# taz.de -- Kolumne Habseligkeiten: Die Fächer meiner Urgroßmutter | |
> Mit jeder neuen Generation ändern sich auch die Accessoires. Ich werde | |
> einmal eine elegante alte Dame sein – ohne Arschgeweih, aber dafür im | |
> Plastikregencape. | |
Den Niedergang meiner Familie sieht man allein an den Accessoires, die wir | |
Frauen uns zulegen, um den Elementen zu trotzen. Meine Urgroßmutter aus | |
Indien pflegte der Legende nach mit einer Kutsche in die Stadt zu fahren, | |
ausgestattet mit einem Fächer aus langen, langen Pfauenfedern. Ich möchte, | |
bevor es nun Protest hagelt, klarstellen, dass ich gegen die Verwendung von | |
Pfauenfedern für solche Zwecke bin. Dennoch muss man sagen, dass der Fächer | |
meiner Urgroßmutter wahrscheinlich zu ihrer Zeit als besonders elegant | |
galt. | |
Meine Oma, die auch eine feine Dame war, ließ sich mit dem Auto in die | |
Stadt fahren. Solange sie lebte, ging sie kaum aus dem Haus, ohne sich | |
gehörig eingepudert zu haben. In ihrer Hand hielt sie außerdem entweder | |
einen steifen Fächer mit Griff oder eines dieser schönen Modelle, die man | |
mit deutlich genervter Attitüde öffnen und schließen kann. Was für eine | |
Gestik! Meine Mutter geht, wenn es warm wird, ungern aus dem Haus und | |
stellt die Klimaanlage ihres Autos irre hoch. Ich fahre mit der U-Bahn und | |
wedel in der Hoffnung auf einen kühlenden Luftzug mit Discounterwerbung | |
herum. Wohin, frage ich mich, soll das noch führen? Werden meine Töchter | |
später mit Baseballkappen durch die Gegend laufen, in deren Schirm ein | |
kleiner Ventilator integriert ist? Kennen Sie die überhaupt? Ich glaube, | |
sie wurden in Florida erfunden und sind momentan noch das Rentnerpendant | |
zur Baseballkappe mit Bierdosenhalter. | |
Ich meine "momentan", weil Rentner ja immer fideler werden und sogar so | |
Dinge wie Flusskreuzfahrten machen. Das ist natürlich für alle außer dem | |
mitreisenden Schiffsarzt saulangweilig, also gibt es Landgänge, auf denen | |
die Reisenden Gefahr laufen, zu dehydrieren und umzukippen. Deswegen ist | |
die Kappe eigentlich super. | |
Den Niedergang unserer Familie sieht man nicht nur im Sonnenschein, sondern | |
auch bei schlechtem Wetter. Meine Urgroßmutter ging nämlich, wieder der | |
Legende nach, bei Regen gar nicht vor die Tür. Meine Großmutter saß während | |
des Monsuns die ganze Zeit zu Hause und spielte Canasta. Meine Mutter | |
benutzt einen Regenschirm und ich habe mir neulich sogar eins dieser | |
Papstbesuch-Regencapes aus Plastik gekauft. Die kennen Sie doch auch: Bei | |
Großveranstaltungen im Freien werfen die armen Würdenträger, die keine | |
andere Wahl haben, als in der Plörre zu sitzen, diese über, damit der Anzug | |
nicht ruiniert wird. Ich gehe einer geregelten Arbeit nach, die ab und an | |
von mir Anwesenheit erfordert, die wiederum erfordert, dass ich meine | |
Kinder bei Wind und Wetter in der Tagesstätte abgeben, das Cape hilft | |
dabei. | |
Wenn es gut mit mir läuft, dann werde ich aller Wahrscheinlichkeit nach in | |
vierzig oder fünfzig Jahren mit einer Baseballkappe mit Getränkehalter an | |
Deck eines Schiffes stehen. Der Plastikumhang schützt mich vor dem Regen, | |
der auf die Donau niedergeht. Meine Enkel inhalieren Eisspray, das bis | |
dahin die Zigarette ersetzt hat, und erzählen ihren Freunden, ihre Oma sei | |
eine feine Dame, weil sie sich niemals einen Tunnelohrring oder ein | |
Arschgeweih habe stechen lassen. | |
14 Jun 2011 | |
## AUTOREN | |
Natalie Tenberg | |
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