# taz.de -- Cem Özdemir über das ZDF: "Qualitätsjournalismus für alle" | |
> Was die Grünen für das ZDF wollen, ist für ihren Partei-Vorsitzenden Cem | |
> Özdemir klar: Transparenz, Frauen- und Nachwuchsförderung. | |
Bild: Mitglied des ZDF-Fernsehrats: der Grüne Partei-Vorsitzende Cem Özdemir. | |
taz: Herr Özdemir, heute nehmen Sie als ZDF-Fernsehrat an einer Wahl teil, | |
die gar keine ist: Es gibt nur einen Kandidaten. Macht das Sinn? | |
Cem Özdemir: Ich hätte nichts gegen mehr Auswahl gehabt. Aber leider hat es | |
Claudius Seidl von der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung nicht | |
geschafft, andere Fernsehräte davon zu überzeugen, ihn zur Wahl | |
vorzuschlagen. Das ist aber das Verfahren. Die öffentliche Debatte über | |
diese Wahl tut aber dem ZDF gut. | |
Dann hätte doch der Fernsehrat Özdemir den Passmann für Herrn Seidl machen | |
können! | |
Er hat sich mir nie vorgestellt und mich nicht nach meiner Stimme gefragt - | |
deshalb kann ich mir nicht vorstellen, dass das eine ernstgemeinte | |
Kandidatur zum ZDF-Intendanten war. Claudius Seidl wollte eher auf eine | |
Debatte hinweisen und sie ins ZDF hineintragen. | |
Nun klingt das beim ZDF intern aber eher nach Abwehrschlacht: Seidl, der | |
Störenfried. | |
Aber nicht von unserer Seite. Unsere Agenda ist klar, es geht um das Thema | |
Transparenz, um Frauen- und Nachwuchsförderung. Da hat das ZDF noch einiges | |
zu tun. Wie sind denn Frauen in den Gremien vertreten, und erst recht junge | |
Menschen - bislang doch kaum! Daraus ergibt sich die Frage nach attraktiven | |
Programmen und Qualitätsjournalismus für alle, auch junge Zuschauer. Diese | |
Themen stehen jetzt auf der Tagesordnung für den neuen Intendanten. | |
Der heißt nun ziemlich sicher Thomas Bellut, gilt als konservativ und hat | |
sich beim von der Union 2009/2010 inszenierten Rauswurf von | |
ZDF-Chefredakteur Nikolaus Brender fein rausgehalten. Und zur Belohnung | |
wird er jetzt von den Grünen mitgewählt? | |
Bellut ist programmerfahren, er wäre ein kommunikativer Intendant. Die | |
Causa Brender hat ja nicht das ZDF zu verantworten, sondern die Politik; | |
genauer gesagt die Union, die versucht hat, das ZDF vor ihren Karren zu | |
spannen. Unsere Konsequenz ist klar: Das Bundesverfassungsgericht muss | |
dafür sorgen, dass der Einfluss der sogenannten staatlichen Sphäre beim ZDF | |
reduziert wird. Von den 77 Fernsehräten sind der ja 50 zuzurechnen. | |
Zu welcher Sphäre rechnet sich denn der Fernsehrat Özdemir? | |
Dass Politik und Parteien - und dazu zähle ich - wie auch andere Vertreter | |
relevanter gesellschaftlicher Akteure und Gruppen beim | |
öffentlich-rechtlichen Rundfunk mitwirken, sieht unser Rechtssystem vor. | |
Dass die Staatskanzleien und damit die Exekutive hinter verschlossenen | |
Türen ins ZDF hineinregieren und sich SPD und CDU den | |
öffentlich-rechtlichen Rundfunk nach Parteiproporz aufteilen, steht da | |
nicht. Und es passt auch nicht mehr zu den Mehrheitsverhältnissen in | |
Deutschland. | |
Beim Deutschlandradio gibt es sogar noch mehr Vertreter der Staatssphäre | |
als beim ZDF - doch davon ist nie die Rede. Liegt das daran, dass Politiker | |
so schrecklich gern im Deutschlandfunk auftreten? | |
Nein, die öffentliche Debatte hat sich aus gutem Grund aufs ZDF | |
konzentriert. Aber Karlsruhe wird die Klage sicherlich zum Anlass nehmen, | |
das Thema Staatsferne bei den Öffentlich-Rechtlichen breit anzugehen - mit | |
Konsequenzen für alle Sender. Das kann nicht so bleiben. | |
In Baden-Württemberg hat Grün-Rot umgehend das Personal in den SWR-Gremien | |
ausgetauscht und zwei StaatsministerInnen geschickt. Wie passt denn das zu | |
Ihren Forderungen nach weniger Staatskanzlei? | |
Es war bislang so, dass in diese Gremien Vertreter der Staatskanzlei | |
entsendet werden. Aber die grün-rote Regierung hat angekündigt, zukünftig | |
auch eine staatsfernere Zusammensetzung der SWR-Gremien zu prüfen und | |
gegebenenfalls den Staatsvertrag zu ändern. Baden-Württemberg wird auch | |
ganz bewusst keinen Staatsminister in den ZDF-Fernsehrat entsenden - gerade | |
um in der aktuellen Debatte ein Zeichen zu setzen. | |
Und wenn im ZDF-Verwaltungsrat turnusmäßig wieder ein Platz an | |
Baden-Württemberg geht, bleibt Winfried Kretschmann zu Hause, obwohl es | |
Usus ist, den Ministerpräsidenten zu schicken? | |
Die Baden-Württemberger legen wie alle Bundesländer großen Wert darauf, | |
dass ihnen der Bund nicht sagt, was sie zu tun haben. Dafür habe ich große | |
