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# taz.de -- Nachhaltigkeit auf Sylt: Eine Frage des Niveaus
> Über nördlichste deutsche Insel ist eigentlich alles gesagt. Nur über die
> Nachhaltigkeit ihres Tourismus spricht kaum jemand.
Bild: Blick auf die Wanderdünen.
An der Bar des Privathotels Benen-Diken-Hof in Keitum schenkt der Chef,
Claas-Erik Johannsen, selber aus. So mögen es die Gäste. Der kleine Raum
ist brechend voll, verqualmt. Johannsen und seine Gäste sprechen über Sylt,
über die Zukunft der Insel. „Es darf nicht sein, dass die Air Berlin oder
die TUI mit ihrem lieblosen Dorfhotel Pauschaltouristen für 399 Euro die
Woche hierher karren“, sagt Johannsen. „Das ist einfach nur Masse.“
„Wenn das Niveau nicht mehr stimmt, komme ich nicht mehr hierher“, droht
der langjährige Stammgast aus Bochum. „Denn es ist die gute Küche, der
Wein, das Golfangebot, was die Insel für mich attraktiv macht.“
Der Weinhändler Andreas Stigler vom Weingut Stigler am Kaiserstuhl
bestätigt das: „Sylt hat die größte Dichte an guten Weinen.“ Er muss es
wissen. Mit seiner Frau Regina ist er gerade auf Verkaufstour auf
Deutschlands nördlichster Insel. Und um die Diskussion voranzubringen, holt
er eine 3-Liter-Flasche „Pinöle“- 2007er Sekt Pinot, klassische
Flaschengärung - aus seinem Kofferraum.
„Es muss geklärt werden, wie viele Menschen die Insel verkraftet“, sagt
Johannsen und prostet seinen Gästen mit einem „Pinöle“ zu. „Und wenn je…
hier Geschäfte macht, dann sollte er auch hier leben. Das schafft
Verantwortung.“
„Ich finde es schade, dass immer mehr meiner Freunde wegziehen, weil das
Wohnen auf Sylt so teuer geworden ist. Ich möchte nicht im Elfenbeinturm
leben, ohne gewachsene Beziehungen“, bedauert die Autorin und Gästeführerin
Silke von Bremen, die in Westerland lebt.
Und der Landschaftsfotograf Hans Jessel, ihr Mann und Sylter in dritter
Generation, wünscht sich, „weiter ungestörte Landschaft hier zu finden. Das
ist nicht so einfach, wenn die Landschaft zubetoniert ist, wenn Windräder
den Blick aufs Meer verstellen und Häuser im Naturschutzgebiet stehen“,
sagt er.
„Es ist sehr wichtig, dass die Insel ein Erlebnis bleibt“, sagt Anja
Johannsen, die Hotelchefin.
Zumindest an der Bar des Benen-Diken-Hof ist sie das noch. Hier wird
kommuniziert. Mit oder ohne „Pinöle“. Der Benen-Diken-Hof, der wie viele
hier mit ein paar Gästebetten anfing, hat sich mit anderen Privathotels zum
Marketingverbund Sylter Privathotels zusammengeschlossen. Und er ist
Mitglied bei Feinheimisch - Genuss aus Schleswig-Holstein e.V. zur
Förderung einer nachhaltigen und regionalen Esskultur. Gehobenes Niveau,
gute Küche, beste Weine, stilvolles Ambiente. Im Benen-Diken-Hof feiern
Familien und erholen sich Paare. Hier blitzen teure Autos in der Sonne,
hier frühstückt der sportliche Mann mit der strengen, hochgewachsenen
blonden Frau - diesem teuren Blond - in Jeans, Bluse und Goldknopfjackett.
Unkonventionell, nach vorn gerichtet ist auf Sylt nichts: weder der
Dresscode der Frauen noch die Zukunftsplanung. Sylt und seine Urlauber
tummeln sich im saturierten Istzustand. Auf Sylt hat es der touristische
Mittelstand zu erheblichem Reichtum gebracht. Hier feiert das deutsche
Bürgertum sich und seinen Lebensstil, zeigt diesen gern und konsumiert
selbstbewusst auf hohem Niveau. Einzig das Essen soll regional und damit
nachhaltig sein.
Dass Nachhaltigkeit im Tourismus längst ein Qualitätsmerkmale ist, scheint
auf Sylt noch nicht angekommen. Dabei ist die Schönheit der Insel, vor
allem die Naturlandschaft des Promi-Ortes Kampen, einem veritablen
Vordenker zu verdanken. Denn was wäre das schöne, berühmte Kampen mit
seinen Dünen, seiner Heide, seinen Stränden ohne die Initiative von
Ferdinand Avenarius? Der Dichter und Gründer der Zeitschrift Der Kunstwart
verbrachte die Sommer in Kampen auf Sylt, als dessen „Entdecker und
Popularisierer“ er gilt. „Er gründete um die Jahrhundertwende einen Verein
zum Erhalt der Insellandschaft, woraus sich das Naturschutzgebiet Listland
entwickelte, das 1924 das größte Naturschutzgebiet des Deutschen Reichs
war“, sagt Silke von Bremen bei Ausblick auf die Dünen von Kampen „Es sind
die Gebiete, die heute noch frei sind von Bebauung.“
Silke von Bremen ist eine engagierte Inselexpertin und eine gute
Erzählerin. Sie kennt die Geschichte und die Geschichten der Insel, und sie
weiß auch: „Das Großartigste, was diese Insel zu bieten hat, ist ihre
Natur.“ Der vierzig Kilometer lange Sandstrand an Sylts Westküste, wo die
Wellen sich mit Wucht brechen, die hohen Dünen, die Wanderdünen im Norden,
die an die Sahara erinnern, die spröde Heidelandschaft und die roten
Klippen - all dies ist das Inselversprechen. Doch fährt man über die knapp
100 Quadratkilometer große Insel, so bleiben dem Blick nur kurze
Verschnaufpausen, um diese viel gepriesene Naturlandschaft zu genießen.
