# taz.de -- Yoga-Guru Thurman über Männlichkeit und Familie: "Wir sind ein gr… | |
> Uma Thurmans kleiner Bruder Dechen findet bei Yoga seine männliche | |
> Stärke. Seine Familienkonstellation, sagt er, ist genauso toxisch wie | |
> jede andere auch. | |
Bild: Kopfstand, mal seitlich gesehen: Dechen Thurman. | |
taz: Herr Thurman, viele Männer behaupten, dass Männer, wenn sie überhaupt | |
Yoga machen, das nur tun, um an die ganzen heißen Frauen dort ranzukommen. | |
Dechen Thurman: Ich kann daran nichts Negatives finden. Ja, man hat eine | |
nette Aussicht, das stimmt. Was auch immer die Leute dazu bringt, zum Yoga | |
zu gehen, ist erst mal gut. Aber es ist definitiv zu anstrengend, um sich | |
nur darauf zu konzentrieren. Der Fokus verschiebt sich mit der Zeit auf die | |
körperlichen und geistigen Vorteile. | |
Ihre Yoga-Kurse werden zu etwa 95 Prozent von Frauen besucht - warum ist | |
das so? | |
Das frage ich mich auch. Traditionell ist es ja eher so gewesen, dass die | |
Männer Yoga machen. Der Trend ist in unserer Kultur ironischerweise | |
umgekehrt. Aber es werden immer mehr Männer im Unterricht. Außerdem gilt es | |
auch beim Yoga, die weibliche Seite der Auf- und Hingabe, Entspannung und | |
Flexibilität zuzulassen. Das gilt für Männer und Frauen. | |
Und warum machen Sie Yoga? | |
Ich fühle mich dadurch vital und männlich, ohne mit jemandem in Konkurrenz | |
treten zu müssen. Es gibt, wenn man älter wird, ja keinen Sportunterricht | |
mehr, außerdem war der häufig negativ besetzt. Beim Yoga findet man als | |
Mann sein Körpergefühl und seine Stärke, aber ohne Gewalt. Das gilt auch | |
für die männliche Seite bei Frauen. | |
Sie sind in einer buddhistischen Familie aufgewachsen und Sie und ihre drei | |
Geschwister haben tibetische Namen - führt so eine Erziehung direkt zum | |
Yoga? | |
Nein, erst mal hab ich mich davon, so weit es geht, entfernt. Ich habe, wie | |
meine Schwester Uma, eine starke Verbindung zur Schauspielerei und war auch | |
auf der Schauspielschule. Mir diente Yoga damals zunächst als eine Art | |
Entspannung vor dem Bühnenauftritt, so dass ich mich spontaner und | |
authentischer fühlte, mehr Zugang zu meinen Gefühlen bekam. | |
Die Familie spielt also keine Rolle? | |
Es hat viele Vorteile, wenn die eigene Familie sich mehr auf Spiritualität | |
konzentriert, während die Umwelt sehr materialistisch orientiert ist. Aber | |
es kann auch isolieren. Zu viel von diesem Zeug wirkt auch ausgrenzend, | |
wenn man zum Beispiel so gar nicht konkurrenzorientiert ist. | |
Und jetzt? | |
Jetzt unterrichte ich acht Yogastunden in der Woche und biete Yoga-Reisen | |
nach Asien an, häufig mit meinem Vater, Robert. Er ist Professor für | |
indo-tibetische Studien an der New Yorker Columbia University. | |
Ihre Kurse sind immer voll und Sie sind ein international begehrter | |
Festival-Gast und Workshop-Lehrer. Was ist das Geheimnis Ihres Erfolgs? | |
Erfolg kommt und geht. Ich bin manchmal sehr traditionell, und dann wieder | |
ist der Unterricht sehr wild. Mein Konzept ist eigentlich, nicht immer | |
eines zu haben, sondern darauf zu vertrauen, dass ich entsprechend auf die | |
Energie im Raum reagiere. Darauf, ob die Leute noch quatschen oder sich | |
schon aufwärmen, ob es heiß oder kalt ist draußen, was es für aktuelle | |
Geschehen gibt, über die die Leute sich vielleicht Sorgen machen. | |
Warum gibt es jede Woche ein bestimmtes Thema, so wie "Die 5 Koshas" oder | |
"Shanti/Shakti - Einatmen/Ausatmen"? | |
Das ist eine Möglichkeit für die Studios, ihre Kurse zu bewerben, | |
gleichzeitig aber auch, den Leuten etwas beizubringen. Wissen über den | |
Körper, Yoga-Geschichte, Lebensstil und Politik. Zum Beispiel dass ein Yogi | |
24 Stunden am Tag ein Yogi ist, zwei Stunden davon mindestens auf der | |
Matte! | |
24 Stunden, wie das? | |
Es ist die Art und Weise, wie wir auf Situationen reagieren. Asanas sind | |
