# taz.de -- Stader Stadtmusuem wieder eröffnet: Mit Gewalt ins 21. Jahrhundert | |
> Der Stader Schwedenspeicher war einmal ein etwas trutschiges, | |
> grundsympathisches Stadtmuseum, wie es viele gibt. Jetzt, nach mehreren | |
> Monaten der Renovierung, stellt es sich als verlängerter Arm der | |
> Stadtvermarktung dar. | |
Bild: Wo gestern war, soll morgen werden: Kurz vor der Wiedereröffnung des umg… | |
STADE taz | Die Geschichte einer Stadt, in allgemein verständlicher, aber | |
fundierter Weise darstellen: So ließe sich wohl die Aufgabe eines | |
Stadtmuseums beschreiben. In der Regel beginnt die dazugehörige Erzählung | |
damit, dass sich - vorzugsweise in der Nähe einer Flussniederung - Menschen | |
sammeln und dauerhaft bleiben. | |
Handel entsteht, eine Mauer wird hochgezogen, schließlich gilt es | |
Wikingerangriffe abzuwehren, ein früher christlicher Missionar wird | |
erschlagen, was aber den Einfluss der Kirche nur befördert. | |
Später dann prügeln sich Fürsten mit anderen Fürsten, Pest und | |
Dreißigjähriger Krieg dezimieren die Population, der Bürger verlangt | |
irgendwann mehr Mitsprache an den Geschicken der Stadt, während die ersten | |
Schornsteine zu rauchen beginnen und Arbeiter das arbeitsfreie Wochenende | |
verlangen. | |
Am Ende steht die glückliche Gegenwart eines liebenswerten Städtchens, das | |
sich trotzdem der Herausforderungen durch die Gegenwart nicht verschließen | |
darf. | |
Dabei stehen Stadtmuseen immer unter dem Druck, für die jeweilige Stadt, | |
die in der Regel für Personal und Ausstellungsgeschäft bezahlt, zu werben. | |
Besonders diffizil wird es, soll das Museum explizit seinen Beitrag dazu | |
leisten, aus einer ganz normalen Kleinstadt eine unverwechselbare Marke | |
erwachsen zu lassen. | |
Wer erleben will, wie die Ergebnisse von historischer Recherche und | |
Forschung unter dem Druck des Stadtmarketings unter die Räder kommen | |
können, dem sei ein Besuch im neu eröffneten Schwedenspeicher in der | |
Hansestadt Stade an der Schwinge empfohlen. | |
Das Haus ist in acht Monaten komplett umgebaut worden, ja gleich "in das | |
21. Jahrhundert katapultiert", wie es die Pressestelle der Stader Museen | |
formuliert. Herausgekommen ist ein ganz neuer Look, wie man sagen könnte. | |
Und der zeigt sich zunächst mal an einem breiten, grellgelben Strich, der | |
den Besucher vom Eingangsbereich durch das Erdgeschoss und weiter in den | |
ersten Stock geleiten soll - ein wenig wie die Markierungen in | |
Krankenhäusern, mit denen verwirrten Patienten oder von Sorge gebeutelten | |
Angehörigen der schnellstmögliche Weg zur richtigen Krankenstation gewiesen | |
wird. | |
Überhaupt: Es leuchtet und blinkt allerorten. Hör- und Sehstationen | |
befüllen die Ausstellungsfläche, einzelne ausgewählte Exponate zeigen sich | |
in gut ausgeleuchteten Vitrinen, während eine Projektion einen | |
Schnelldurchlauf durch die Stader Geschicke erlaubt. | |
Nun ist nichts dagegen zu sagen, wenn Technik für Abwechslung und auch | |
Vermittlung sorgt, anstatt dass man die Besucher von Schrifttafel zu | |
Schrifttafel wandern lässt und wenig sonst. Doch bleibt stets die Frage: | |
Dient das alles der Erkenntnis? | |
In diesem Falle obsiegt eine lose Ansammlung von locker präsentierten | |
Exponaten, Bildschirmen und Hinweisschildern, die leicht zu konsumieren | |
sind, sich aber zu selten zu weiterführenden Fragestellungen bündeln. | |
Dabei ist sich gerade neuere Museumsdidaktik einig: Eine Ausstellung ist | |
dann gelungen, wenn der Besucher sie mit mehr Fragen im Kopfe verlässt, als | |
er sie betreten hat. In die Geschichte einer Stadt einzutauchen, verlangt | |
daher vor allem Arbeit - und Zeit, die nicht abzukürzen ist. | |
Nun hat Stade - wie viele Städte seiner Größe - durchaus etwas zu erzählen: | |
die Geschichte von Aufstieg und vor allem zeitweisem Niedergang, war Stade | |
doch über Jahrhunderte wichtiger und bedeutender als Hanse-Konkurrent | |
Hamburg, an dessen S-Bahnnetz es mittlerweile angeschlossen ist. | |
Diese Degradierung scheint in der Seele der Stader Museumspädagogen und | |
wohl auch der Geldgeber zu wühlen. Anders ist der Drang kaum zu erklären, | |
