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# taz.de -- Aufgetauchte Notizen von Fritz Teufel: Bomben gegen Hubert Humphrey
> Wiederaufgetauchte Protokolle der Kommune 1 zeigen abgründigen Humor und
> kunstvolle Kritzeleien des Fritz Teufel, dessen Todestag sich Dienstag
> zum ersten Mal jährt.
Bild: Fritz teufel spricht am 15. September 1968 zu Frankfurter Demonstranten.
Wie öde wäre das Leben, wenn nicht ab und zu überraschend ein neues,
manchmal brisantes Zeitdokument wieder auftauchen würde, das uns die
Vergangenheit in neuem Licht erscheinen lässt. Material, etwa gefunden in
Omas Vertiko oder auf Pariser Dachböden, von dem niemand ahnte, dass es
existiert oder wo es sich befinden könnte.
Vor nicht allzu langer Zeit durfte sich das Hamburger Institut für
Sozialforschung (HIS) über einen interessanten Neuzugang freuen. Das
Institut ist eine Stiftung von Jan Philipp Reemtsma, Mäzen und Sohn des
Tabakbarons Reemtsma. Im HIS-Archiv befinden sich bereits der Nachlass von
Studentenführer Rudi Dutschke sowie Unterlagen zum Gerichtsprozess gegen
den Polizisten Kurras, der Benno Ohnesorg erschoss.
## Planung von Störaktionen
Ganz klar, dass sich in einer solchen Umgebung auch die wiederaufgetauchten
Papiere, Protokolle von Sitzungen der Kommune 1, wohl fühlen.
Aufgeschrieben hat sie Fritz Teufel, dessen Todestag sich morgen zum ersten
Mal jährt. Seine Aufzeichnungen hat er mit wilden, psychedelischen
Kritzeleien und zuweilen bösen Skizzen garniert.
Besondere Aufmerksamkeit gilt einem unscheinbaren, gelblich-ausgeblichenen
DIN-A5-Papierschnellhefter mit Protokollen vom 16. 3. bis 16. 4. 1967. Die
Aufzeichnungen beginnen also etwa vier Wochen nach dem Einzug der Kommune 1
in die Atelierwohnung des Schriftstellers Hans Magnus Enzensberger
beziehungsweise in die Wohnung seines Kollegen Uwe Johnson, der sich zu der
Zeit in New York aufhielt. Politisch befassten sich die Kommunarden mit der
Planung von Störaktionen zum Besuch von US-Vizepräsident Hubert Humphrey
sowie zum Besuch des Schahs in Berlin.
Die Einträge zeigen, dass die täglichen Sitzungen (manchmal zweimal am Tag)
einem immer gleichen Muster folgten. Die einzelnen Tagesordnungspunkte
versah Teufel mir römischen Ziffern. Er protokollierte das Geschehen mit
ironischer Distanz, oft akribisch, manchmal in einer fast beamtenhaft
anmutenden Sprache. Besonders witzig erscheinen aus heutiger Sicht seine
trockenen Bemerkungen über Banalitäten, Fehlschläge im Alltag der Kommune
und Befindlichkeiten ("V. fühlt sich stark").
## Ein Beispiel (willkürlich zusammengestellt):
16. III. 1967
I Wohnungen
nichts Neues
II Broschüren
D. hat Schwierigkeiten
R. vergaß 4 Seiten
Mao-Broschüre weg
III Ökonomie
V. braucht Schuhe
IV Außenkontakte
V. hat H. vor Gericht getroffen, will in den nächsten Tagen kommen D. war
bei R. A. und J. waren auch da, nichts Neues
V Interessen
U. ist jetzt endlich in der Lage mit D. zu streiten
D. war noch nie so unterdrückt wie in der Kommune
Hackordnung/ Lethargie
Fast entsteht der Eindruck, Teufel habe den Job des Protokollanten
übernommen, damit kein anderer etwas Gehässiges über ihn schreiben könne.
Seine eigenen Wortbeiträge kommen fast nicht vor, obwohl kaum davon
ausgegangen werden kann, dass er sich aus den Gesprächen heraushielt.
"Wirre Diskussionen", schreibt er, wenn es zur Sache geht, und malt daneben
ein noch viel wirreres Ornament und protokolliert den Eindruck einer
Kommunardin: "D. glaubt, sie ist unter lauter Verrückten". Auch
verbalisiert er seine eigene Langeweile: "Eine Diskussion über Moses Hess
würde ich für bedeutend interessanter halten."
Vor allem Teufels Kritzeleien, teils großformatig über eine ganze Seite,
wilde Kringel, psychedelische Muster, wie von einer Patchwork-Decke,
manchmal Konkretes wie vielleicht ein Sarg, eine Kirche, ein Kleeblatt, ein
Wildschwein, ein Gesicht wie in Edvard Munchs Gemälde "Der Schrei", lassen
erahnen, wie quälend diese Sitzungen zuweilen gewesen sein müssen.