Sicherlich, Keitum ist ein idyllisches Friesendorf, verkitscht und
verbutzt. Eine Puppenstube mit Reetdächern, blühenden Vorgärten,
Seefahrerromatik im Heimatmuseum und gigantischen Grundstückspreisen.
Kirsten ist eine der 40 Prozent Dauerbewohner hier: „Im Sommer ist die
Schmerzgrenze echt erreicht“, stöhnt sie beim Schneiden der Rosen in ihrem
Garten. Da fühlt man sich wie ein bestaunter Außerirdischer.“
Dafür fühlt sich der Besucher in Westerland wie in jeder anderen deutschen
Kleinstadt mit all ihrem architektonischen Elend. Westerland, der größte
Ort der Insel, ist ein Konglomerat wilder Stilkombinationen.
Bäderarchitektur neben dem 50er-Jahre-Bau, der 70er-Jahre-Betonburg und dem
90er-Jahre-Glaspalast - von planvoller Bebauung keine Spur. Zum Glück
schweift der Blick hinter den Dünen über kilometerlangen Sandstrand.
„Fährt Sylt bald grün?“, titelt immerhin die Sylter Zeitung und verweist
auf die zwei Elektroautos auf der Insel, die „an der Ampel noch jeden
Porschefahrer abhängen“. Und 20 Elektrofahrräder obendrein. Ohnehin ist das
Rad längst Teil eines selbstbewussten Lebensstils und auf fast jeder
blitzenden Familienkarosse, die Sylt ansteuert, mit dabei. Doch steht man
am Bahnhof Keitum und sieht die langen Autozüge an sich vorbeirollen,
während am Himmel gut sichtbar Air Berlin scheinbar im Sturzflug den
Flughafen anpeilt, drängt sich die Frage auf, warum man auf der ökologisch
sensiblen Insel kein nachhaltiges Verkehrssystem diskutiert und sucht. Wäre
es doch ein Leichtes über den Hindenburgdamm, der die Insel mit dem
Festland verbindet, den Autoverkehr zu steuern und vor allem, in den
Hochzeiten im Sommer, zu beschränken. Doch das teure Auto gehört
augenscheinlich zu Sylt wie Hermes, Bulgari und Joop.
Die Freunde von Sylt waren und sind die Erfolgreichen, die Reichen, die
Schriftsteller und Publizisten aus Hamburg und die, die sich gern zu ihnen
gesellen. Der Journalist Rudolf Walter Leonhard hat es schon 1971 im Merian
beschrieben: „Dann kamen die Touristen und die Snobs und die Schürzenjäger,
Gänse und Pfauen und Böcke, die Voyeurs, Fotografen und Geschäftemacher -
und in ihrem Tross wieder Touristen, zehntausende, hunderttausende von
Touristen.“ Und das hat sich nicht verändert, wenn die Zeitschrift Land und
Meer in ihrem aktuellen „Sylt Special“ von Ole von Beust über Sabine
Christiansen, Guido Westerwelle bis Eckart von Hirschhausen alle auffährt,
die dem Produkt Sylt förderlich sind.
Mögen Pfauen und Snobs den Verkaufswert der Insel steigern, eine verbaute
Natur wird dies auf die Dauer nicht. Wandern durchs Watt oder über den
Strand, vom Himmel fliegen, im Strandkorb das Sylter Lebensgefühl genießen,
golfen, radeln, edelshoppen, Prominenz entdecken, Windsurfen, sich
Currywurst, Fisch oder Sterneküche schmecken lassen - so viel Aktion kann
der Landschaft den Atem rauben.
Zerbrechlich schmal zeigt sich die Insel auf den Darstellungen im Museum
der Naturgewalten im nördlichen List. Umtobt vom Meer, das die Insel immer
weiter auffrisst. Auf dem Dach des Erlebniszentrums Naturgewalten, sorgt
eine Solaranlage für warmes Wasser und eine Photovoltaikanlage für Strom.
Es ist ein guter Ort für schlechtes Wetter und Zukunftsvisionen. Und das
Café mit der leckeren Friesentorte ist eine Oase im Vergleich zu dem
danebenliegenden Fisch-Disneyland von Gosch, dem maritimen Hofbräuhaus.
„Parkplätze wie in Vorstädten, Golfbälle im Watt und Stromkästen in der
Landschaft“ - für solche und andere Verunstaltungen regt der Leser Lothar
Koch in den Sylter Nachrichten die Sylter Stinkesocke an. Der Kommentator
Jörg Christiansen greift die Anregung auf und fordert gleich eine
Ethikkommission für Sylt. Die erste und einzige Aufgabe dieses
Expertengremiums wäre es, „den Umgang mit Mensch, Natur und Sachen
festzulegen“. Keine schlechte Idee.
17 Jun 2011
## AUTOREN
Edith Kresta
## TAGS
Reiseland Deutschland
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