# taz.de -- Debatte Balkankriege: Aufnehmen und aufarbeiten | |
> Kroatien, Serbien und andere Exjugoslawische Staaten drängen jetzt in die | |
> EU. Doch eine Aufarbeitung der Balkankriege und ihrer Ursachen bleibt | |
> aus. | |
Bild: Kriegsverbrecher Ratko Mladic: Viele Serben sehen in ihm noch immer einen… | |
Als Einheiten von Jugoslawiens "Volksarmee" am 27. Juni 1991 die Stellungen | |
slowenischer Streitkräfte an den Grenzen zu Italien und Österreich | |
angriffen, begann auf dem Balkan jene Reihe von Kriegen, die sich über zehn | |
Jahre hinziehen sollte. Jetzt, da Kroatien, Serbien und andere ehemalige | |
Teilrepubliken Jugoslawiens in die EU drängen, wäre es nötig, mit der | |
Aufarbeitung der Geschehnisse zu beginnen. Dem kommunistischem Tito-Regime | |
in Jugoslawien wurde zu Recht vorgeworfen, die Diskussion über den Zweiten | |
Weltkrieg auf Eis gelegt zu haben. Die unverarbeiteten Konflikte brachen | |
nach 1990 allesamt wieder auf. Diese Gefahr besteht auch heute wieder. | |
Nötig ist es dabei, die einzelnen Kriege zu unterscheiden. Der slowenische | |
Krieg etwa dauerte nur zehn Tage und symbolisierte das letzte Aufbäumen der | |
alten kommunistischen Tito-Generäle, die Jugoslawien zusammenhalten | |
wollten. Im vierjährigen Krieg in Kroatien hingegen wurden auf beiden | |
Seiten nationalistische Ressentiments geschürt, die bis heute nicht | |
abgebaut sind. Die Mehrheit der Kroaten wollte einen eigenen Staat; die | |
Mehrheit der Serben strebte als Ersatz für Jugoslawien ein Großserbien an, | |
das nicht nur große Teile Bosniens, sondern auch Kroatiens umfassen sollte. | |
Mit Blick auf die multiethnische Republik Bosnien und Herzegowina waren | |
sich Serbiens und Kroatiens Führer, Slobodan Milosevic und Franjo Tudjman, | |
sonst spinnefeind, jedoch im Prinzip einig: Schon vor dem Krieg trafen sie | |
sich im März 1991, um über die territoriale Aufteilung des Landes zu | |
verhandeln. Die von Kroaten oder Serben beanspruchten Landesteile sollten | |
ethnisch homogenisiert werden, die Muslime (Bosniaken) aus Bosnien | |
verschwinden oder sich unterwerfen. Diese Ideen führten in einen grausamen | |
Krieg, zu "ethnischen Säuberungen", zur Ermordung von zehntausenden | |
Menschen und mehr als zwei Millionen Flüchtlingen. | |
## Später Schwenk in Zagreb | |
Erst 1994 schwenkte Zagreb um und verbündete sich mit den Bosniaken. Aber | |
erst nach dem Massaker von Srebrenica im Juli 1995 gelang es mit | |
Unterstützung der Nato, große Teile der serbisch besetzten Gebiete in | |
Kroatien und in Bosnien zurückzuerobern. Im Kosovo griffen die | |
internationale Gemeinschaft und die Nato abermals ein, um Milosevic daran | |
zu hindern, weitere Massenmorde wie in Srebenica zu begehen. Und in | |
Makedonien gelang es Nato und EU, durch politischen Druck und | |
Versprechungen den Konflikt zwischen Albanern und slawischen Makedoniern zu | |
beenden. | |
Vor allem der Bosnienkrieg warf viele Fragen auf: Wie war es möglich, dass | |
im Westen viele, die sonst für den Frieden eintreten, sich vehement gegen | |
eine militärische Intervention zur Beendigung der Kriege stellten? Wie war | |
es möglich, dass die internationale Gemeinschaft die Kriegstreiber und | |
Kriegsverbrecher belohnte, indem sie diesen mit der territorialen | |
Aufteilung Bosnien und Herzegowinas einen eigenen Machtbereich zuwiesen? | |
