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# taz.de -- Montagsinterview mit Kauf-dich-glücklich-Betreibern: "Wir fühlen …
> Mit gebrauchten Möbeln und Waffeln haben Andrea Dahmen und Christoph
> Munier vor neun Jahren angefangen. Heute verdienen sie das meiste Geld
> mit Blusen und Mänteln - in acht deutschen Städten.
Bild: Christoph Munier und Andrea Dahmen im eigenen Laden.
taz: Frau Dahmen, Herr Munier, unseren Interviewtermin vor einer Woche
mussten Sie wegen einer Portugalreise absagen. Was haben Sie da gemacht?
Christoph Munier: Urlaub war es nicht. Im August soll unsere erste eigene
Kollektion in die Läden kommen, zuerst nur für Damen. Und weil wir die
nicht irgendwo in Fernost produzieren lassen wollen, wo wir weder wissen,
wer sie näht noch unter welchen Bedingungen, haben wir uns für Portugal mit
seiner starken kleinteiligen Textil- und Lederindustrie entschieden.
Andrea Dahmen: Die vielen dänischen Labels, mit denen wir zusammenarbeiten,
lassen alle in Asien produzieren und können ihre Mode daher sehr günstig
anbieten. Trotz viel kleinerer Stückzahlen soll auch unsere eigene
Kollektion bezahlbar sein - sonst wäre es nicht mehr "Kauf dich glücklich".
Dementsprechend knifflig war es, unsere Preis- und Qualitätsvorstellungen
in Portugal durchzusetzen. Wir mussten hart verhandeln, teilweise bis tief
in die Nacht.
Sie könnten Ihre Mode auch über andere Boutiquen vertreiben, um die
Stückzahlen zu erhöhen und die Preise zu senken.
Christoph Munier: Ausgeschlossen. "Kauf dich glücklich" ist "Kauf dich
glücklich", und wir wollen da komplett dahinterstehen, von der Produktion
bis zum Verkauf.
Andrea Dahmen: Wir verkaufen eben nicht nur Mode, sondern auch das "Kauf
dich glücklich"-Lebensgefühl.
Christoph Munier: Jeder Kunde - ob in Münster oder München - soll das
Gefühl haben, immer auch ein Stück weit in unserem Laden an der Oderberger
Straße zu sein, in dem die Geschichte von "Kauf dich glücklich" vor neun
Jahren mit Möbeln, Eis und Waffeln begann. Deswegen gibt es auch in den
Modeläden seit kurzem unsere geheime Waffelbackmischung.
Was macht dieses Lebensgefühl aus? Das klingt erst mal nach hohlem
PR-Sprech.
Andrea Dahmen: Unsere Kunden sollen sich in den Läden wie bei guten
Freunden zu Hause fühlen. Deswegen haben wir so viele Stammkunden, die
wissen, dass sie bei uns auch nicht schief angeguckt werden, wenn sie mal
nur stöbern. Außerdem ist es doch ungewöhnlich, dass man bei "Kauf dich
glücklich" neben Mode auch ein Designbuch kaufen und Kaffee trinken kann.
Es ist diese Gesamtmischung.
Christoph Munier: Wir wollen bloß keine Hemmschwelle produzieren. Deswegen
ist das Unfertige, Unperfekte auch so wichtig. Es ist ein bisschen wie zu
Hause: nicht immer picobello gewischt und ein bisschen durcheinander,
menschlich eben. Wenn wir einen neuen Laden eröffnen, kommt nicht der
7,5-Tonner mit dem Ladenbau vorgefahren, der dann in die schuhkartonförmige
Immobilie geknallt wird. Wir lassen es uns nicht nehmen, die meist recht
speziell geschnittenen Läden mit unseren Büromitarbeitern selbst zu
renovieren.
Andrea Dahmen: Als ob wir unsere eigene Wohnung einrichten würden. Wir
wissen am Anfang überhaupt nicht, wie es am Ende aussehen wird. Und immer
fehlt auch zwei Jahre später noch irgendwas. Dadurch bleibt es
individueller als andere Läden.
