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# taz.de -- Wohnhaus in Tripolis getroffen: Nato gibt Angriff auf Zivilisten zu
> Die Nato traf am Sonntag durch einen Fehler ein ziviles Wohnhaus in
> Tripolis - und gestand zivile Opfer ein. Die Aufständischen kommen indes
> gegen Gaddafis Regime nicht voran.
Bild: Zerstörtes Wohnhaus: Regierungsvertreter führen die Presse am Sonntag d…
TRIPOLIS/BENGHASI rtr/dpa | Die Nato sieht sich in Libyen mit schwerer
Kritik beider Bürgerkriegsparteien konfrontiert. Die Rebellen warfen den
westlichen Verbündeten am Wochenende mangelnde Unterstützung im Kampf gegen
Machthaber Muammar Gaddafi vor. Zugleich erklärte die libysche Führung, das
Militärbündnis habe bei einem neuerlichen Luftangriff auf die Hauptstadt
Tripolis am Sonntag neun Zivilisten getötet, darunter auch Kinder.
Die Nato räumte am Abend ein, dass bei einem Luftangriff ein militärisches
Ziel verfehlt worden sei und Zivilisten zu Schaden gekommen seien. Ursache
sei wohl ein Fehler im Waffensystem gewesen. Für die Nato könnte sich
daraus eine weitere innere Zerreißprobe entwickeln, zumal sich in der
Allianz in den vergangenen Wochen ohnehin zunehmende Zweifel an dem Einsatz
offenbart haben.
"Alles geht zur Neige", sagte Ali Tarhuni, der bei den Aufständischen für
Finanzen und Öl zuständig ist, in einem Interview. Die westlichen Länder
begriffen dies entweder nicht oder es sei ihnen egal. Mit Blick auf
versprochene Zahlungen aus den eingefrorenen Konten Gaddafis im Ausland
sagte er: "Da ist bislang nichts geschehen. Und ich meine wirklich nichts."
Er sei es inzwischen leid, die Politiker aus Europa und den USA wieder und
wieder auf ihre Zusagen anzusprechen. "Wir reden mit so vielen Menschen in
all diesen Ländern und auf all diesen Konferenzen und sie halten großartige
Reden", sagte Tarhuni. "Politisch wissen wir das zu schätzen, aber was die
Finanzen anbetrifft, sind sie ein kompletter Ausfall. Unsere Leute
sterben."
Der Militäreinsatz koste die Rebellen umgerechnet täglich geschätzte 60
Millionen Euro, sagte Tarhuni. Woher das Geld kommen soll, ist nicht klar.
Das Öl in der von den Aufständischen kontrollierten Region falle
gegenwärtig als Einnahmequelle aus. "Ich rechne nicht damit, dass wir
demnächst Öl produzieren. Die Raffinerien haben kein Rohöl, also laufen sie
nicht", sagte Tarhuni.
## "Wir wissen nicht, was die Nato tut"
Seit einem Vierteljahr werden die Rebellen in ihrem Kampf gegen Gaddafi von
der Nato aus der Luft unterstützt. Inzwischen kontrollieren sie das
östlichen Drittel Libyens, einen Großteil des westlichen Gebirges entlang
der Grenze zu Tunesien sowie die strategisch wichtige Hafenstadt Misrata am
Mittelmeer. Auf Gaddafis Machtbasis Tripolis haben sie jedoch nicht
entscheidend vorstoßen können.
Am Sonntag mussten sie bei ihrem Versuch, von Misrata aus in Richtung
Hauptstadt voranzukommen, schwere Verluste hinnehmen, als sie unter
Beschuss von Gaddafi-Truppen gerieten. Mehrere Aufständische wurden
getötet. Die Nato griff nach Angaben eines Arztes, der in einem
Feldlazarett die Verletzten behandelte, nicht ein. "Wir wissen nicht, was
die Nato tut", sagte er.
Nach Angaben der libyschen Führung setzte die Allianz ihre Luftangriffe auf
Tripolis fort. "Es wurden bewusst und mit Absicht Häuser von Zivilisten ins
Visier genommen", sagte Vize-Außenminister Chaled Kaim. Regierungsvertreter
führten Journalisten am Sonntag in ein Wohnviertel im Stadtteil Arada.
Dort wurde ein menschlicher Körper aus den Trümmern eines Hauses gezogen.
In einem örtlichen Krankenhaus wurden dann drei Leichen gezeigt, darunter
die eines Kindes. Es handle sich um Tote des jüngsten Luftangriffs, sagte
ein Regierungssprecher.
Ob die drei Leichen aus dem zerstörten Gebäude stammten, konnte nicht
unabhängig bestätigt werden. Die Journalisten erreichten das Gebäude
eineinhalb Stunden, nachdem in der Hauptstadt eine laute Explosion zu hören
war. Während nach früheren Luftangriffen Rauch aus den Trümmern aufstieg,
war davon in diesem Fall nichts zu sehen.
## Falsche Opfer
Kürzlich hatte ein Mitarbeiter desselben Krankenhauses Reportern einen
Zettel zugesteckt, auf dem es hieß, ein bei einem Autounfall verletztes
Kind sei von der Regierung zum Luftangriff-Opfer erklärt worden.
Der internationale Militäreinsatz in Libyen stützt sich auf ein UN-Mandat,
das zum Schutz von Zivilisten den Einsatz militärischer Gewalt zulässt. In
einer Erklärung der Nato vom Sonntag hieß es, das Bündnis tue "alles, um
die libysche Bevölkerung vor der Gewalt des Regimes von Gaddafi zu
schützen".
Die Nato plane die Einsätze "mit Präzision und mit einer hohen
Genauigkeitsrate". Seit Übernahme der Führung des Militäreinsatzes durch
die Nato am 31. März seien mehr als 4400 Kampfeinsätze gegen militärische
Ziele in Libyen geflogen worden.
Wenige Stunden vor der Attacke auf das Wohnhaus hatte die Brüsseler
Nato-Zentrale [1][bereits einen anderen Fehler] eingeräumt. Am Donnerstag
hatten Nato-Flugzeuge nahe der ost-libyschen Stadt Al-Brega versehentlich
Panzer und andere Militärfahrzeuge der Gaddafi-Gegner beschossen.
In einer "besonders komplizierten und dynamischen Gefechtsfeldsituation"
habe man sie irrtümlich für eine Fahrzeugkolonne der Gaddafi-Truppen
gehalten. Nach Rebellen-Angaben waren 16 Aufständische verletzt worden.
20 Jun 2011
## LINKS
[1] /1/politik/afrika/artikel/1/nato-entschuldigt-sich-fuer-angriff/
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