| # taz.de -- Skandal-Prozess in Frankreich: "Das ist nicht Justiz, das ist Terro… | |
| > Ein Korse ist wegen der angeblichen Ermordung eines Politikers verurteilt | |
| > worden. "Ein weiteres Zeichen der Arroganz des französischen Staates", | |
| > sieht der korsische Politiker Talamoni. | |
| Bild: Yvan Colonna: korsischer Nationalist und lange der meistgesuchte Mann Fra… | |
| taz: Herr Talamoni, der Korse Yvan Colonna ist in dieser Woche in Paris | |
| wegen der Ermordung des französischen Präfekten Claude Erignac zu | |
| lebenslanger Haft verurteilt worden. Sie protestieren dagegen. Warum? | |
| Jean-Guy Talamoni: Ich bin bestürzt. [1][Ein Unschuldiger sitzt im | |
| Gefängnis][2][.] Die Verteidigung hat die Widersprüche in der Darstellung | |
| der Staatsanwaltschaft belegt und bewiesen, dass die polizeilichen | |
| Ermittlungen einseitig geführt wurden. Zudem gibt es Augenzeugen, die in | |
| keiner Verbindung mit der nationalistischen Bewegung stehen, die sagen, | |
| dass es nicht Colonna war, der auf den Präfekten geschossen hat. Dennoch | |
| ist er verurteilt worden. Das ist ein Justizskandal, aber auch ein | |
| politischer Skandal, denn die Entscheidung, Colonna das Recht auf ein | |
| faires Verfahren vorzuenthalten, ist auf höchster Ebene getroffen worden. | |
| Warum soll das denn so gelaufen sein? Weil der heutige Staatschef und | |
| ehemalige Innenminister Sarkozy aus dem Fall Erignac eine Prestigesache | |
| gemacht hat? | |
| Selbstverständlich! Es ist kaum vorstellbar, dass dieses Berufungsgericht | |
| dem widerspricht, was die Staatsführung sagt und beschließt. Die Richter | |
| hatten keine Wahl. | |
| Wie geht es nun weiter? | |
| Natürlich werden Colonnas Anwälte in Berufung gehen, vor dem Europäischen | |
| Menschengerichtshof. Er hat ein Recht auf einen fairen Prozess. Es ist | |
| nicht nur für die Korsen, sondern für alle Demokraten unerträglich, dass | |
| ein Unschuldiger zu lebenslanger Haft verurteilt wird. | |
| Hat die Verurteilung von Colonna einen Solidarisierungseffekt ausgelöst, | |
| der sich gegen die französischen Interessen kehren könnte? | |
| Der Prozess war auf jeden Fall kontraproduktiv, weil es sich nicht um | |
| Justiz, sondern um blinde Rache handelte. Wir nennen dies im Mittelmeerraum | |
| eine "transversale Rache", wenn man eine bestimmte Person nicht angreifen | |
| kann und stattdessen einen ihrer Angehörigen attackiert. Frankreich suchte | |
| einen Schuldigen, und weil es ihn nicht fand, schnappte es sich einen | |
| korsischen Nationalisten, der ins Schema passt. Das ist nicht Justiz, | |
| sondern Terror. Den Nationalisten wird eingebläut, dass der französische | |
| Staat nicht zögert, einen Unschuldigen zu verurteilen. Wirklich | |
| kontraproduktiv wäre dies für Frankreich aber nur, wenn seine Führung an | |
| einer politischen Lösung für das korsische Problem interessiert wäre. Das | |
| ist nicht der Fall, man behandelt das Thema Korsika nur unter dem | |
| Blickwinkel der Repression. | |
| Gibt es noch einen Dialog mit Paris? | |
| Der einzige Dialog, der stattfindet, ist der unter den Korsen selbst. | |
| Lionel Jospin hat als Letzter aufrichtige Vorschläge gemacht. | |
| Werden sich die korsischen Separatisten nun radikalisieren? | |
| Wir äußern uns dazu nicht. "Corsica Libera" ist eine rechtlich anerkannte | |