Welche Relevanz hat der Start an der Oderberger Straße vor neun Jahren für
die siebte oder achte Neueröffnung irgendwo in der Republik?
Andrea Dahmen: "Kauf dich glücklich" lebt stark von diesem
Berlin-Grundgefühl, mit wenig Geld viel erreichen zu können, dass die Stadt
eine Spielwiese ist. Das exportieren wir mit unseren Läden immer noch -
auch wenn der Wind sich in Prenzlauer Berg gedreht hat. Wir haben schon
unseren ersten Laden komplett kreditfrei hochgezogen. Das wäre heute gar
nicht mehr möglich.
Der Wind hat sich gedreht, weggepustet hat er Sie aber nicht.
Andrea Dahmen: Wir sind noch da, haben aber auch gelitten. Wir wohnen beide
seit Jahren in Prenzlauer Berg und beobachten diese Gentrifizierung mit
Sorge. Man kann das Rad der Zeit nicht zurückdrehen. Trotzdem würden wir
wahrscheinlich längst woanders wohnen, wenn wir nicht den längeren Weg ins
Büro scheuen würden.
Christoph Munier: Die Wohnung an der Oderberger Straße, die wir für 210
Euro als Büro angemietet hatten, wurde uns nach der Sanierung wieder
angeboten - für 920 Euro. Das macht man schon aus Sittenwidrigkeitsgründen
nicht mit. Das ist einfach widerlich. Dass Leute bereit sind, 13 Euro kalt
pro Quadratmeter zu zahlen, finde ich gespenstisch. Das ist nicht unsere
Welt.
Aber es sind Ihre Kunden. Sie profitieren doch von den solventen Neumietern
und den Szeneviertel-Touristen, oder?
Andrea Dahmen: Touristen gab es hier vor neun Jahren auch schon, aber die
Gegend war insgesamt bunter und lustiger.
Christoph Munier: Und bezahlbarer. Unsere Stammkundschaft hat sich viel
mehr aus Studenten zusammengesetzt, die wegen einer Kugel Eis für damals 60
Cent und einer Puderzuckerwaffel für 1,50 Euro kamen. Die wohnen hier kaum
noch.
Was kostet die Kugel Eis heute?
Christoph Munier: Faire 80 Cent, weil das Eis hausgemacht ist. Und die
Waffel 1,70 Euro. Mit diesen günstigen Preisen, die zu unserem Konzept
gehören, profitieren wir leider kaum davon, dass die Leute hier mehr Geld
in der Tasche haben.
Andrea Dahmen: Klar schaut jemand wie Heike Makatsch gern mal vorbei, aber
es gibt viele Leute mit Geld, die sofort rückwärts wieder rausgehen oder
gar nicht erst reinkommen. Denen ist das alles zu viel Menschlichkeit hier.
Auch Ihr Laden in Hamburg befindet sich im szenigen Schanzenviertel. Ist es
nicht schizophren, dass Sie einerseits die Gentrifizierung verdammen,
andererseits das Spiel aber mitspielen, indem Sie in diese Quartiere
drängen?
Andrea Dahmen: Wenn wir früher dran gewesen wären, hätten wir auch vor zehn
Jahren schon einen Laden im Schanzenviertel angemietet, weil das
Lebensgefühl da einfach schön ist. Dann hätten wir jetzt ne ganz tolle
Miete und würden uns dumm und dämlich verdienen. Dass das Schanzenviertel
das gleiche Problem hat wie der Prenzlauer Berg, bedauern wir, das ist für
uns aber kein Grund, da keinen Laden aufzumachen.
Christoph Munier: Wir sind "Kauf dich glücklich" und nicht Adidas oder
Görtz, die sich da jetzt auch niedergelassen haben. So wird das auch
wahrgenommen. Wir sind kein Konzern mit Milliardenumsätzen, sondern Andrea
und Christoph mit ihren 25 festangestellten Mitarbeitern und 75 Aushilfen.
