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# taz.de -- Kampf gegen Krankheiten in Sierra Leone: Impfung für alle
> Jedes Kind in Sierra Leone soll geimpft werden. Deswegen reisen mobile
> Impfteams durchs ganze Land. Die Kampagne verläuft nicht ganz
> reibungslos, aber es gibt erste Erfolge.
Bild: Fahrradkurier: Abdullai Kpaka bringt die Impfstoffe in die Dörfer.
FREETOWN taz | Als das Weinen ihres Sohnes nicht aufhörte, machte sich
Asatu Kamara auf den langen Weg zu Doktor David Baion. Von dort, wo sie
lebt, in einem der abgerissenen Armenviertel, die rund um Sierra Leones
Hauptstadt Freetown wuchern wie Geschwüre, ist sie mehrere Stunden
gelaufen.
Jetzt sitzt die 23-Jährige auf einem der rund hundert Betten in der
allgemeinen Station des Ola-During-Kinderkrankenhauses, das Doktor Baion
untersteht. Ihr Sohn Mohammed, fünf Monate, hat zu weinen aufgehört. Mutter
und Sohn schauen auf einen Punkt irgendwo in der Ferne, jenseits des Meers
aus Eisenbetten, Kindergeheul und Instrumentengeklapper.
"Mohammed ist nicht geimpft", gesteht Asatu Kamara erschöpft. Die Ärzte im
Slum, wo die beiden zuerst waren, diagnostizierten Malaria. Tatsächlich
aber leidet der Säugling seit Tagen an akuter Lungenentzündung. "Wir haben
ihm Antibiotika gegeben", erklärt Oberarzt Baion. "Wir wissen noch nicht,
ob er überlebt." Fest steht: Sollte Mohammed die Krankheit überstehen, wird
er auf jeden Fall geimpft.
## Überfüllte Krankenhäuser
Denn nur geimpfte Kinder können darauf hoffen, nicht in den überfüllten
Hospitälern des Landes behandelt werden zu müssen. Um mehr als achtzig neue
Patienten kümmern sich David Baion und seine fünf Kollegen in Sierra Leones
größter Kinderklinik jeden Tag, so gut es geht. "Anfang vergangenen Jahres,
als es die kostenlose Gesundheitsversorgung für Kinder, Schwangere und
stillende Mütter noch nicht gab, waren es weniger als die Hälfte."
Mehr Geld oder gar mehr Ärzte hat Baions Hospital freilich nicht bekommen.
Selbst einfachste Medikamente gibt es nur, weil die deutsche
Hilfsorganisation Cap Anamur aushilft. "Die Kinder sind deutlich kränker
als bei uns", erklärt Rafael Reichelt, ein junger Kinderarzt aus Berlin,
der für Cap Anamur ans Ola During Hospital gekommen ist. "Um jedes einzelne
der Kinder, die hier auf den Stationen reihenweise liegen, würden sich in
Deutschland vermutlich ein Oberarzt und zwei Fachärzte drängen." Die beste
Behandlung für die Kinder ist folglich eine, die erst gar nicht erfolgen
muss.
Die Kindersterblichkeit in Sierra Leone ist so hoch wie kaum irgendwo sonst
auf der Welt. Laut dem UN-Entwicklungsprogramm stirbt eines von fünf
Kindern, bevor es seinen fünften Geburtstag feiern kann. Auf dem Land ist
die Lage besonders prekär. "Eigentlich sollten überall mindestens zwei
Krankenschwestern arbeiten", erklärt Wondimagegnehu Alemu, Repräsentant der
Weltgesundheitsorganisation WHO. "In vielen Krankenstationen auf dem Land
gibt es nicht mal eine."
