# taz.de -- Fête de la Musique: Ein Rapper der guten Tat | |
> Einst war er Intensivtäter, heute holt Rapper Challa mit seinem Freund | |
> Kane Kinder von der Kreuzberger Straße - manchmal direkt ins Tonstudio. | |
> Am Dienstag ist er bei der Fête de la Musique zu hören. | |
Die Bierflasche zerplatzt auf dem Kopf des Mannes. Scherben klirren, Blut | |
sprenkelt die Fliesen der Diskotoilette rot, und Challa thront über seinem | |
Opfer, den Flaschenhals noch in der geballten Faust. | |
Elf Jahre später umklammert dieselbe Hand ein Mikrofon. Vieles hat sich | |
seit jenem Abend im Juni 2000 verändert, als er einem Menschen beinahe das | |
Augenlicht raubte und für drei Jahre in den Knast ging. Plattenfest in | |
Marzahn-Hellersdorf. Challa steht auf der Bühne und rappt zu dumpf | |
hämmernden Bässen: | |
Ich bin geborn mit Liebe / Doch mir wird Hassen beigebracht / Auf meine | |
Brüder einzuschlagen und zu schießen. | |
Eine Zeile, aus dem Leben von Caglar Budakli, wie der 29-jährige | |
Deutschtürke mit bürgerlichem Namen heißt. Das Leben eines jugendlichen | |
Intensivtäters aus Kreuzberg, der erst durch den Rap zurück zur "Liebe" | |
findet und seine Erfahrung an den Kiez weitergibt. | |
Challas Geschichte beginnt in den 70er Jahren. Seine Eltern kommen als | |
Gastarbeiter nach Berlin, mit sechs Kindern leben sie in dreieinhalb | |
Zimmern. Der Vater ist Gabelstaplerfahrer, arbeitet Schicht, trinkt. Opfer | |
seiner Tobsuchtanfälle ist Challas Mutter, dann und wann auch das Kind. | |
"Ich bin ohne die Zahnfee aufgewachsen", erzählt Challa heute. "Dafür aber | |
mit einer Wut, die ich auf dem Schulhof und der Straße verteilt habe." | |
Gern habe er zugeschlagen - weil er es nicht anders gelernt hatte: "Ich | |
wollte ein Gangster werden, wie meine älteren Brüder es waren." Um sich | |
Anerkennung und Respekt zu verschaffen, bedroht Challa Jugendliche, | |
bestiehlt sie, schlägt sie. Da ist er gerade acht Jahre alt. | |
## Kiezgröße im Sixty One | |
Mit 14 ist er Teil einer Straßengang. Aus dem Spiel wird Ernst: 150 Mann, | |
drei Generationen bilden die "Crazy Kick Brothers". Mit Banden wie den | |
"Black Panthers" oder den "Bulldogs" teilen sie die Stadt unter sich auf. | |
Kreuzberg 61 ist CKB-Revier. Und Challa? Er macht sich schnell einen Namen: | |
"Im Sixty One war ich eine Kiezgröße", sagt er heute spöttisch.Wegen | |
Erpressung und Körperverletzung landet Challa drei Monate in | |
Untersuchungshaft. Als er herauskommt, schaltet er einen Gang höher - | |
räuberische Erpressung, Nötigung, Autodiebstahl. Doch nun drücken die | |
zuständigen Richter ein Auge zu. Challa kommt immer wieder ohne Haft davon. | |
"Ich hab das ausgenutzt", sagt er rückblickend. | |
Auch wegen solcher kriminellen Karrieren liebäugelt Schwarz-Gelb mit einem | |
sogenannten Warnschussarrest. Straffällige Jugendliche könnten so schon | |
während einer Bewährungsstrafe mit dem Inneren einer Gefängniszelle | |
vertraut gemacht werden. Befeuert durch die Attacken auf Berliner | |
U-Bahnhöfen prescht die Union bei der Umsetzung voran. | |
"Warnschussarrest": ein "Unwort", findet Hakan Aslan. Der Sozialarbeiter | |
des Kreuzberger Jugendzentrums DTK-Wasserturm sieht das Problem anderswo: | |
"Jahrelang hat die Stadt das Geld für die Kinder- und Jugendarbeit massiv | |
gekürzt." Die dringend benötige Präventivarbeit mit Jugendlichen lasse sich | |
immer schwerer aufrechterhalten. | |
Challas Geschichte ist ein Spiegelbild dieses gesellschaftlichen | |