Andrea Dahmen: Keiner sagt: Es ist jetzt plötzlich scheiße hier, weil "Kauf
dich glücklich" da ist.
Sie mögen die gute Seite der Gentrifizierung sein, aber Sie sind ein Teil
davon - ob Sie wollen oder nicht.
Andrea Dahmen: Was den Mietpreis zahlen angeht, leider ja. Das Problem ist:
Wo sollen wir sonst hingehen? Wir wollen nicht in die Innenstädte, sondern
dahin, wo es nett ist, brauchen aber Laufkundschaft, um uns finanzieren zu
können. Deswegen können wir nicht etwa nach Neukölln gehen, wo es ganz neu
angesagt ist. Da bleiben nur die etablierten Szeneviertel übrig.
Sie haben neun Läden in acht deutschen Städten. Ist "Kauf dich glücklich"
eine Kette?
Christoph Munier: Eine Journalistin hat unser Interview mit den Worten
eröffnet: "Ihr seid doch jetzt das Starbucks der Indieszene." Ein böser
Tiefschlag.
Andrea Dahmen: Damit können wir uns nicht identifizieren.
Christoph Munier: Richtig ist, dass wir mehrere Läden haben, wir fühlen uns
aber überhaupt nicht kettig.
Wie weit ist Ihr Konzept expandierbar?
Andrea Dahmen: Nach und nach ist das weit expandierbar, aber das braucht
halt seine Zeit, weil wir ja nach wie vor noch jeden Boden selber streichen
wollen. Wir könnten natürlich auch ein Franchise daraus machen, dann würde
das ganz schnell gehen, das wollen wir aber nicht. Wir wollen als Seele von
"Kauf dich glücklich" erkennbar bleiben. Und alle unsere Mitarbeiter noch
persönlich kennen. Mit denen Caipirinha trinken gehen, wenn wir in der
Stadt sind.
Gibt es eine Grenze?
Andrea Dahmen: Es gibt keine Grenzen in unserem Kopf. Wir können uns noch
ganz, ganz viel vorstellen: eine Pension, eine Fluglinie ohne Luftlöcher -
wir hassen beide Fliegen - oder weiß der Henker was. Wir planen aber nicht.
Das passiert einfach. Wir sind ein Unternehmen, das mit Zufällen
zusammenarbeitet.
Christoph Munier: Bei unserer - ungeplanten - Expansion nach Köln war es
so, dass wir Mitte November ein leerstehendes Ladenlokal gesehen, am 2.
Dezember den Mietvertrag unterschrieben und am 11. aufgemacht haben.
Inwieweit ist Ihr Konzept regionalisiert? Unterscheidet sich Ihr Angebot in
München von dem in Münster oder Berlin?
Andrea Dahmen: Es gibt ganz leichte Nuancen. Man sagt vielleicht mal: Das
ist eher ein Stuttgart-Teil oder das passt eher nach Köln. Aber eigentlich
kaufen wir für alle Läden ähnlich ein. Wenn wir uns zu stark auf die Stadt
einlassen würden, würden wir uns ja nicht von dem abgrenzen, was schon da
ist. Und die Leute kommen ja zu "Kauf dich glücklich", um da zu kaufen, was
sie auch in Berlin kaufen können.
Ist das Ausland eine Option für "Kauf dich glücklich"? Ließe sich das
Berlin-Gefühl auch nach Barcelona bringen?
Christoph Munier: Warum denn nicht? Die sprechen dann da halt Spanisch.
"Kauf dich glücklich" kennt keine Grenzen, zumindest keine Landesgrenzen.
Andrea Dahmen: Auch wenn Wien natürlich wegen der Sprache komfortabler
wäre. Wir telefonieren ja ständig mit unseren Läden, über Ware, die nicht
oder falsch gekommen ist, über dies und das. Aber letztlich käme es auf den
Versuch an.
Wie viel Prozent Ihres Geschäfts machen Sie in Berlin?
