# taz.de -- Kolumne Habseligkeiten: Brügge sehen und schlafen | |
> Auch öde Orte haben ihren Charme. Den findet man wahlweise in Brauereien, | |
> auf Radtouren – und manchmal auch in Blechdosen. | |
Wir haben die Dose aus purer Verzweiflung doch schon in Brügge geöffnet. | |
Denn die Stadt schaut wunderschön aus und gilt als Denkmal früherer Macht | |
und Größe. Doch die Glanzzeiten vergingen, heute langweilen sich dort | |
selbst gut gesinnte Besucher. | |
"Sind Sie zum ersten Mal hier?", fragte uns der Mann am Hotelempfang. "Ja", | |
antworteten wir. Und er sagte: "Dann haben Sie viel zu tun." Dieses Museum | |
sei leider heute geschlossen, jenes Restaurant dicht, aber in zwei Tagen | |
würde alles wieder öffnen, bis dahin könnten wir uns ein Rad ausleihen und | |
um die Stadt herum fahren. Auf keinen Fall sollten wir jedoch zum Markt | |
gehen, die dortigen Gastronomen seien nämlich alle Verbrecher. | |
Also fuhren wir eine Runde, was ungefähr 45 Minuten dauerte, hielten bei | |
einer Brauerei und suchten danach Souvenirs aus. Schließlich sollten die | |
Nachbarn bedacht werden, die unsere grüne Hölle auf Balkonien hüteten. Eine | |
Dose, die mit belgischer Schokolade gefüllt war und aussah wie eines dieser | |
pittoresken Bürgerhäuser der Stadt, fanden wir als Mitbringsel kitschig | |
genug, aber nicht zu kitschig, wie die Spitzendeckchen, die an allen Ecken | |
verkauft wurden. "Gut, dass wir das erledigt haben", sagte ich. "Wir haben | |
noch so viel zu tun! Doch lass uns erst ein Bier trinken!" Belgien ist ja | |
nicht für viel bekannt, da muss man die guten Seiten auskosten, die der | |
Besuch in diesem zerrütteten Land bietet. "Pommes?", fragte mein Mann nach | |
ein paar Gläsern Abteibier. "Super!", fand ich. Nach dem Essen in der | |
Spezialtourisnackbar wurden wir ein wenig dösig. Wir schoben die Räder | |
durch Straßen, in denen kein Mensch mehr zu sehen war, nirgends brannte | |
Licht in den Fenstern. Brügge schien dunkler als die DDR. Wir legten uns | |
schlafen. | |
Am nächsten Morgen fragte nun eine Frau am Empfang, ob wir zum ersten Mal | |
in Brügge seien. "Ja", antworteten wir wieder. "Dann haben Sie viel zu | |
tun!", sagte sie und riet, wir sollten doch mit dem Rad nach Damme fahren, | |
also raus aus der Stadt. Stattdessen stiegen wir auf den Belfried, einen | |
hohen Turm, in dessen Fenstersims die Entfernungen zu anderen Städten | |
gemeißelt wurden. "Berlin 700 km" las ich und stieg wieder vom Turm | |
herunter. Leider steht der Belfried genau am Marktplatz. "Bier?", fragte | |
mein Mann. "Super!", fand ich und bestellte ein Hoegaarden Rosé, was ganz | |
genauso schmeckte, wie eine Berliner Weiße. Wir wurden wieder dösig und | |
gingen ins Hotel zurück, um uns schlafen zu legen. | |
"Toll", dachte ich, als ich in der Abenddämmerung wieder aufwachte. "Diese | |
Stadt ist hübsch und erholsam! Wenn nur ein kleines bisschen mehr los | |
wäre." Aus unserem Zimmer blickten wir über einen Kanal zu einer kleinen, | |
aber geschlossenen Kneipe. Wir ahnten, dass es anderswo nicht besser sein | |
würde. Also aßen wir einfach die Nachbarspralinen und überlegten uns, was | |
wir nun mit der kitschigen Blechdose anfangen sollten. Gestern fanden wir | |
endlich eine Lösung. "Leg dein Handy rein und du hast keinen Empfang!", | |
sagte mein Mann. Und es funktioniert tatsächlich. Wenn wir in Zukunft Ruhe | |
suchen, legen wir einfach unsere Smartphones in der Brüggedose ab. Und | |
nichts regt sich mehr. | |
28 Jun 2011 | |
## AUTOREN | |
Natalie Tenberg | |
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