# taz.de -- Panter-Preis-Kandidat: Gegen das Vergessen | |
> Eberhard Radczuweit bittet sowjetische Kriegsgefangene um Verzeihung - | |
> und bereitet gerade eine Ausstellung zum 70. Jahrestag des Überfalls auf | |
> die Sowjetunion vor. | |
Bild: Legt Wert auf die Geste der Aussöhnung: Eberhard Radczuweit. | |
In den Geschäftsräumen des Vereins Kontakte-Kontakty in Berlin-Schöneberg | |
stehen lebensgroße Porträtfotografien ehemaliger sowjetischer | |
Kriegsgefangener. Es sind alte Männer, in deren Gesichtern das Leid und die | |
Schmerzen des Krieges eingraviert sind. Unter den Porträts stehen Zitate | |
aus Briefen, in denen sie ihre Erinnerungen an die deutschen Arbeitslager | |
schildern. "Unser Hauptproblem war der Hunger", schreibt zum Beispiel | |
Wassili Popowitschew. "Sie können sich bestimmt nicht vorstellen, was | |
Hunger heißt? Du denkst nur ans Essen. Selbst im Schlaf bist du hungrig und | |
träumst vom Essen." | |
Eberhard Radczuweit bereitet gerade eine Ausstellung zum 70. Jahrestag des | |
Überfalls auf die Sowjetunion vor. Den Umgang der deutschen Gesellschaft | |
mit den ehemaligen sowjetischen Zwangsarbeitern will der 69-Jährige nicht | |
akzeptieren: "Wir haben beschlossen, etwas zu tun." | |
Von den rund 5,7 Millionen sowjetischen Soldaten, die während des Krieges | |
in deutsche Gefangenschaft gerieten, starben etwa 3,3 Millionen. Sie | |
verhungerten, erfroren oder wurden erschossen. Die Überlebenden warten bis | |
heute auf die offizielle Anerkennung ihres erlittenen Unrechts. Auch vom | |
2007 abgeschlossenen "Zwangsarbeiter-Entschädigungsfonds" haben sie nicht | |
profitiert: 20.000 Anträge wurden mit dem nüchternen Satz abgelehnt, dass | |
Kriegsgefangenschaft allein noch keine Leistungsberechtigung begründet. | |
"Als ich davon hörte", sagt Herr Radczuweit, "war ich einfach nur wütend." | |
## Kleine Geste der Aussöhnung | |
Seit 2003 sammelt der Berliner Verein, dessen ehrenamtlicher | |
Geschäftsführer Eberhard Radczuweit ist, Spenden für die ehemaligen | |
Kriegsgefangenen. Alle bekommen 300 Euro und persönliche Briefe, in denen | |
sie zum ersten Mal aus Deutschland ein Bekennen von Schuld und die Bitte um | |
Verzeihung erfahren. An über 7.000 Kriegsgefangene konnte das Geld bislang | |
ausbezahlt werden. "300 Euro sind nicht viel", sagt Radczuweit, "aber die | |
Menschen sind unglaublich dankbar für diese kleine Geste der Aussöhnung." | |
Eberhard Radczuweit wurde 1941 in Berlin geboren. Sein Vater starb 1942 als | |
Wehrmachtssoldat in Russland. Seine Eltern waren NSDAP-Mitglieder. Als er | |
ein Jahr alt war schickte ihm sein Vater zur Kommunion eine Feldpostkarte, | |
in der er ihm erklärte, dass er sich für Deutschland und seinen Sohn | |
opfere. Als erwachsener Mann hat er diese Postkarte zerrissen. Sein Vater | |
hat im Krieg auch viel fotografiert und er hätte ihn gerne einmal gefragt, | |
wie er so verblendet gewesen sein konnte, einen alten russischen Bauern als | |
Untermenschen zu bezeichnen. | |
## | |
Eberhard Radczuweit rückt seine Brille zurecht, streicht mit den Fingern | |
durch seinen graumelierten Bart und sagt mit ruhiger Stimme: "Natürlich hat | |
mein Engagement für die Menschen in der ehemaligen Sowjetunion auch viel | |
mit meiner Biografie zu tun. Mein Vater ist mit seinen Stiefeln in Russland | |
einmarschiert, während ich Jahrzehnte später in das gleiche Land mit einer | |
friedlichen Geste der Versöhnung gegangen bin. Da hat sich ein Kreis | |
geschlossen." | |
Eigentlich wollte Radczuweit Künstler werden. Er hat an der Universität der | |
Künste in Berlin Malerei studiert. Henri Matisse, Paul Cézanne und später | |
Max Beckmann waren seine Vorbilder. Ende der sechziger Jahre wurde | |
Radczuweit durch die Studentenbewegung politisiert. Er musste etwas gegen | |
den Vietnamkrieg, die alte Nazigeneration und die atomare Aufrüstung | |
unternehmen. Malen war ihm da nicht mehr genug. Er brauchte etwas | |
Handfestes, rief Kunstgruppen ins Leben und engagierte sich sehr stark für | |
die Friedensbewegung. | |
Dann kam Gorbatschow mit seiner Perestroika und er gründete 1990 zusammen | |
mit Hilde Schramm, der Tochter von Albert Speer, den Verein | |
Kontakte-Kontakty. Gemeinsam wollten sie auf diese Weise den Dialog | |
zwischen West- und Osteuropa stärken. Sie organisierten Kulturtage, | |
Veranstaltungen und unterstützten leukämiekranke Kinder aus Tschernobyl. | |
Mit den gesammelten Spenden konnten sie Tausenden Kindern das Leben retten. | |
Und jetzt kümmert sich Radczuweit um die ehemaligen sowjetischen | |
Kriegsgefangenen. Er schätzt, dass noch 5.000 von ihnen erreichbar sind und | |
sagt: "Solange sie noch leben, werden wir sie unterstützen." | |
Auf die Frage, ob er es denn bereue, wegen all seiner sozialen Aktivitäten | |
seine Malerei aufgegeben zu haben, antwortet er ruhig und gelassen: "Nein. | |
Ich wollte etwas verändern, etwas Sinnvolles tun. Und es ist ein Glück, | |
diesen Kindern und alten Menschen helfen zu dürfen. All diese Erfahrungen | |
haben mich persönlich bereichert." Eberhard Radczuweit lehnt sich zurück, | |
zündet sich eine Zigarette an und vermittelt dabei den Eindruck eines | |
Mannes, der mit sich im Reinen ist. | |
24 Jun 2011 | |
## AUTOREN | |
Alem Grabovac | |
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