## Ungebrochene Heldenmythen | |
Sicher haben die internationale Gemeinschaft und die EU nach den Kriegen | |
versucht, mit ihren Institutionen vor Ort Frieden zu schaffen. Insbesondere | |
die Strategie, den einzelnen Nachfolgestaaten die Mitgliedschaft in der EU | |
in Aussicht zu stellen, hat zur Befriedung der Region beigetragen. Kroatien | |
wird, so wurde jetzt beschlossen, am 1. Juli 2013 der EU beitreten; | |
Slowenien ist schon seit 2004 dabei. Und Serbien, Montenegro, Makedonien, | |
Bosnien und das Kosovo spornt diese Perspektive dazu an, nicht nur in der | |
Wirtschaft, sondern auch im politischen und juridischen System nötige | |
Reformen voranzutreiben. | |
Zugleich sammelt das Kriegsverbrechertribunal in Den Haag Beweise gegen | |
Kriegsverbrecher. Niemand könne diese Erkenntnisse mehr ignorieren, meint | |
etwa die kroatische Schriftstellerin Slavenka Drakulic, weshalb sich alle | |
ideologischen Rechtfertigungen für die Kriege à la longue nicht mehr halten | |
ließen. Doch die Argumente sind längst noch nicht überall durchgedrungen. | |
Über die Hälfte aller Serben sehen in dem serbischen General Ratko Mladic, | |
der jetzt endlich vor Gericht steht, noch immer einen Kriegshelden und | |
Verteidiger des "Serbentums". Auch in anderen Ländern sieht es mit Blick | |
auf die eigenen Protagonisten oft nicht besser aus. | |
Entwertet werden die Anstrengungen des Kriegsverbrechertribunals zudem | |
dadurch, dass dort und in anderen internationalen Institutionen die | |
politischen Interessen verschiedener Länder eine Rolle spielen. Diese | |
Kakofonie hat notwendige Entscheidungen verzögert oder verhindert. So wurde | |
die Diskussion über eine Reform der Verfassung von Bosnien und Herzegowina | |
aus Rücksicht gegenüber den serbischen Nationalisten blockiert; das Land | |
bleibt in das untragbare Korsett ethnischer Teilung gezwängt. In eine | |
ähnliche Richtung weist die Entscheidung des Internationalen Gerichtshofes, | |
Serbien von der Verantwortung für den Krieg in Bosnien freizusprechen und | |
alle Schuld den Angeklagten Radovan Karadzic und Ratko Mladic anzulasten. | |
## Das Massaker von Gospic | |
Auch mit Blick auf Kroatien wurden Kriegsverbrechen wie das Massaker an | |
Serben im Oktober 1991 in der kroatischen Kleinstadt Gospic gerne unter den | |
Teppich gekehrt, während man sich mit dem verurteilten General Gotovina | |
einen Schuldigen herausgriff und an ihm ein Exempel statuierte. Doch waren | |
an den Verbrechen auf dem Balkan nicht nur viel mehr Personen beteiligt - | |
die kritische Auseinandersetzung mit den Ideologien, die dazu geführt | |
haben, blieb aus. | |
Dass man in Europa damit nicht weit gekommen ist, hat auch mit | |
Entwicklungen innerhalb der EU zu tun - man denke nur an den Rechtsruck in | |
Ungarn, Dänemark, den Niederlanden und Frankreich. Würde man sich mit den | |
ideologischen Rechtfertigungen und den Nationalismen beschäftigen, die zu | |
den Kriegen auf dem Balkan geführt haben, müsste man sich auch an die | |
eigenen Nase packen. | |
Wer heute den Frieden auf dem Balkan stärken will, muss die | |
Zivilgesellschaft in den verschiedenen Nachfolgestaaten unterstützen. Er | |
muss auch auf öffentliche Debatten über das, was geschehen ist, drängen. | |
Dazu sind die Ideen von Friedensaktivisten und Friedensforschern gefordert. | |
Her damit! | |
27 Jun 2011 | |
## AUTOREN | |
Erich Rathfelder | |
## ARTIKEL ZUM THEMA |