mehr als eine Körperhaltung, sondern auch eine geistige. So sollen wir | |
beispielsweise eine Situation für mindestens fünf Atemzüge annehmen. Manche | |
Situationen mögen wir, andere nicht. Aber wenn wir in jede dieser | |
Situationen hineinatmen, gelangen wir zu einer Objektivität, die zum | |
Glücklichsein beiträgt. | |
Welche Rolle spielt dabei das Essen? | |
Eine sehr wichtige. Yogis sind in der Regel Vegetarier. | |
Aus moralischen Gründen? | |
Ganz und gar nicht. Für mich ist es eine rein biologische Frage. Wir | |
schließen keine Fleischesser aus, obwohl wir es vorziehen, Vegetarier oder | |
Veganer zu sein. Aber Fleischesser müssen sich für dasselbe Resultat | |
doppelt so sehr anstrengen wie Vegetarier. Du kannst während des | |
Unterrichts feststellen, was dir der eigene Körper gestattet, auf der | |
Grundlage dessen, wie du ihn bis jetzt behandelt hast. Und dann kannst du | |
selbst entscheiden, ob du etwas ändern möchtest. Allerdings sollte man sich | |
auch der Auswirkungen der Massentierhaltung auf die Umwelt bewusst sein. | |
Und dann gibt es noch das Karma-Argument, das gegen das Fleischessen | |
spricht. Man strengt sich durch Yoga an, um das schlechte Karma | |
loszuwerden, und dann häufst du es mit dem Fleischessen wieder an. | |
Ist Yoga vielleicht deswegen so beliebt, weil viele Menschen darin einen | |
Lifestyle erkennen? | |
Ich denke schon. Das Frustrierende als Umweltschützer ist ja, dass man sich | |
eines Riesenproblems bewusst wird, das man nicht ändern kann, obwohl man | |
Vegetarier wird und recyclte Produkte benutzt, während der Nachbar fröhlich | |
weiterverschmutzt. Aber jeder leistet seinen Beitrag, und wenn ich das | |
Essen in den Dienst der Umwelt stelle, dann entscheide ich mich gegen stark | |
subventionierte Unternehmen, die verhindern, dass die Leute einen | |
vernünftigen Preis für Fleisch zahlen. Über so etwas sprechen wir auch beim | |
Yoga. | |
Was geben Sie Ihren Schülern mit? | |
Ich gebe ihnen die Möglichkeit, sich mit ihrem Leben auseinanderzusetzen | |
und ihren Körper einer Sache zu widmen, Sensibilisierung dafür, dass | |
Materialismus und Globalisierung weltweite Probleme verursachen. Es geht | |
bei der Themenwahl für eine Yoga-Stunde ja nicht immer um ein veganes, | |
umweltbewusstes Leben, aber immer um Gewaltlosigkeit. Es kann auch um mehr | |
Toleranz gegenüber negativen Gefühlen in der eigenen Familie als Thema | |
einer Stunde gehen. | |
Und wie funktioniert das in Ihrer eigenen Familie? | |
Wir sind ein großer Haufen Deppen, der einander nicht richtig zuhört. Das | |
Ganze ist genauso toxisch wie jede andere Familienkonstellation. Aber meine | |
Geschwister und ich sprechen viel miteinander, sehen uns häufig und tragen | |
uns nichts nach, hoffe ich. Ich bin sehr stolz auf meine Familie, aber | |
jetzt im Alter auch weniger als je an ihr interessiert. In einer gesunden | |
Art. Man braucht einen gewissen Grad an Unabhängigkeit, damit es für alle | |
eine gesunde Verbindung ist. | |
Wenn alle Yoga machen, wird alles besser? | |
Yoga ist nicht das einzig Wahre. Fitnessstudios sind doch auch super, | |
verschiedene Sportarten, wie Pilates, ebenfalls prima. Die Entspannung, das | |
Selbstbewusstsein und die Disziplin, die man aus dem Fitnessstudio | |
mitnimmt, bringt anderen genauso viel wie Yoga uns Yogis. | |
Haben Sie das Bedürfnis nach Missionierung? | |
Wir glauben, dass der beste Weg, das zu bekommen, was man will, der ist, es | |
anderen zu geben. Ich sage niemandem, er soll aufhören, zu tun, was er tut, | |
und stattdessen lieber Yoga machen. Ich selbst habe von meinen Lehrern | |
gelernt, wie ich mich am besten verkaufe, indem ich ihre Marke "Jivamukti | |
Yoga" verkaufe. Dadurch bin ich dann wieder unabhängiger geworden. | |
14 Jun 2011 | |
## AUTOREN | |
Julia Niemann | |
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