## Es gibt nur wenige Mediziner
Entweder kümmern sich dort medizinisch-technische Assistenten um die
Notfälle - oder die Einrichtung wird ganz geschlossen. Der Grund der Misere
ist allen klar. "Armut und Analphabetismus", sagt Oberarzt Baion. Gut zehn
Jahre nach einem der blutigsten Bürgerkriege in Afrikas Geschichte hat sich
Sierra Leone noch nicht erholt. Die wenigen, die Medizin studieren,
verlassen wegen der schlechten Arbeitsbedingungen das Land. Zudem ist kaum
ein qualifizierter Arzt bereit, wie Baion für gerade mal 200 Euro
Monatslohn zu arbeiten. "Wir planen, vorübergehend Ärzte aus Nigeria und
Kuba einzufliegen", sagt Alemu.
Da klingt es erstaunlich, dass der im Gesundheitsministerium arbeitende
Arzt Thomas Samba "bemerkenswerte Fortschritte" bei der
Gesundheitsversorgung im Land konstatiert. Freilich spricht Samba nicht vom
Niveau der ärztlichen Behandlung, sondern von der Impfquote in Sierra
Leone. "Im Bürgerkrieg wurden gerade mal 40 Prozent der Kinder geimpft", so
Samba. "Heute sind 80 Prozent aller Kinder voll geimpft."
Vier von fünf Kindern seien also immun gegen Gelbfieber, Polio, Tetanus,
Diphtherie, Keuchhusten oder Masern und neuerdings auch gegen Pneumokokken,
den Haupterreger von Lungenentzündung. Die Idee: Wer geimpft ist, wird
nicht krank mit potenziell tödlichem Ausgang und muss das marode
Krankensystem nicht in Anspruch nehmen. "Das ist der richtige Weg, um die
Menge von Patienten zu reduzieren", bilanziert Alemu.
## Gemischte Partnerschaft
Hinter dem Impfprogramm, das Gesundheitsfunktionäre in Sierra Leone so sehr
feiern, steht vor allem eine Organisation: die globale Impfallianz GAVI
(Global Alliance for Vaccines and Immunisation), eine Initiative, an der
Unicef, die Weltgesundheitsorganisation (WHO), die Gates-Stiftung und auch
Pharmakonzerne beteiligt sind. Seit 2000 hat GAVI nach eigenen Angaben 288
Millionen Kinder weltweit geimpft und dafür mehr als 2,9 Milliarden Euro
ausgegeben.
GAVI macht Impfstoffe in ärmsten Entwicklungsländern verfügbar und krempelt
dabei den Markt für Impfstoffe ordentlich um. "Nehmen wir den
Pneumokokken-Impfstoff: In den USA kostet er mehr als 60 Euro pro Dosis,
für Sierra Leone zahlen wir aber für eine nur 2 Euro", erklärt David
Ferreira, einer der Geschäftsführer.
Zwar sind die Margen gering, doch die große Menge garantiert Gewinn: Allein
600 Millionen Dosen Pneumokokken-Impfstoff hat GAVI von den Herstellern GSK
und Pfizer für die Impfkampagnen in 72 Ländern bestellt. Kritiker werfen
GAVI vor, für den Impfstoff immer noch zu viel zu zahlen - zumal die
Hersteller im Vorstand vertreten sind. Doch der Forderung etwa von Ärzte
ohne Grenzen, die Konzernvertreter aus dem Vorstand zu werfen, tritt
Ferreira entschieden entgegen. "Wir sind dezidiert als öffentlich-private
Partnerschaft gegründet worden", sagt der Südafrikaner. Alle in der Allianz
vertretenen Partner hätten Eigeninteressen. "Das Wichtige ist, dass wir
offen damit umgehen und sie managen."