Dauerdisputs um den richtigen Umgang mit jugendlichen Gewalttätern und | |
Kriminellen: Mehr Geld für die Arbeit mit Problemkindern? Lange hat ihm das | |
Jugendzentrum Villa Kreuzberg Halt gegeben. Dann machte das Haus dicht. Ob | |
er daraufhin abrutschte, lässt sich im Nachhinein nur schwer beurteilen. | |
Und schnellere Strafen? Seine U-Haft sollte ein Warnschuss sein. Aber sie | |
war ein Warnschuss, der nach hinten losging. Mit 15 lernt Challa Dealer und | |
Mörder kennen. Sie sind ihm kein abschreckendes Beispiel, sondern Ansporn: | |
"Ich wollte so sein wie die großen Jungs", sagt er: "Mir nichts sagen | |
lassen, Geld verdienen." | |
Was bleibt, ist Selbsteinsicht. Erst als er nach seinem brutalen Übergriff | |
2000 für drei Jahre im Gefängnis landet, macht Challa eine Wandlung durch. | |
"Ich war am Nullpunkt angelangt", sagt er. Andere würden fortan seine Rolle | |
einnehmen und den "großen Gangster" mimen. Er beginnt Bücher zu lesen und | |
stolpert über den Sinnspruch: "Gedanken sind schöpferisch". Er hat es | |
selbst in der Hand, sich von seiner Vergangenheit loszusagen und ein neues | |
Leben zu beginnen - der Nullpunkt als Anfang. Challa schreibt seine | |
Gedanken nieder und rappt seine ersten Zeilen. | |
Aus dem Gefängnis entlassen, kehrt Challa in seinen Kiez zurück und droht | |
wieder abzurutschen. Aber eine Sache gibt ihm Halt: der Rap. Er macht | |
Studioaufnahmen und lernt den in Uganda geborenen Kenar "Kane" Matovu | |
kennen. Auch der saß im Knast. Gemeinsam gründen sie "K.O.Muzik - Kreuzberg | |
Originals". Sie texten politische und sozialkritische Zeilen. Conscious | |
Rap. Ein Genre, das seine Wurzeln in der afroamerikanischen | |
Bürgerrechtsbewegung hat. "Back to the roots", wie Kane sagt. | |
Erst geht nur darum, die eigenen Wunden zu heilen: "Rap ist wie ein | |
Kopfkino, in dem man seine Geschichte verarbeitet", sagt Challa. Später | |
lassen sich die beiden auch in den Kopf schauen. Kane und Challa möchten | |
den Kindern ein Beispiel sein, im Guten wie im Schlechten. Sie machen es | |
sich zur Aufgabe, Kinder von der Straße zu holen. "Die Kids sollen unseren | |
Weg gehen", sagt Challa und schiebt hinterher: "Nur die sonnige Seite." | |
## Narben auf dem Kopf | |
Im Jugendzentrum des DTK-Wasserturm bieten die beiden zahlreiche Kurse an: | |
Graffiti, Breakdance, HipHop und Rap. Mit Schülern der Lenau-Grundschule | |
tanzen sie seit Anfang des Jahres einmal wöchentlich Breakdance und HipHop. | |
Auch in zwei Oberschulen - der Lina-Morgenstern- und der | |
Hector-Peterson-Schule - unterrichten sie wöchentlich über hundert Kinder | |
und Jugendliche. "Woher kommen die Narben auf deinem Kopf?" Wenn ihn die | |
Schulkinder das fragen, erzählt Challa einen Teil seiner Geschichte. | |
Ali Chehade ist eines von diesen Kiezkindern, denen Challas Geschichte | |
Zuversicht gegeben hat und der Rap einen Anker. Bevor er vor drei Jahren | |
Challa traf, hat er Leute beklaut und erpresst. "Ich hab mich mit den | |
falschen Leuten eingelassen", sagt der schmächtige 16-Jährige heute. Erst | |
Challa habe ihm gezeigt, wie man "etwas Richtiges" aus sich machen kann. | |
Seitdem betritt Ali regelmäßig das Tonstudio des Wasserturms mit | |
zerknitterten Zetteln, auf die er Gefühle und Meinungen gekritzelt hat, um | |
an seinen Rhymes zu feilen. | |
Ist das Challas Werdegang: vom Intensivtäter zum rappenden Sozialarbeiter? | |
"Rapper der guten Tat", korrigiert Challa. | |
17 Jun 2011 | |
## AUTOREN | |
Lukas Ondreka | |
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