| politische Bewegung mit gewählten Vertretern. Die Abgeordneten der | |
| Nationalisten repräsentieren in Korsika zusammen 36 Prozent der Wähler. Wir | |
| können also hoffen, bei den nächsten Wahlen auf legale Weise die Macht zu | |
| übernehmen, so wie die Nationalisten in Schottland. | |
| Andere werden aber vielleicht gewaltsam reagieren? | |
| Das weiß ich nicht. Ich weiß aber, dass nicht nur der Fall Colonna für | |
| Unmut sorgt, sondern auch das seit zehn Jahren nicht eingelöste | |
| Versprechen, die korsischen Gefangenen in die Nähe ihrer Familien nach | |
| Korsika zu verlegen. Uns geht es darum, den französischen Staat dazu zu | |
| bringen, mit uns zu diskutieren, wir wollen keinen Bruch. Wir wollen eine | |
| umfassende politische Lösung, damit die Korsen in Korsika leben können. | |
| Aber dennoch: Ist die Gewalt auf Korsika nicht ganz speziell ein Problem? | |
| Nein! Die Gewalt ist nur die Konsequenz der Situation in Korsika. Die | |
| Gewalt kommt vom französischen Staat in Form eines Machtmissbrauchs. | |
| Frankreich hat alles getan, um unsere Wurzeln, Sprache und Kultur zu | |
| unterdrücken. Heute können die Korsen nicht mehr in Korsika leben, weil | |
| Wohneigentum wie auch die Mieten zu teuer sind. Und jene, die sich dieser | |
| Immobilienpolitik widersetzt haben, wurden systematisch kriminalisiert. Wir | |
| distanzieren uns nicht von den Korsen, die gegen diese Gewalt rebellieren. | |
| Selbst wenn dies bis zur Ermordung eines Vertreters des französischen | |
| Staates geht? | |
| Die nationale korsische Bewegung hat damals 1998 das Attentat als Tat | |
| verurteilt, ohne aber die Täter zu verurteilen. Das ist eine politische | |
| Stellungnahme. | |
| Wie verhält sich der korsische Nationalismus zur Immigrationsfrage? Vor | |
| einiger Zeit war die Rede von rassistischer Gewalt … | |
| Diese angeblichen rassistischen Zwischenfälle - das ist eine Erfindung | |
| gewisser Kreise, vor allem als Jean-Pierre Chevènement Innenminister war. | |
| Rassisten gibt es in Korsika nicht mehr als in Deutschland. Korsika hat | |
| immer Leute von anderswo aufgenommen und integriert. Der Antirassismus ist | |
| ein Teil unseres Engagements. | |
| Es stimmt also nicht, dass es eine Fremdenfeindlichkeit der korsischen | |
| Separatisten gibt? Auch nicht gegen Touristen? | |
| Wir wären völlig verrückt, wenn wir etwas gegen die Touristen hätten, da | |
| der Fremdenverkehr einen der wichtigsten Wirtschaftszweige Korsikas | |
| darstellt. Die Feriengäste aus Frankreich, Deutschland, Italien etc. wurden | |
| immer sehr freundlich empfangen. Heute ist dieser Tourismus aber schlecht | |
| organisiert. Und problematisch ist, wenn die Fremden mit enormen Budgets | |
| kommen, um Immobilien aufzukaufen. Das führt zu Reaktionen, denn in den | |
| letzten zehn Jahren sind die Bodenpreise um 2.000 Prozent gestiegen. Sie | |
| haben richtig gehört: 2.000 Prozent! Das hat schlicht zur Folge, dass viele | |
| Korsen in ihrem Dorf oder Quartier nichts mehr kaufen können und früher | |
| oder später nicht mehr bei sich zu Hause leben können. Diese Spekulanten | |
| sind nicht willkommen. Alle anderen nehmen wir mit offenen Armen auf. | |
| 26 Jun 2011 | |
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| ## AUTOREN | |
| Rudolf Balmer | |
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