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# taz.de -- Netzwerk Recherche verjagt den Vorsitzenden: Putsch im "Sauberkeits…
> Für die Fachwelt ist es ein Epochenbruch. Thomas Leif, Gründer und Lenker
> des Netzwerks Recherche, wird in einer spektakulären Veranstaltung aus
> dem Vorzeigeverband gejagt.
Bild: Aus dem Vorstand geputscht: Thomas Leif, hier bei einer Buchvorstellung v…
HAMBURG taz | Es ist ein Abend, der eine Freude wäre für jeden Journalisten
auf einer Pressekonferenz der Bundesregierung. Da vorne sitzen die Chefs,
und schon ihr langsames, ihr bedrücktes, verschämtes Gestammel deutet
darauf hin: Irgendetwas stimmt hier ganz und gar nicht. Doch wenn hier
etwas ganz und gar nicht stimmt, gerade hier, in diesem Kreise, dann stimmt
vielleicht vieles nicht mehr.
Freitagabend im Raum K3 des Norddeutschen Rundfunks. Hier, beim NDR in
Hamburg, ist es zur Tradition geworden, dass die vorzeigbarsten
Journalistinnen und Journalisten der Republik einmal im Jahr die
Schlechtigkeiten der Medienwelt geißeln – und sich auf die Schulter
klopfen, für die richtig großen guten Geschichten.
Die wichtigen Chefredakteure sind da. Und die besten Investigativreporter
des Landes. Doch beim Netzwerk Recherche, dem Zusammenschluss besonders
selbstkritischer Journalisten, der hier eingeladen hat, muss heute niemand
groß recherchieren. Denn die Geschichte dieses Wochenendes wird auf dem
Podium serviert. Ein waschechter Putsch. Er trifft einen Mann, dem der
Qualitätsjournalismus in Deutschland viel zu verdanken hat: Thomas Leif
wird abserviert.
Dabei hörte sich doch der Veranstaltungstitel so unglaublich langweilig an:
"nr-Mitgliederversammlung" hieß die Veranstaltung im Raum K3 im Rahmen der
Jahrestagung des Vereins. Und wer dort über die missliche Lage des
renommierten Vereins berichtete, der in diesem Jahr seinen zehnjährigen
Geburtstag feiert, ist niemand geringerer als Hans Leyendecker,
Deutschlands Investigativjournalist Nummer Eins, und zweiter Vorsitzender
im Netzwerk Recherche.
Er sitzt da vorn auf dem Podium, neben Thomas Leif, vor ihm Dutzende
kritischer Journalistinnen und Journalisten, eben die Mitglieder des
Netzwerkes. Und Hans Leyendecker redet stockend, wirkt unsicher – gerade
so, als wäre irgendwer gestorben. Es geht um fehlerhaft gebuchte Rechnungen
in der Bilanz des Vereins. Und es geht um die Frage, ob das hehre Netzwerk
Recherche vielleicht selbst zu unrecht Gelder bezogen hat. Und das auch
noch von der Bundeszentrale für Politische Bildung.
Es geht um Gelder, die offiziell für das Gute flossen. Für die Stärkung des
Qualitätsjournalismus in Deutschland, für die Förderung journalistischer
Nachwuchskräfte. Für die Betonung, dass Journalismus immer unbestechlich
bleiben muss. Und nun stellt sich die Frage: Hat Thomas Leif sich da
einfach nur verrechnet – oder wurden Gelder bewusst abgezweigt.
Hans Leyendecker schaut viel nach unten, während er spricht. Selten findet
er klare Worte. Denn allen hier im Raum ist klar: Einen Thomas Leif, den
stürzt man nicht so leicht. "Godfather" nennen ihn hier manche, ihn, der
seit zehn Jahren immer und unermüdlich dafür gesorgt hat, dass Qualität in
der Recherche, dass Anstand in der Wahrheitsfindung immer ein Leitbild
bleibben.
Der aus dem popeligen Journalistenverein einen bundesweit wahrnehmbaren
Qualitätsgaranten der Aufrichtigkeit gemacht hat. Und jetzt sieht es so
aus, als sei Thomas Leif an seiner eigenen Moral gescheitert. Seine
Verteidigungsreden können die Tatsache nicht aus dem Weg räumen, dass die
Finanzen Anlass zur Sorge geben.
Einige Mitglieder, teils auch Vorstandsmitglieder, klagen, sie hätten die
Finanzen in der Vergangenheit nicht recht durchschauen können. Mehr als
70.000 Euro könnte der Verein – die Prüfung steht noch aus – zu Unrecht
erhalten haben. Und in dem "Sauberkeitsverein", wie Leyendecker ihn nennt,
gelten nun einmal ganz besondere moralische Maßstäbe.
Ja, welche denn? Leyendecker redet, redet, redet. Und die wenigsten im
Publikum durchschauen die Diplomatie, die da vorne inszeniert wird. Was sie
nicht wissen: Schon vor der Sitzung hatte sich der Vorstand darauf
geeinigt, das Leif an diesem denkwürdigen Freitagabend seinen Hut nehmen
soll.
Immer wieder gibt Leyendecker ihm den Raum dazu. Immer wieder dieser Blick
nach unten, immer wieder diese langen Pausen. "Leif", sagen diese Pausen,
"geh!" Doch Leif geht nicht.
Schließlich kommt Unruhe auf im Saal, und Leyendecker nimmt sich ein Herz
und erklärt nun selbst seinen Rücktritt. Auch andere Vorstandsmitglieder
verstehen und erklären ebenfalls ihren Rücktritt. Nur Thomas Leif erklärt
nichts, doch damit ist klar, dass der Vorstand formal nicht mehr
arbeitsfähig ist.
Und somit ist das Ergebnis des Abends: Thomas Leif, Godfather und
eigensinniger Bestimmer, muss die Koffer packen, noch ehe ein paar Räume
weiter die Geburtstagsparty beginnt, die ihm zu verdanken ist. "Das ist
hier ja so wie früher auf Kindergeburtstagen", sagt die Party-Moderatorin.
"Wenn das Geburtstagskind nicht da war, weil es sauer war, dass es im
Sackhüpfen verloren hatte."
Ganz so einfach ist es nicht: Thomas Leif wurde abserviert – zu Recht oder
zu Unrecht. Er hinterlässt ein großartiges Erbe. Und eines, von dem niemand
weiß, wer es annehmen soll. Aber wer im Glashaus sitzt, darf nie mit
Steinen werfen. Auch kein Thomas Leif.
Martin Kaul ist taz-Redakteur und ordentliches Mitglied des Netzwerk
Recherche. Er nahm stimmberechtigt an der Mitgliederversammlung teil.
2 Jul 2011
## AUTOREN
Martin Kaul
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