Christoph Munier: Insgesamt machen wir schon den Hauptumsatz in Berlin,
durch die beiden Cafés, den Modeladen und den Onlineshop. Aber natürlich
ist es so, dass bei den Leuten in Süddeutschland das Geld spürbar lockerer
sitzt. Jemand in München empfindet unsere Mode als noch preiswerter als
jemand in Bremen. In München wird auch schon mal so richtig durchgeshoppt.
Sie haben sich im Produktdesign-Studium an der UdK kennen gelernt und es
für "Kauf dich glücklich" abgebrochen. Woher kam das Zutrauen, dass es mit
dem Konzept und Ihnen beiden als Geschäftspartner funktioniert?
Andrea Dahmen: Das frage ich mich im Nachhinein auch immer wieder. Aber so
groß war unser Risiko dann vielleicht doch nicht. Wir waren befreundet,
haben an Uniprojekten schon immer zusammengearbeitet, wohnten in einer WG
und haben unser in irgendwelchen Jobs verdientes Geld in eine gemeinsame
Dose geschmissen. Damit haben wir dann irgendwann unseren ersten Laden für
Gebrauchtmöbel aufgemacht, die wir vorher schon auf Flohmärkten verkauft
hatten. Wenn das nicht funktioniert hätte, hätten wir uns eben schnell was
anderes überlegt.
Christoph Munier: Wir haben nicht so viel nachgedacht, immer gemacht,
gemacht, gemacht.
Andrea Dahmen: Wir sind extrem flexibel. Das nervt unsere Mitarbeiter
manchmal. Wir schmeißen Pläne auch kurzfristig um oder machen in wenigen
Wochen einen neuen Laden auf. Das ist unsere Stärke. Große Ketten könnten
gar nicht so spontan handeln. Das sind Tanker.
Christoph Munier: Heute denkt man schon eher mal drüber nach, was wäre,
wenn wir mit einem Laden mal auf die Nase fallen würden. Die kniffligsten
Situationen waren aber zum Glück bisher, dass wir Mitarbeiter entlassen
mussten, weil es menschlich nicht gepasst hat.
Was wäre denn, wenn Sie auf die Nase fallen würden?
Christoph Munier: Das würde uns wurmen.
Andrea Dahmen: Finanziell wäre ein gefloppter Laden kein allzu großes
Problem für uns, aber emotional schon: Das könnten wir nicht leicht
akzeptieren. Wenn etwas mal nicht so läuft, wie wir uns das vorstellen,
fragen wir uns sofort: Warum läuft es nicht? Was können wir verändern? Das
lässt uns dann nicht mehr los.
Ihre Läden, besonders die Cafés in Berlin, leben stark von der
Anziehungskraft von 50er- und 60er-Jahre-Möbeln. Mittlerweile findet man
selbst in Augsburg Flohmarktmöbelcafés. Warum fühlen sich junge Leute von
heute in dieser Retrowelt so wohl?
Christoph Munier: Weil man sich ein bisschen wie bei Omi fühlt, geborgen
irgendwie.
Andrea Dahmen: Das empfindet aber nicht jeder so. Meinen Eltern zum
Beispiel ist das hier alles zu plüschig, zu spießig. Ich bin in einem
70er-Jahre-Bungalow aufgewachsen und schon mit zwölf über die Flohmärkte
getigert auf der Suche nach alten Schätzen.
Ist es nicht merkwürdig, dass Sie Dinge schön finden, die Ihren Eltern zu
spießig sind?
Andrea Dahmen: Das ist doch ganz normal. In unserer Generation wollte man
sich als Jugendlicher noch von seinen Eltern abgrenzen. Und ich habe meine
Eltern eben mit Retromöbeln geschockt.
Christoph Munier: Bei mir ist das anders. Meine Eltern sind Pädagogen. Die
hatten immer sehr viel Verständnis.
26 Jun 2011
## AUTOREN
David Denk
## TAGS
Immobilien
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