## bleibtmirnixandersüberalsmundzuhalten
Sie zeigen aber auch Teufels Sinn für absurde Situationen und wie
hochkreativ und produktiv er sein konnte. Manche Sätze und Wörter sehen aus
wie kleine Kunstwerke. Etwa wenn er "Langhans" schreibt und jeden einzelnen
Buchstaben grafisch aufmotzt. Oder er notiert die Beschwerde einer
Kommunardin in einem Wort ("bleibtmirnixandersüberalsmundzuhalten") und
lässt vermuten, dass er ihren beleidigten Einwurf nicht ganz ernst nimmt.
Drei Probleme kehren in den frühen Monaten der K 1 immer wieder: Zum einen
beschäftigt sie die zermürbende Suche nach einer geeigneten Wohnung, denn
in den Wohnungen der befreundeten Schriftsteller können sie nicht bleiben.
Zum anderen machen ihnen Geldnöte zu schaffen: "Sparbuch über DM 5000,- hat
D. von M. - läuft über ein halbes Jahr, könnte mit Verlust früher gekündigt
werden." Oder: "V. hat sich mit einem Lottogewinn aus der Affäre gezogen."
Drittes großes Thema sind natürlich Beziehungsprobleme - sowohl mit den
Eltern ("H.: Ihre Erwartung, dass aus mir was wird bedeutet einen
ziemlichen Druck? Ganze Misere des Studiums ihr ((der Mutter)) immer
verborgen") als auch Probleme intimster Natur miteinander. Sätze in den
Protokollen wie "D.s Orgasmus erfordert totale Konzentration", "Innerhalb
der Kommune besteht nicht das geringste Intimverhältnis" oder "H. will sich
endgültig und mit dem Vorsatz nie wieder anzufangen von D. trennen. Nur so
wird Kommunikation mit ihr für ihn wieder möglich" dokumentieren aber auch,
wie unglaublich jung die Kommunarden damals noch waren: in starken
spätadoleszenten Gefühlen verstrickt, im Bann der galoppierenden Hormone
stecken geblieben.
Doch ihre Themen gleichen durchaus derer späterer Generationen junger
Leute, die in instabilen Beziehungen lebten und sich finanziell und
emotional noch nicht von ihren Eltern abnabeln konnten. Nur ist es
unfreiwillig komisch, wie Teufel diese subjektiv empfundenen Tragödien
respektlos auf nüchterne Schlagworte reduziert.
## "Pudding-Attentat" auf US-Vize Humphrey
Die Protokolle ermöglichen, die Entwicklung von geplanten Aktionen mit dem
heutigen Wissen darum, was aus den Plänen wurde, nachzulesen.
Beispielsweise interessant ist das Thema "Pudding-Attentat" auf US-Vize
Humphrey, den sie bei seinem Besuch in Berlin mit Pudding in Einkaufstüten
bewerfen wollten. Dazu sollte es allerdings nicht kommen. Der Plan flog auf
und am 5. 4.1967 nahm die Polizei elf Leute, darunter Fritz Teufel, fest.
Zuvor findet sich in Teufels Protokoll am 21. 3. 1967 ein Rezept für eine
Rauchbombe. Eine Idee, die später als zu gefährlich eingestuft wurde. Sie
denken über Alternativen nach. "Ist Schlagsahne besser als Pudding? Wie
wäre es mit Plaka-Farbe? Experimentierkommando."
Weitere Vorschläge für Wurfgeschosse sind "Mehl, Eier, Mohrenköpfe,
Dynamit". Lakonisch notiert Teufel die Frage eines Kommunarden: "Kann ich
nach den Aktionen noch studieren? Plong hui dum zing räbah bang".
Einen Tag vor seiner Festnahme schreibt Teufel im Protokoll: "und immer
noch tagt die erste Berliner Scheißkommune". Danach pausieren die
Aufzeichnungen für etwa eine Woche. Wieder auf freiem Fuß bleibt die
Schlappe in dem vorliegenden Dokument allerdings unerwähnt. Die nächste
Aktion steht an. Der Schah-Besuch am 2. 6. 1967. Offenbar in Mörderlaune
schreibt Teufel: "Spezialwunsch für Aktionen: Wenn der Schah kommt möchte
ich ihn am liebsten umbringen."
## Kommune 1 auf Facebook
Die Protokolle lesen sich wie ein Fortsetzungsroman und könnten, sollten
sie in die Hände eines Drehbuchautors fallen, als Anregung für ein
spannendes Filmskript dienen. Viel Stoff für ein dramatisches Kammerspiel.
Mit jeder Seite werden die Protagonisten plastischer, die Entwicklungen
mitreißender.
Aus heutiger Sicht wirken die handschriftlichen Protokolle Teufels herrlich
altmodisch. Zuweilen ist seine Schrift unleserlich und die damit
verbundenen Informationen vielleicht auf immer verloren. Heute hätte die
Kommune 1 sicher eine eigene Facebook-Seite und würde vielleicht selbst
ihre intimsten Geheimnisse twittern.
4 Jul 2011
## AUTOREN
Kerstin Carlstedt
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