Sympathie. Aber es gab ja in der Vergangenheit auch Beispiele, wie vor | |
einigen Jahren im Fall NRW und Schleswig-Holstein, wo die Länder | |
unabhängige Experten in den Verwaltungsrat entsandt haben. Dies sollte nach | |
meiner Vorstellung für die bislang für die Ministerpräsidenten reservierten | |
Plätze gelten. | |
Nun sitzen in den Gremien der Sender nicht nur Politiker, sondern vor allem | |
Vertreter der gesellschaftlichen Gruppen … | |
… und auch das entspricht doch nicht mehr unserer Gesellschaft. Da gibt es | |
erheblichen Reformbedarf: Es fehlen Vertreter der Muslime, von Migranten, | |
aber auch von jungen Menschen. Wenn das ZDF ein Problem hat, junge | |
Zuschauer zu erreichen, könnte es ja nicht schaden, wenn es auch mehr junge | |
Menschen im Fernsehrat gäbe. | |
Der eben wiedergewählte SWR-Intendant Peter Boudgoust will die mit einem | |
digitalen Jugendkanal von ARD und ZDF erreichen. Ist so etwas durchsetzbar? | |
Das hoffe ich, man sollte jetzt endlich aufhören mit diesen | |
Empfindlichkeiten zwischen ARD und ZDF. Wenn es für so ein Experiment nicht | |
mehr Geld gibt, muss es gemeinsam angepackt werden, um die Lücke zu | |
schließen zwischen Kinderkanal und ZDFneo. Was man dabei auch gleich mit | |
ändern könnte: Bei ZDFneo muss es Nachrichten geben dürfen. Allseits wird | |
beklagt, dass sich junge Menschen nicht mehr für Politik interessieren, die | |
Wahlbeteiligung zurückgeht - und dann schaffen wir im | |
öffentlich-rechtlichen Rundfunk einen Kanal, der sich an junge Erwachsene | |
richtet, doch der bringt keine Nachrichten. Das ist ein Schildbürgerstreich | |
ersten Ranges. | |
Apropos Schildbürgerstreich; Morgen tagt der ZDF-Fernsehrat wieder - und | |
wie immer hinter verschlossenen Türen … | |
… was ich noch nie verstanden hab, seitdem ich drinsitze: Welche | |
"Geheimnisse" und Diskussionen gibt es denn, die nicht auch öffentlich | |
ausgetragen werden können? Es gibt ja auch positive Beispiele von | |
ARD-Anstalten, wo die Gremien öffentlich tagen. Wir brauchen überall mehr | |
Transparenz bei den Öffentlich-Rechtlichen: Das Informationsfreiheitsgesetz | |
muss auch für ARD und ZDF gelten, damit Sitzungsprotokolle und | |
Entscheidungen für die Gebührenzahler nachvollziehbar werden. | |
Warum scheuen Ihre Fernsehrats-KollegInnen denn die Öffentlichkeit? Weil | |
herauskommen würde, dass sie bei den Sitzungen immer einnicken oder gar | |
nicht da sind? | |
Zum Schlafen sind die Sitzungen zu straff organisiert. Das ist die Macht | |
der Gewohnheit - dazu kommt das alte Totschlagargument, dann gäbe es nur | |
noch Fensterreden. Das kenne ich noch gut aus der Debatte, ob die | |
Bundestagsausschüsse öffentlich tagen sollten. | |
Reden die Grünen aber gerade nicht viel zu viel über das "alte Medium" | |
öffentlich-rechtlicher Rundfunk und ignorieren das Netz? Sie bezeichnen die | |
Grünen als "Partei der Internet-affinen". Das zaubert bei Anhängern der | |
Piratenpartei nur ein müdes Lächeln hervor. | |
Wir diskutieren nicht nur ideologisch, wir brauchen und machen beides. Denn | |
wir können es uns nicht wie die Piraten leisten, uns nur mit einem Thema, | |
einer bestimmten Altersgruppe zu beschäftigen. Dafür ist das Sortiment der | |
Grünen zu breit. Es macht doch keinen Sinn, beispielsweise das Gros der | |
ZDF-Zuschauer - also ältere Menschen - vor den Kopf zu stoßen. Wir müssen | |
aber mit der Zeit gehen, im klassischen Fernsehen neue Formate | |
ausprobieren, es zur Kreativplattform machen. Da kann das ZDF deutlich mehr | |
leisten, dabei wollen wir auch den neuen Intendanten unterstützten. Und der | |
wird große Unterstützung brauchen, denn die Widerstände sind ja bekannt. | |
Und dass es niemanden stört, dass Thomas Bellut eher aus der konservativen | |
Ecke kommt: Gehört das zur parteiunabhängigen Staatsferne der Grünen - oder | |
ist das bloß Teil der Entwicklung zur mittelgroßen Volkspartei? | |
Die Konservativen haben ja nicht nur gute Erfahrungen mit angeblich | |
"eigenen Leuten", die sich dann aber wie Intendant Markus Schächter als | |
eigenständige Köpfe erwiesen haben. Ich hoffe, dass sich Thomas Bellut in | |
dieser Tradition stellt und der Intendant wird, der das ZDF in die Zukunft | |
führt. Ob er das schafft und dafür sorgt, dass das ZDF nicht vollständig | |
vergreist, entscheidet dann auch vor allem der Markt. Und der ist ziemlich | |
unerbittlich, da spielt die parteipolitische Affinität nur eine sehr | |
untergeordnete Rolle. | |
17 Jun 2011 | |
## AUTOREN | |
Steffen Grimberg | |
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