wie eine handbetriebene tibetische Gebetsmühle zu verkünden, was für eine | |
tolle Stadt Stade doch sei - und eben mitnichten das Nest, für das es | |
manche halten könnten. | |
Altkanzler Gerhard Schröders lobende Worte sind in einem kleinen Filmchen | |
anlässlich der 800-Jahr-Feier der Verleihung der Stadtrechte ebenso zu | |
sehen wie ein Bekenntnis Christian Wulffs. Musikalischer Höhepunkt dieser | |
Feierlichkeit, auch das ist dokumentiert, war übrigens ein gewisser Mungo | |
Jerry, der mit "In the Summertime" 1970 einen sogenannten Superhit hatte. | |
Dazu plaudern Stader Bewohner via Video über ihre Heimatliebe, die, klar, | |
Stade gilt. Einzig ein junger Mann darf sich ein bisschen darüber | |
beschweren, dass kulturell nicht allzu viel los sei in der Stadt, aber das | |
werde ihn nicht daran hindern, nach Studium und Ausbildung nach Stade | |
zurückzukehren. | |
Richtig schwummrig muss es dem Besucher werden, geht es in die nähere | |
Vergangenheit, in die Jahre 1933 bis 1945. Fast schon erleichtert wird | |
angemerkt, dass Stade zwar Standort eines Fliegerhorsts war, von | |
Bombardierungen aber weitgehend verschont geblieben sei. | |
Dabei ist die Geschichte der Stadt in jenen zwölf Jahren, die eben nicht | |
nur Kriegsjahre waren, recht gut erforscht. | |
So hat Stade ein Staatsarchiv und nicht allein ein Stadtarchiv, in dem | |
beispielsweise die Historiker Jürgen Bohmbach, Heike Schlichting oder | |
Hartmut Lohmann Grundlegendes erforscht und übrigens auch publiziert haben: | |
zur NS-Geschichte der Stadt und der Vertreibung der jüdischen Einwohner | |
ebenso wie zum Einsatz von Zwangsarbeitern in Stadt und Kreis. | |
Auf all das hätte man zurückgreifen können - stattdessen werden hier die | |
Reste eines Funkgerätes eines abgeschossenen Piloten ausgestellt wie eine | |
Reliquie. Diese Art der Geschichtsverweigerung steigert noch ein Blick in | |
die sogenannten Kinderstationen, die den jüngeren Besuchern einzelne | |
Geschichtsmomente vermitteln sollen: Hier marschieren die Nazis plötzlich | |
im Stechschritt von rechts nach links über den Monitor und sind so schnell | |
verschwunden, wie sie gekommen waren. | |
Und da: das Atomkraftwerk! Immerhin das erste seiner Art, das hierzulande | |
abgeschaltet wurde. Dabei sorge doch gerade die Industrie dafür, dass es | |
der Kultur gut gehe, ist zu erfahren. | |
Zum Glück und das tröstet ein wenig, ist das 21. Jahrhundert noch nicht ins | |
oberste Stockwerk des Speichers vorgedrungen, in der die Frühgeschichte in | |
der Bronze- und Eisenzeit erläutert wird: Der Boden ist mit einem harten | |
Sisalteppich ausgelegt, in riesigen, überdimensionierten Vitrinen stehen | |
Modelle frühzeitlicher Bauernhäuser. | |
Die Stader Bronzeräder sind als Nachbau zu betrachten, Einbäume legen sich | |
einem völlig antididaktisch in den Weg, Kinder können mit Pfeil und Bogen | |
auf Scheiben schießen. | |
Hier gibt es sie also noch, jene leicht irritierende, gestrige Atmosphäre, | |
die zum Innehalten animiert. Die einem klar macht, dass auch die eigene | |
Lebenszeit begrenzt - und dass Geschichte überhaupt all das ist, was man | |
persönlich nicht erleben konnte. | |
Wieder angekommen im Eingangsbereich, lässt sich die rabiate Verwandlung | |
des Schwedenspeichers von einem einst vielleicht etwas trutschigen, aber | |
recht sympathischen, eben herkömmlichen Stadtmuseum in eine forsche | |
Außenstelle der Tourismusinformation auch ganz profan erfassen: Einst | |
reichten einem hier die Damen, die zuvor den Eintritt kassiert hatten, | |
etwas linkisch sehr leckeren, selbst gebackenen Kuchen zu echtem | |
Kaffeemaschinenkaffee. | |
Heute steht in einer ausgeleuchteten Ecke ein Automat mit Münzeinwurf. Das | |
Ding nennt sich: "Selbstbedienungscafé". | |
16 Jun 2011 | |
## AUTOREN | |
Frank Keil | |
## TAGS | |
Herfried Münkler | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
400 Jahre Prager Fenstersturz: Die Erfindung der Vergangenheit | |
Die Gewaltorgie des Dreißigjährigen Krieges begann vor 400 Jahren. Hat das | |
2018 noch etwas mit uns zu tun? Ein Museumsbesuch mit Herfried Münkler. |