# taz.de -- Chinesischer Dissident unter Hausarrest: Ai Weiwei nur fast frei | |
> Nach fast drei Monaten ist der chinesische Aktionskünstler Ai Weiwei zwar | |
> wieder in Freiheit. Peking darf er aber in den kommenden 12 Monaten nicht | |
> verlassen. | |
Bild: Frei und doch nicht frei: Der chinesische Aktionskünstler darf Peking ei… | |
PEKING taz | "Gestern Nacht gegen elf Uhr ist die liebe Tante heimgekommen, | |
sie ist dünner geworden." Aus diesem schlichten Satz auf einer chinesischen | |
Künstler-Webseite erfuhren Freunde und Kollegen am Donnerstag von der | |
[1][Freilassung Ai Weiweis]. "Liebe Tante" gehört wie "der Dicke" zu jenen | |
Codeworten, mit denen chinesische Blogger in den vergangenen Monaten die | |
Zensoren umschifften, wenn sie sich über das Schicksal des seit dem 3. | |
April verschwundenen Aktionskünstlers informierten. | |
Nun hatte die Polizei den 54-Jährigen mitten in der Nacht in einer dunklen | |
Limousine zu seinem Atelier im Pekinger Künstlerviertel Caochangdi | |
gefahren. Ein deutlich schlankerer Ai war ausgestiegen, hatte ein paar | |
wartenden ausländischen Journalisten kurz die Hand geschüttelt und war dann | |
durch das türkisblaue Tor seines Hauses verschwunden. | |
Gegen halb acht Uhr morgens trat der Künstler gestern vor die Tür, bedankte | |
sich bei dem kleinen Trupp wartender Journalisten und bat zugleich um | |
Verständnis, dass er über seinen Fall nichts sagen dürfe. "Ich bin auf | |
Kaution frei, deshalb darf ich keine Informationen geben." | |
Während die Freilassung von Freunden und der Familie begeistert aufgenommen | |
wurde, herrschte in den chinesischen Medien Funkstille. Außer der kurzen | |
ersten Mitteilung der amtlichen Nachrichtenagentur Xinhua, wonach Ai Weiwei | |
wegen guter Führung und einer chronischen Krankheit gegen Kaution | |
freigekommen war, schwiegen Zeitungen und Nachrichtenportale. Auch in den | |
chinesischen Internetforen und vielen Blogs herrschte tiefes Schweigen. | |
Eine Pekinger Schriftstellerin erklärte: "Es ist jetzt keine gute Zeit, | |
sich zu äußern. Wir sind alle froh, dass er raus ist, jetzt müssen wir | |
weitersehen." | |
## Regierung betont: China ist ein Rechtsstaat | |
Außenamtssprecher Hong Lei gab sich in seiner regulären Pressekonferenz am | |
Nachmittag wie gewohnt zugeknöpft. Er wiederholte die schon von Xinhua | |
herausgegebene Mitteilung, wonach Ai Weiwei zugegeben habe, Steuern | |
hinterzogen zu haben. Ai dürfe Peking in den nächsten zwölf Monaten nicht | |
ohne Erlaubnis verlassen, bekräftigte der Sprecher. Auf die Frage, wie frei | |
sich der Künstler nun bewegen könne, gab es keine Antwort. Hong Lei: | |
"Wenden Sie sich an die zuständigen Stellen." | |
Kritik am Vorgehen der chinesischen Polizei, die den Künstler ohne Zugang | |
zu einem Anwalt an unbekanntem Ort festhielt, wies er zurück: Chinas sei | |
ein Rechtsstaat, seine Justiz sei souverän, man verbitte sich jede | |
Einmischung. Aus seinen abwehrenden Worten war nicht zu erkennen, wie es | |
mit Ai Weiwei nun weitergeht. | |
Als Rechtsgrundlage nannte der Sprecher eine auf Chinesisch "qubao houshen" | |
genannte Regelung, die übersetzt etwa heißt: "eine Garantie erhalten im | |
Hinblick auf Untersuchungen". Im Klartext: Der Verdächtige zahlt eine | |
Kaution. Er darf nicht ohne Genehmigung verreisen und muss sich stets zur | |
Verfügung der Polizei halten. Spätestens nach einem Jahr erfährt er, ob | |
eine Anklage erhoben wird - und wie diese konkret lautet. | |
Deshalb wird sich erst in der nächsten Zeit erweisen, ob es die Behörden zu | |
einem Gerichtsprozess kommen lassen wollen. Ebenso möglich erscheint es, | |
dass Ai Weiwei zur Zahlung seiner angeblichen Steuerschulden mit kräftigem | |
Zinsaufschlag verdonnert wird - und der Fall damit erledigt ist. Anders als | |
der Regierungssprecher gestern beteuerte, ist bislang offenbar unklar, ob | |
die von Ais Ehefrau geführte Firma tatsächlich Steuern hinterzogen hat und | |
in welcher Höhe. Es bleibt auch unklar, was zur Freilassung Ai Weiweis zu | |
diesem Zeitpunkt geführt hat. Immerhin scheint es nun möglich, dass er mit | |
einem blauen Auge davonkommt. | |
23 Jun 2011 | |
## LINKS | |
[1] /1/leben/koepfe/artikel/1/ai-wei-wei-ist-frei/ | |
## AUTOREN | |
Jutta Lietsch | |
## ARTIKEL ZUM THEMA |