jedes einzelne Unternehmen vorzunehmen,
sondern es hieße, Rahmenbedingungen zu schaffen, die diese Sektoren
entwickeln und voranbringen.
Wachstum ist die Grundlage für Investitionen. Wer keine Rendite erwartet,
investiert nicht. Im Grunde fordern Sie also die Abschaffung des
Kapitalismus.
Was heißt schon Kapitalismus. Es bringt nichts, sich hier in solchen
Gegensätzen zu verheddern. Der Kapitalismus nimmt die unterschiedlichsten
Formen an. Die erfolgreichste kapitalistische Wirtschaft der Welt ist
derzeit wohl eine kommunistische. Sicher: Die theoretische Frage ist eine
riesige Herausforderung. Auf einer anderen Ebene ändert sich aber schon
etwas. Gerade nach der Finanzkrise sind etliche Graswurzelexperimente
gewachsen: andere Formen der Investition, Gemeinwohlökonomien, die die
Profite nicht an die Shareholder abführen, sondern sie in die Community
reinvestieren. Trivident ist ein belgisches Projekt. Trivident statt
Dividende - es soll ökologische, soziale und finanzielle Gewinne abwerfen.
Das Unternehmen will kleine soziale Projekte mit sozialen und ökologischen
Zielen unterstützen. Eine vergleichbare Unternehmung in den USA nennt sich
Unified Field.
Kritik an Wachstumsfixiertheit gibt es schon länger. Warum sollte sich
jetzt etwas ändern?
Junge, kluge Studenten im Wirtschaftsgrundstudium sind versessen darauf,
eine andere Art von Makroökonomie kennenzulernen. Wenn sie eine andere Art
von Wirtschaft fordern, werden sie früher oder später eine bekommen. Das
ist das Gesetz von Angebot und Nachfrage.
Die Ideen werden sich verbreiten, wenn es nur genug Köpfe gibt, die das
tun?
Die Wirtschaft ist in einer Krise. Das hat die Finanzkrise deutlich
gemacht. Unsere Vorhersagen, wie Wirtschaften sich verhalten, wie sich
Wachstum aufrechterhalten lässt, sind alle auseinandergefallen - alle zur
selben Zeit. Und dennoch hat sich seitdem kaum etwas geändert. Es gibt ein
wenig mehr Demut. Sicher nicht das Ausmaß an Reform, das wir uns gewünscht
hätten. Aber der Respekt für ökonomische Besonnenheit ist gewachsen. Und
ich beobachte mehr Offenheit in der finanzpolitischen Debatte. Das
Weltwirtschaftsforum in Davos ist da ein interessantes Beispiel.
Wieso?
Die Sprache hat sich über die Jahre verändert. 2008 gab es nicht den
leisesten Zweifel an den Wachstumstheorien. 2009, direkt nach der Krise,
spürte man dann ein anderes Bewusstsein: Scheiße, was machen wir hier
eigentlich? Wie kriegen wir wieder Wachstum? 2010 fand sich auf der
Homepage von Davos das Wort Wachstum quasi nicht mehr, stattdessen viele
neue Ideen von Nachhaltigkeit.
Und in den Nachrichten? BIP, BIP, BIP. Wachstum, Wachstum, Wachstum.
Man kann sicher skeptisch argumentieren, dass sich nicht wirklich etwas
getan hat. Man kann aber auch sagen: Die Sprache, die Ideen haben sich sehr
wohl geändert.
Genügt es schon, das Vokabular zu ändern?
Das Vokabular zu ändern bedeutet nicht, das System umzustrukturieren. Das
ist die eigentliche Aufgabe.
Es schien nach der Krise viele wachstumskritische Stimmen zu geben, auch
da, wo man das nicht erwartet hätte. Sobald das Wachstum wieder anzog,
verstummten viele.
Die Leute denken, die wirtschaftliche Erholung sei schon da. Das Verlangen
nach sozialer Aktivität ist meist sehr kurz und hängt stark von bestimmten
Umständen ab. Diese Umstände haben sich wieder geändert. Ich bin mir
allerdings nicht ganz sicher, ob es so völlig still geworden ist. In
Großbritannien etwa haben wir eine neue konservative Regierung, die gerade
ein anderes ideologisches Regime etabliert, mit einem stark reduzierten
sozialen Engagement des Staates. Wir haben jetzt politische Unruhen, wie es
sie seit den Zeiten von Margaret Thatcher nicht mehr gab.
Gleichzeitig will die Cameron-Regierung einen Glücksindex einführen, der
das BIP ergänzt.
Das Interessante daran ist, dass sie offenbar vergessen haben, dass die
Vorgängerregierung schon einen Wohlstandsindex ins Leben gerufen hat.
Sie haben Gordon Brown dabei beraten, den Premier dieser
Vorgängerregierung.
Das ist eine tolle Sache, über einen Glücksindex nachzudenken. Aber in
Zeiten solcher Sparpolitik wirkt es doch ein wenig wie Schönfärberei.
Sind Sie selbst glücklich?
Äh … manchmal. Wenn ich über Wohlstand spreche, dann bedeutet Glück für
mich nicht, einen kleine Haken hinter eine Frage zu setzen, etwa so: Ich
bin zufrieden, alles supi! Seht, wie glücklich ich bin! Nein: Glück,
Wohlbefinden, Aufblühen ist für mich etwas anderes. Für mich ist es
wichtig, sich zu engagieren, gesellschaftlich. In dem Versuch, die Welt zu
einem besseren Ort zu machen. Und es gehört dazu, davon ein wenig
aufgezehrt zu werden. Der Schriftsteller George Bernhard Shaw hat gesagt:
Am Ende meines Lebens will ich mich verbraucht fühlen.
Sie wirken gerade sehr erschöpft. Fühlen Sie sich schon jetzt verbraucht?
Manchmal fühlt es sich so an, ja. Und manchmal wünschte ich, es würde sich
nicht ganz so sehr anfühlen.
11 Jun 2011
## AUTOREN
Johannes Gernert
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