## Ein Häkchen pro Impfung
Von Interessenkonflikten und ähnlichen Problemen weiß Abdullai Kpaka
nichts. Auf dem Gepäckträger seines Fahrrads bringt er Impfstoffe auch in
die entlegensten Ecken Sierra Leones. "Wir checken alle Kinder", verspricht
er. Für die Kontrolle und eventuelle Auffrischungen ist Kpakas Kollegin
Francis Menge zuständig, die bei den Eltern im Dorf Impfpässe einsammelt
und mit Kreide Zeichen auf die Häuser malt: Ein Haken bedeutet "alles
okay", ein Kreuz "nachimpfen". Mobile Impfteams wie Kpaka und Menge müssen
oft in den Dörfern übernachten, um Kinder kurz nach Sonnenaufgang
abzufangen, bevor sie zum Arbeiten auf die Felder verschwinden.
Heute hat Menge einen schlechten Tag. Erst hat sie übersehen, dass bei
einer Familie Impfungen fehlen. Dann vergisst sie, dass eine Familie eine
neu eingeführte Impfung noch gar nicht haben kann. Schon gemalte Haken
werden wieder gelöscht. "Man darf kein Kind auslassen", betont Alison Mpaka
vom UN-Kinderhilfswerk Unicef. "Man sieht, dass die meisten Häuser okay
sind und nur eines oder zwei fehlen - und auf die muss man sich
konzentrieren."
Wie erfolgreich die Impfkampagne wirklich ist, hängt letztlich von der
Arbeit von hunderten Impfteams ab, die wie Abdullai Kpaka und Francis Menge
im Busch von Dorf zu Dorf reisen. Allein in diesem Jahr kommen zwei neue
Impfungen zu den bisherigen hinzu; Unicef-Frau Mpaka räumt ein, dass es
schwer ist, den Überblick zu behalten.
Das bestätigt auch WHO-Repräsentant Alemu: "Bei Kontrollen in Hospitälern
auf dem Land sehe ich oft, dass über die Impfungen dort und bei den mobilen
Teams nicht genau Buch geführt wird. Das bedeutet, wenn wir die gemeldeten
Impfzahlen überprüfen wollten, fehlen uns die Daten." Alemu glaubt, dass
die von der Regierung gemeldete Quote von 80 Prozent zu hoch gegriffen ist
- auch wenn der Aufwärtstrend stimmt.
## Fragwürdige Erfolgsquoten
Die ungenaue Datengrundlage ist ein Problem, weil alle Rädchen im Getriebe
auf Erfolge angewiesen sind. Impfteams und Ärzte vor Ort wollen hohe Quoten
melden, weil sie von der Regierung erfolgsabhängig bezahlt werden. Die
Regierung will hohe Quoten melden, weil davon die weiteren GAVI-Zuschüsse
abhängen - es gibt sogar Boni, wenn gesetzte Ziele noch überschritten
werden. Mit den Erfolgsmeldungen aus den einzelnen Ländern wirbt dann
wiederum GAVI bei den Gebern (siehe Infokasten). Weil GAVI mit einer
einzigartigen Form von Anleihen Gelder für die Impfkampagnen am Finanzmarkt
leiht, sind die Erfolge noch einmal wichtiger. Es gibt Kontrollen, doch wie
effektiv sie sind, scheint vor diesem Hintergrund unklar.
Zudem behindert zumindest Korruption im Kleinen die Arbeit vor Ort. Der
deutsche Arzt Rafael Reichelt hört immer wieder, dass Eltern für die
eigentlich kostenlosen Impfungen bezahlen müssen. "Wir wissen das definitiv
von Krankenstationen außerhalb von Freetown und gerüchteweise auch von
hier." Skrupellose Mediziner bessern mit Schmiergeldern ihr Gehalt auf und
gefährden damit den Erfolg der Impfkampagne.
Dass es zu den Impfungen keine Alternative gibt, auch wenn die Kampagnen
nicht ganz so reibungslos verlaufen, wie von der Regierung gern
dargestellt, glaubt indes auch Reichelt. "Impfungen sind das einzige
Mittel, um Kinder hier vor schweren Infektionen zu schützen."
14 Jun 2011
## AUTOREN
Marc Engelhardt
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