# taz.de -- Panterpreis-Kandidatin: Kreativ sein, Türen öffnen, Welt retten | |
> Der Arzt warnte sie vor zu viel Arbeit, einen Burn-out hatte sie schon. | |
> Aber Petra Wollny will nicht kürzertreten - sondern benachteiligten | |
> Jugendlichen helfen. | |
Bild: Petra Wollny: "Wenn ich etwas mache, dann richtig. Wenn schon Sahne, dann… | |
Ein Café im Hamburger Schanzenviertel. Petra Wollny bestellt sich eine | |
Chili-Trinkschokolade - "bitte mit viel, viel Sahne, mit einem Berg von | |
Sahne". Sie ist 52 Jahre alt, trägt eine schwarze Lederjacke, etliche | |
Armringe, zwei Halsketten, große Ohrringe, ihre Haare sind blondiert, sie | |
sagt: "Ich gebe gerne Vollgas, und wenn ich etwas mache, dann mache ich es | |
richtig. Also wenn schon Sahne, dann bitte richtig viel Sahne." | |
Dieser Grundsatz ist ihr im Oktober des vergangenen Jahres zum Verhängnis | |
geworden. Denn da hatte er nichts mit einer großen Portion Sahne zu tun, | |
sondern mit Stress. Wollny war ausgebrannt, hatte einen Zusammenbruch: | |
Burn-out. Siebzig Arbeitsstunden in der Woche waren einfach zu viel für die | |
gelernte Sozialpädagogin und Fotografin, die ihr Leben seit sechs Jahren | |
Kulturprojekten mit Jugendlichen widmet. Darüber hinaus kümmert sie sich | |
als alleinerziehende Mutter um ihren 13-jährigen Sohn Jason. Der Arzt hat | |
ihr geraten, es etwas ruhiger angehen zu lassen. Für ein paar Wochen hat | |
sie das auch getan, aber inzwischen arbeitet sie wieder so viel wie zuvor. | |
"Ich kann einfach nicht anders. Ich muss. Vielleicht liegt das daran, dass | |
ich Wassermann bin. Denn Wassermänner denken immer, dass sie die Welt | |
retten müssen." | |
## Schockiert über die Armut in ihrer Stadt | |
Im Sommer 2005 begleitete Wollny als Fotografin eine | |
sozialwissenschaftliche Studie zur Armut und Benachteiligung von Kindern | |
und Jugendlichen in Hamburg. Danach war alles anders. Sie war schockiert | |
über die Armut in ihrer Stadt. "Diese Kids", sagt sie, "waren einsam und | |
vernachlässigt. Niemand kümmerte sich um sie. Und ich dachte mir, dass das | |
doch nicht wahr sein kann und jemand ihnen helfen muss, ihre kreativen | |
Potenziale freizusetzen." | |
Ein Jahr später gründete sie den gemeinnützigen Verein Genety - General | |
Empowerment of the Youth. Genety entwickelt für Schulklassen aus | |
strukturschwachen Stadtteilen Kulturprojekte. Ein Pool von professionellen | |
Künstlern erarbeitet mit den Jugendlichen eine Theateraufführung, ein | |
Tanzstück, einen Film oder eine Fotoausstellung. Die Jugendlichen, die | |
zumeist aus bildungsfernen Familien mit Migrationshintergrund stammen, | |
machen Breakdance oder fotografieren nachgestellte Alltagsszenen aus ihren | |
Stadtvierteln. | |
Auf einem der Fotos sieht man einen Jungen, der seine Kapuze tief ins | |
Gesicht gezogen hat und im nächsten Moment mit seinem Bein gegen ein | |
parkendes Auto treten wird. Daneben steht: "Sachen kaputtmachen, damit der | |
Stress weggeht". Petra Wollny sagt: "Wir holen die Jugendlichen dort ab, wo | |
sie stehen, und versuchen ihnen jene Aufmerksamkeit und Wertschätzung | |
zukommen zu lassen, die sie von zu Hause nicht kennen." | |
Petra Wollny weiß, worüber sie spricht. Sie ist in Münster als Tochter | |
eines Soldaten aufgewachsen. Ihr Vater hat sich mehr um seine Kompanie als | |
um seine Familie gekümmert. Die Erziehung war streng, Talente wurden nicht | |
wahrgenommen, Begabungen nicht gefördert. Es gab klare Anweisungen, und | |
diesen Anweisungen musste sie folgen. "Als Kind," sagt Petra Wollny, "war | |
ich sehr nett, sehr lieb, sehr ruhig und sehr angepasst. Mein Leben begann | |
eigentlich erst, als ich mit 18 von zu Hause ausgezogen bin." | |
## Aus eigener Kraft geschafft | |
Dass ihre Fähigkeiten zu Hause nicht beachtet wurden, hat sie geprägt. Sie | |
ist fest davon überzeugt, dass in jedem Kind ein Talent schlummert - man | |
muss es nur fördern. Aus dem sehr ruhigen und sehr angepassten Kind ist | |
jedenfalls eine sehr selbstbewusste und extrovertierte Frau geworden, die | |
genau weiß, was sie will. Sie hat das aus eigener Kraft geschafft - und | |
möchte nun helfen, dass "meine Kids auch ihre Talente entdecken und weg von | |
der Straße und der Gewalt kommen". | |
Sie will ihnen durch ihre Kunstprojekte Perspektiven anbieten. Alle | |
Teilnehmer bekommen nach dem Projekt eine Art Bildungsnachweis, in dem | |
dokumentiert wird, welche individuellen, sozialen und künstlerischen | |
Fähigkeiten sie während des Kurses erworben haben. Dieser | |
"Kompetenznachweis Kultur" soll ihnen später bei der Suche nach einem | |
Ausbildungsplatz oder einer Arbeit helfen. Wollny sagt: "Die Jugendlichen | |
brauchen Türen, die man ihnen öffnet. Durchgehen müssen sie dann alleine." | |
Die Chili-Trinkschokolade ist ausgetrunken, der Berg von Sahne aufgegessen, | |
das Gespräch beendet. Petra Wollny springt auf, der nächste Termin bei | |
einer Schulklasse wartet bereits auf sie. Jetzt wird sie wieder siebzig | |
Stunden die Woche arbeiten - für die Jugendlichen. Den Gedanken an einen | |
weiteren Burn-out schiebt sie weit weg, die Jugendlichen sind ihr jetzt | |
wichtiger. | |
1 Jul 2011 | |
## AUTOREN | |
Alem Grabovac | |
## ARTIKEL ZUM THEMA |